Stellenabbau, Investitionen, Standort: So läuft es beim Espelkamper Unternehmen Harting

Herr Harting, wie ist die aktuelle Lage der inländischen Standorte, wie sieht es vor allem in den Werken in Espelkamp und Rahden aus? PHILIP HARTING: Die Rahmenbedingungen für unser Geschäft sind weiterhin schwierig, was wir auch am Markt erleben. Sowohl die Konjunkturprognosen für die Wirtschaft allgemein als auch das Geschäftsklima etwa in der deutschen Elektro- und Digitalindustrie oder im Maschinen- und Anlagenbau haben sich weiter eingetrübt. Bei der Harting Technologiegruppe läuft das Geschäft im Vergleich zur Branche dank unserer Strategie etwas besser, aber es bleibt herausfordernd. Wir sind derzeit mit unseren Standorten in Deutschland nicht in Kurzarbeit, beobachten aber natürlich die Marktentwicklungen genau, damit wir schnell reagieren können. Welche Prognose haben Sie für die Entwicklung des Unternehmens in den kommenden Monaten und was wird für das Unternehmen das dominierende Projekt im kommenden Jahr sein? Für uns ist klar: Die Zukunft muss elektrisch(er) werden, um das globale Ziel der CO2-Reduzierung zu erreichen. Unsere Steckverbinder-Kabellösungen für die Energie- und Datenübertragung sind dafür das Rückgrat, um den Weg zur All-Electric Society möglich zu machen. Mittelfristig wollen wir planvoll wachsen und müssen uns daher zukunftsfähig, regionaler und noch internationaler aufstellen. Diese Internationalisierung wird daher auch im kommenden Jahr unser Schwerpunktthema sein, um den Anforderungen unserer Kunden bestmöglich gerecht werden zu können. Wir sind da, wo unsere Kunden sind. Wir fokussieren uns außerdem weiterhin auf die Digitalisierung, Automatisierung und unsere Kernkompetenzen. Ist es zutreffend, dass es nach den im Herbst vorigen Jahres bekannt gewordenen Entlassungen von rund 100 Beschäftigten aktuell weitere Entlassungen von Beschäftigten gibt? Wenn ja: Welche Bereiche sind davon betroffen? Als Reaktion auf die globalen wirtschaftlichen und wettbewerblichen Herausforderungen mussten wir die Strukturierung unserer administrativen Bereiche überprüfen und neu ausrichten. Den von uns angekündigten Stellenabbau in verschiedenen Bereichen, der rund 100 Stellen in Deutschland und circa 100 Stellen in den anderen Ländern umfasst, werden wir wie angekündigt bis Ende 2025 so sozialverträglich wie möglich und im engen Austausch mit den Arbeitnehmervertretern umsetzen. Wir konnten in der letzten Woche lesen und hören, wie dramatisch die Situation z. B. in der deutschen Automobilindustrie ist. Wir müssen nach wie vor darüber nachdenken, in ausgewählten Bereichen weiter die Kosten zu senken. Die Zeiten für die Zulieferer werden sehr angespannt bleiben. Aber wir reduzieren nicht nur unsere Kosten, sondern investieren gleichzeitig gezielt in neue Fähigkeiten, Fertigkeiten und Technologien Lesen Sie auch: Dümmer Autozulieferer ZF - Tausenden Menschen droht die Kündigung Allein in den letzten beiden Jahren haben wir im Bereich Forschung & Entwicklung rund 60 neue Stellen auf der ganzen Welt und auch hier in der Region geschaffen. Wir wollen mit neuen Produkten und Lösungen wettbewerbsfähiger werden. Zusammengefasst: Wir investieren, wenn es sich für die Zukunft lohnt, ansonsten müssen wir äußerst umsichtig planen und sparsam sein. Was ist Stand der Dinge beim Aufbau des globalen Hauptquartier (HQ) im Raum Zürich? Seit unserer initialen Kommunikation Anfang Juli zu dem Projekt ist aktuell noch nichts Neues entschieden. Die unterschiedlichen Aspekte werden im Moment in verschiedenen Arbeitsgruppen unter Einbeziehung der Geschäfts- und Fachbereiche erarbeitet. Dazu zählen die Auswahl des Standortes, die IT-Prozess-Landschaft sowie die Regularien für die Mitarbeitenden vor Ort. Der Aufbau unseres globalen Headquarters in der Schweiz ist natürlich ein dynamischer und komplexer Prozess. Wie die nächsten Schritte im Detail aussehen, wird in den kommenden Monaten final festgelegt. Wir halten unsere Mitarbeitenden über den Fortschritt informiert. Die Spekulationen, dass das neue globale HQ in Zürich auch wegen der weiter angestrebten Globalisierung des Unternehmens der erste Schritt hin zur Verlagerung des Unternehmenssitzes sei, reißen nicht ab. Was sagen Sie dazu? Der Unternehmenssitz der Harting Stiftung & Co KG ist und bleibt in Espelkamp. Hier ist unsere Heimat. Hier ist unser zu Hause, und das im nächsten Jahr seit 80 Jahren. Das erkennen Sie schon an den vielen zukünftigen Investitionen in die weitere Automatisierung und Digitalisierung hier vor Ort, die wir angekündigt haben und auch umsetzen werden. Mehr zum Thema: Harting investiert in neues Hauptquartier in der Schweiz Oder nehmen Sie das Beispiel Anfang des Jahres 2024 mit dem Erwerb der Biogasanlage in Espelkamp, um unser Unternehmen energieautark zu machen und Produktionssicherheit zu schaffen. Und seien Sie versichert: Wir werden auch weiterhin Kultur, Bildung und Sport hier in der Region fördern. Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Ich beziehe das jetzt mal auf das Unternehmen. Auch wenn wir uns derzeit in herausfordernden Zeiten befinden, schaue ich dennoch optimistisch in die Zukunft. Ein Teil unserer Unternehmensvision lautet, dass Harting sich weiter zu einem Weltunternehmen entwickeln will. In diesem Punkt werden wir in den kommenden Jahren weitere große Fortschritte erzielen können. Zumal wir mit unseren Produkten in Bereichen tätig sind, die sich rasant und positiv weiterentwickeln. Mit unseren Kernprodukten, den Steckverbindern, sind wir mittendrin in der Welt der Connectivity, der Welt der Daten und Energieübertragung. Unsere Technologie ermöglicht den Zugang zum industriellen Internet of Things und liefert die Lebenslinien – die Übertragung von Strom und Daten – für die All Electric Society – eine elektrifizierte, de-karbonisierte und digitalisierte industrielle Welt. Und auch in zehn Jahren wird Harting ein Familienunternehmen sein, das von der Familie geführt wird. Mit diversen Maßnahmen will die Ampel die schwächelnde Wirtschaft ankurbeln. Eine Maßnahme soll Bürokratie-Abbau sein. Der aber wird regelmäßig vor Wahlen angekündigt und letztlich bleibt es bei den Ankündigungen. Wie sehr hemmt deutsche Bürokratie die Wirtschaft? Überregulierung und Bürokratie schaffen weder Innovationen noch Wachstum, schaffen keine Arbeitsplätze und keinen Wohlstand. Deshalb fordert die Wirtschaft seit Jahren den Bürokratie-Abbau. Wir sehen mit Sorge, dass der regulatorische Erfüllungsaufwand seitens der Europäischen Union aber auch in Deutschland immer mehr Ressourcen bindet und zusätzliche Kosten bedeutet, die anderweitig als Mittel im Unternehmen fehlen und nicht ersetzt werden können. Gerade für mittelständische Unternehmen sind die zusätzlichen Kosten kaum mehr zu tragen. Was uns außerdem umtreibt sind der Fachkräftemangel, fehlende Investitionen in den Infrastrukturbereich und die Digitalisierung oder die Energieversorgung/ Energiepreise. Wäre Kanzler Olaf Scholz Ihr Geburtstagsgast – was würden Sie ihm an Wünschen und Forderungen auf den Weg geben, damit die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt? Mittlerweile haben Verbände und Experten zahlreiche konkrete Vorschläge unterbreitet, die leider nicht von der Politik aufgenommen werden. Auch aus ideologischen Gründen nicht. Nicht überraschend haben auch die jüngsten Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen zu keinem Kurswechsel geführt. Der Standort Deutschland verliert wertvolle Zeit bis zur nächsten regulären Bundestagswahl. Ich wünsche mir wieder Politiker, die das Interesse und das Wohl des Landes über die Eigeninteressen stellen. Wie beurteilen Sie die jüngsten Wahlerfolge von AfD und BSW? Wie sehr sehen Sie die Demokratie in Gefahr? Die Ergebnisse überraschen mich überhaupt nicht. Sie sind die Quittung der politischen Entscheidungen der vergangenen 15 Jahre. Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, dass sich die Politik selbstkritisch mit den Ursachen des Wahlausgangs auseinandersetzen möchte und die notwendigen Konsequenzen ziehen wird. Eine Gefahr für unsere Demokratie sehe ich nicht. Bei einem öffentlichen Wahlkampf-Auftritt vor gut zwei Wochen in Sömmerda (Thüringen) hatte AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke deutsche Familienunternehmen wegen deren Kampagne &bdquo;Made in Germany – Made by Vielfalt“ scharf angegriffen, ihnen Heuchelei vorgehalten und ihnen gewünscht, in &bdquo;schwere wirtschaftliche Turbulenzen“ zu kommen. Was sagen Sie als Vertreter eines Familienunternehmens zu derartigen Aussagen? Schadet bzw. gefährdet das Erstarken der AfD den Wirtschaftsstandort Deutschland? Den Familienunternehmen, die die Basis des Wohlstands in Deutschland bilden, ist es wichtig, mit internationalen Kooperationspartnern, Kunden und Mitarbeitenden in Offenheit, Vielfalt und Respekt umzugehen und für uns an allen Standorten selbstverständlich. Die wirtschaftliche Zukunft in Deutschland hängt zum großen Teil von der Diversität und Kreativität aller Mitarbeitenden ab. Eine Politik, die Vielfalt und Inklusion fördert, ist deshalb nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern auch ein Schlüsselfaktor für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand von Nationen. Die getätigten Aussagen sind Zeugnis großer Unwissenheit. Welche Folgen hätte eine erneute Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten für die europäische und speziell für die deutsche Wirtschaft? Ich habe mich schon öfter dazu geäußert, dass es für uns in Deutschland zweitrangig ist, ob demnächst ein republikanischer oder ein demokratischer Präsident/-in regieren wird. &bdquo;America first“ ist in den USA die Vorgabe, unabhängig davon ob Demokrat oder Republikaner. Mit dem Inflation Reduction Act in den USA hat der derzeitige Präsident für die nächsten Jahrzehnte den Rahmen für Investitionen in den USA vorgegeben, wogegen Europa oder Deutschland unzureichend Anreize bietet. Für den ehemaligen Exportweltmeister Deutschland wird es also nicht einfacher. Wenn Sie in den USA wählen dürften, für wen würden Sie stimmen – Kamala Harris oder Donald Trump? Ich bin in Deutschland in keiner Partei Mitglied und würde das sicherlich auch in den USA nicht sein. Ich bilde mir eine Meinung zu den Kandidaten und wähle dann aus. Wichtig ist mir nur eins: Wahlrecht bedeutet für mich Wahlpflicht. Das stärkt eine Demokratie. Nicht-Wählen gefährdet die Demokratie. Wenn Sie zu Ihrem Geburtstag einen Wunsch frei hätten: Was würden Sie sich wünschen? Mehr Miteinander als Gegeneinander. Das große Ganze im Blick zu haben. Nicht im Klein-Klein verlieren. Also gemeinsame Anstrengungen von Politik und Wirtschaft, um Deutschland und Europa schnell aus der Krise herauszuführen und wieder eine relevante Rolle zu spielen.

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