Espelkamp/Minden. Anfang April übernahm das Espelkamper Frauenhaus die Frauenberatungsstelle in Minden von der AWO, die sich aus finanziellen Gründen aus der Trägerschaft zurückgezogen hatte. Für Frauen in der Kreisstadt bedeutet das mehr als ein Aufrechterhalten des bestehenden Beratungsangebotes. „Wir sind Expertinnen in der Thematik häuslicher Gewalt und sehr gut vernetzt“, erklärt Geschäftsführerin Maria Köhn. Über 80 Prozent der von der Beratungsstelle betreuten Klientinnen berichten demnach von irgendeiner Form der Gewalt.
Die kreisweit tätige Beratungsstelle des Hexenhauses wird nicht nur auf Initiative betroffener Frauen hin tätig, sondern vielfach auch infolge sogenannter Wegweisungen durch die Polizei. Erfolgt aufgrund von häuslicher Gewalt ein Polizeieinsatz, in dessen Rahmen eine Wegweisung ausgesprochen wird, gilt für den Täter ein zehntägiges Rückkehrverbot. Die Daten seines Opfers werden von der Polizei an die Beratungsstelle des Hexenhauses weitergegeben und diese nimmt innerhalb von zehn Tagen proaktiv Kontakt mit der Frau auf.
Oft die erste Anlaufstelle für Frauen
Über 40 Prozent der Wegweisungen, die kreisweit ausgesprochen werden, finden laut Beraterinnen in Minden statt. Durch städtischere Strukturen seien dort weniger Frauen mobil, ein Auto sei im Alltag oftmals nicht unbedingt erforderlich. Eine barrierearme Beratungsstelle in Minden zu erhalten, sei den Verantwortlichen auch vor diesem Hintergrund ein großes Anliegen gewesen.
Die neuen Räumlichkeiten in der Obermarktstraße 29 seien vom ZOB fußläufig erreichbar und überdies in einem Gebäude mit Kooperations-Beratungsstellen wie dem paritätischen Wohlfahrtsverband gelegen. Auf enge Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern legen die Beraterinnen nach eigener Aussage großen Wert. „Wir können nicht alles und wollen das auch gar nicht, aber wir sind oft die erste Anlaufstelle für die Frauen“, erklärt Maria Köhn.
Hexenhaus verfolgt systemischen Ansatz
Ihre jeweilige Gesamtsituation zu besprechen und dann passgenaue Hilfen zu erarbeiten, sei Aufgabe der Beratungsstellen. Dazu könne eine Zusammenarbeit mit dem Jugendamt gehören, Schuldnerberatungen und eine weiterführende Therapie. Der Mangel an Therapieplätzen sei ein großes Problem. Zudem sei es selten geworden, dass Frauen mit einem losgelösten Problem eine Beratung in Anspruch nehmen würden. Oft seien es Multiproblemlagen, die die Frauen zu den Beraterinnen führen, so Sabrina Stork, Teamleiterin des Kompetenzzentrums gegen häusliche Gewalt.
Kontaktaufnahme auf Wunsch auch anonym
„Ziel unserer Arbeit ist es, ein langfristiges, ganzheitliches Konzept mit den Frauen zu entwickeln, damit sie sich in ihrem weiteren Leben selbst schützen und sicher fühlen können“, erklärt Elke Schmidt-Sawatzki, langjährige Geschäftsführerin des Espelkamper Hexenhauses. Wichtig sei auch, dass betroffene Frauen sich nicht zu erkennen geben müssen, wenn sie sich an die Beratungsstelle wenden. Eine Kontaktaufnahme könne online, telefonisch oder persönlich erfolgen, auf Wunsch auch anonym.
Frauen, die ein persönliches Gespräch wünschen, sich aber darum sorgen, in ihrem Umfeld erkannt zu werden, könnten mit den Beraterinnen Termine an sicheren Orten vereinbaren. Das könnten etwa Kindergärten sein, Räume von Kooperationspartnern, Beratungsstellen in anderen Orten oder auch die eigene Wohnung. „Wir kommen an den Ort der Frau, das ist ein Spezifikum, das uns auszeichnet“, sagt Elke Schmidt-Sawatzki.
Mit dem Hexenhaus würden viele Menschen immer noch vorrangig das Frauenhaus verbinden. Das Hexenhaus sei aber viel mehr als das. Auch in Minden sei es schon seit vielen Jahren mit verschiedenen Angeboten, wie etwa dem teilstationären oder ambulant betreuten Wohnen, vertreten. Etwa die Hälfte des Personals werde bereits jetzt in Minden beschäftigt.
Zahl der Klientinnen fast verdoppelt
„Perspektivisch wird sicher weiterer Personalbedarf bestehen“, sagt Maria Köhn. Mit Blick auf die Einwohnerzahl Mindens sei eine halbe Stelle in der Frauenberatung dauerhaft vermutlich nicht ausreichend, valide Zahlen könne man nach knapp eineinhalb Monaten der Beratung in Minden aber nicht nennen. Klar sei, dass die Beratungsstelle gut angenommen werde.
Insgesamt habe sich die Zahl der Klientinnen des Hexenhauses kreisweit innerhalb von drei Jahren zwischen 2020 und 2022 nahezu verdoppelt. Allein im Jahr 2022 habe es insgesamt 816 Beratungskontakte gegeben. Neben Trennungen, Scheidungen, Süchten und Co-Abhängigkeiten seien es in der überwiegenden Mehrheit der Fälle Gewalterfahrungen, die Frauen dazu bewegen, Angebote des Trägervereins „Hilfe für Menschen in Krisensituationen e.V.“ in Anspruch zu nehmen.
„Die Gewalt nimmt zu“, sagt die Geschäftsführerin. Auch die Form, in der Gewalt gegenüber Frauen in Erscheinung trete, unterliege einem Wandel. So sei etwa digitale Gewalt, wie digitales Stalking, nicht zu unterschätzen, betont Elke Schmidt-Sawatzki. Außerdem sei Gewalt nicht plötzlich da, sondern fange meist klein an. Ein gesellschaftlicher Diskurs zum Thema Gewalt und ein Bewusstsein für ihre Formen und die Rechte von Frauen sei in der Prävention entscheidend. „Es ist wichtig, dass Frauen Worte haben für das, was ihnen passiert ist“, ist sich das Team einig.
Aufgrund dieser Entwicklungen könne man das Konzept des Hexenhauses nicht in eine Schublade stecken. „Das Konzept des Hexenhauses entwickelt sich immer am Bedarf der Klientinnen“, erklärt Sabrina Stork. Ganz gleich, welche Angebote die Frauen letztlich in Anspruch nehmen, ob es bei einer ersten Beratung bleibt oder weitergehende Maßnahmen ergriffen werden: „Wir sind der festen Überzeugung, dass keine Frau so geht, wie sie gekommen ist.“