Häusliche Gewalttaten oft schwerer während der Corona-Zeit im Mühlenkreis

Kreis Minden-Lübbecke. Zu Beginn der Corona-Pandemie und gerade im Lockdown warnten viele Experten davor, dass das durch den Virus erzwungene Zusammenleben von Familien auf engstem Raum zu einem Anstieg der häuslichen Gewalt führen würde. Die Einsatzzahlen der Polizei im Kreis Minden Lübbecke für die erste Hälfte des Jahres sind jedoch rückläufig. Mitarbeiterinnen des Frauenhauses "Hexenhaus" in Espelkamp warnen jedoch: Das bedeute nicht, dass die Gewalt tatsächlich zurückgegangen ist. Laut der Polizei Minden-Lübbecke wurden im Kreis bis Ende Juli dieses Jahres 250 Fälle häuslicher Gewalt erfasst. Das sind 80 Fälle weniger als im selben Zeitraum im Vorjahr und das obwohl die Deliktzahlen in diesem Bereich seit 2017 kontinuierlich steigen. Die Zahlen seien "deutlich rückläufig", schreibt Pressesprecher Ralf Steinmeyer dazu. Derselbe rückläufige Trend wie im Kreis ist in der Corona-Zeit auch in ganz NRW zu beobachten. Maria Köhn, Bereichsleiterin im Frauenhaus Hexenhaus in Espelkamp, bezweifelt allerdings, dass das auch bedeutet, dass die häusliche Gewalt wirklich abgenommen hat. "Der Zugang zu Hilfe für Betroffene wurde durch den Lockdown deutlich schwieriger", sagt sie. Familien lebten enger zusammen als sonst So seien Institutionen wie Schulen oder Kitas, aber auch der Kontakt zur Familie weggefallen, bei denen Betroffene ansonsten Kontakte oder Unterstützung hätten finden können. Stattdessen lebten Familien wegen Kurzarbeit oder Home Office viel enger zusammen als sonst. "Die Fluchtmöglichkeiten von vielen Frauen waren beeinträchtigt." So sei es zum Beispiel schwieriger geworden unbemerkt an die eigenen Dokumente heranzukommen oder die Kinder sicher mit auf eine mögliche Flucht zu nehmen. Posteraktion in den Supermärkten Weil der Zugang zu Informationen, wo es Hilfe gibt, für viele Frauen eingeschränkt war, hatte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) eine Posteraktion in deutschen Supermärkten gestartet. "Für viele Frauen war der Gang zum Supermarkt die einzige Möglichkeit, sich unauffällig zu informieren", sagt Sabrina Stork, Teamleiterin im Kompetenzzentrum gegen häusliche Gewalt des Hexenhauses. Anrufe bei der "Helpline" des Hexenhauses deutlich gestiegen Das sehen die Mitarbeiterinnen des Hexenhauses auch in den hausintern erhobenen Zahlen bestätigt. Von März bis Mai habe es deutlich weniger Anfragen auf einen Platz im Hexenhaus gegeben. Und das in einer Zeit in der die ohnehin schon stark gefragten Plätze für zehn Frauen und acht Kinder aufgrund von Hygieneauflagen hatten halbiert werden müssen. Trotzdem seien die Anrufe bei der hauseigenen "Helpline" im gleichen Zeitraum deutlich angestiegen. Ab April seien auch die Anfragen in der Frauenberatung im Haus auf einen absoluten Höchststand geklettert. "Ab Mai waren wir im Frauenhaus dann wieder rappelvoll", sagt Köhn. Seitdem sei die Tendenz wieder steigend. "Dazu war die Gewalt in diesen Fälle häufig schwerer und die Eskalationen in den Beziehungen schneller." Eine ähnliche Entwicklung gibt es auch bei der Hilfsorganisation Weißer Ring im Kreis. Im April betreuten sie keinen einzigen Fall. Erst ab Mai melden sich wieder Betroffene. "In der Zeit des Lockdowns war unsere Arbeit sehr schwierig, weil wir nicht zu den Betroffenen rausfahren konnten. Erst ab Ende Mai konnten wir uns wieder von Angesicht zu Angesicht mit ihnen treffen", sagt Ingrid Liebs, Leiterin der Kreis-Außstenstelle des Weißen Rings. Das Loch im April ist für sie "total ungewöhnlich". Auch beim Weißen Ring ist nach dem Lockdown eine leicht steigende Tendenz zu erkennen. Während sich dort im Mai um zwei Fälle von häuslicher Gewalt und je ein Fall von Missbrauch und Stalking gekümmert wird, sind es im Juli bereits wieder drei Fälle häuslicher Gewalt, sechs Fälle von Missbrauch, zwei Fälle von Stalking sowie eine schwere Körperverletzung. Ganz anders sieht es beim Jugendamt des Kreises aus. Hier gibt es zwar einige Schwankungen zwischen den Monaten dieses Jahres. So gibt es im März 31 Fälle von Kindeswohlgefährdung und im April 48. Insgesamt würden sich die Zahlen aber ungefähr auf dem Vorjahresniveau bewegen, heißt es von der Pressestelle des Kreises. Ausgenommen bei den Zahlen sind die Gemeinden Minden, Bad Oeynhausen und Porta Westfalica, da sie über eigene Jugendämter verfügen. "Die Gewalt wird uns weiterhin begleiten" "Die Gewalt gab es schon vorher und sie wird uns auch weiterhin begleiten", sagt Köhn vom Hexenhaus. Denn auch wenn keine Pandemie herrscht, hätten Frauen, die Gewalt erleben, mit Stigmatisierung zu kämpfen. "Gerade wo ein stark religiöses oder konservatives Denken vorherrscht, wird den Betroffenen häufig selbst die Schuld gegeben", sagt Köhn. "Oder totgeschwiegen", ergänzt ihre Kollegin Stork. Deshalb sei es umso wichtiger, den Betroffenen zu zeigen, dass sie sich nicht verstecken müssen. Hilfsangebote für betroffene Frauen: Frauen mit und ohne Kinder, die sich in einer Gewaltsituation befinden können das Frauenhaus Hexenhaus tagsüber telefonisch unter (0 57 72) 97 37 0 erreichen. Zudem kann 24 Stunden am Tag die Helpline 01 80 54 46 44 4 angerufen werden. Der Weiße Ringe ist wochentags von 9 bis 18 Uhr telefonisch unter 01 51 55 16 48 62 zu erreichen, sowie per Mail über die Adresse weisser-ring.minden-luebbecke@t-online.de. Die Hilfsorganisation bietet Betroffenen unter anderem Rechtsberatung, Begleitung und Hilfe im Umgang mit Behörden an.

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