Kommunalwahl in Bad Oeynhausen: Auch die Toleranz hat Grenzen

Es geht nicht um eine Tätowierung. Es geht auch nicht darum, was sie symbolisieren soll, denn wer an der Eindeutigkeit der Botschaft zweifelt, ist seiner Sinne längst beraubt. Wer sich als erwachsener Mann einen Reichsadler stechen lässt, der ein umkränztes Eisernes Kreuz in den Fängen hält, und dieses Bild als Liebesbeweis verstanden wissen will, der will – bewusst oder unbewusst – das Denken umstrukturieren. Es steht zu vermuten, dass er damit durchkommt. Ist heute wirklich alles egal, sobald es legal ist? Auch für den AfD-Bürgermeisterkandidaten Michael Grove, der so stolz darauf ist, ein Deutscher zu sein, dass er den Reichsadler unter der Haut trägt, dürften &bdquo;Hitler und die Nazis nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ sein. Mit der Aussage hatte der heutige Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, anno 2018 den öffentlichen Diskurs wieder weiter nach rechts verschoben. Der pawlowsche Reflex der offenen Gesellschaft war und ist ordnungsgemäße Empörung, gefolgt von Verdrängung – die allerdings als Toleranz missverstanden wird. Zum Thema: Rechte Symbolik: Bad Oeynhausener AfD-Bürgermeisterkandidat wegen Tattoo ausgeladen Uneingeschränkte Toleranz führt zum Verschwinden der Toleranz Schon der Positivist Karl R. Popper kannte das &bdquo;Paradox der Toleranz“. Er musste vor den Nazis aus Wien fliehen und formulierte mit Blick auf Barbarei, die hätte verhindert werden können: &bdquo;Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn (...) wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“ Es spricht nicht für die Entwicklung unserer aufgeklärten Zivilisation, dass in Bad Oeynhausen ein Mann Bürgermeister werden will, der ein toleriertes, deshalb aber nicht uneindeutigeres Symbol derer auf dem Arm trägt, die mit der menschlichen Zivilisation in toto gebrochen haben. Dass er sich traut, auch noch stolz darauf zu sein, spricht Bände. Und das kann er nur, weil die Toleranten ihn gesellschaftlich nicht ächten. Das scheint er zu wissen. Doch neben falsch verstandener Toleranz gegenüber Rechtsextremen gibt es ein Phänomen, das tiefer reicht: Immer mehr Wahlberechtigte - auch in Bad Oeynhausen - scheint das Nazi-Getue der völkischen AfD nicht abzuschrecken. Sie wählen die AfD und deren nicht immer ganz sattelfeste Kandidaten nicht trotz, sondern wegen deren Verachtung für den demokratischen Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie. Hier drängt sich deshalb die Frage auf, ob da Täter oder (fehlgeleitete) Opfer Kreuze machen. Wenn die (noch) demokratische Mehrheit das weiterhin toleriert, wird sie eher früher als später merken, was Intoleranz ist. Meinung: Der Umgang mit der AfD in Bad Oeynhausen: Spiel mit den Schmuddelkindern &bdquo;Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt“ Der große Denker Herbert Marcuse brachte die notwendige Reaktion auf eine solche Provokation schon anno 1965 zu Papier: &bdquo;Toleranz kann allerdings nicht unterschiedslos und gleich sein hinsichtlich der Inhalte des Ausdrucks in Wort und Tat; sie kann nicht falsche Worte und unrechte Taten schützen, die demonstrierbar den Möglichkeiten der Befreiung widersprechen und entgegenwirken.“ Damit ist Marcuse nicht alleine: In Thomas Manns Zauberberg heißt es: &bdquo;Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt.“ Und Umberto Eco forderte: &bdquo;Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen festlegen, was nicht mehr tolerierbar ist.“ Nur ist unsere Gesellschaft derzeit damit beschäftigt, die Grenzen des Tolerierbaren bis in die Unendlichkeit zu dehnen. Wer tolerant sein will, muss die Menschenrechte der Andersdenkenden achten – aber keineswegs jede Überzeugung dulden. Leider leben wir in einer Zeit, in der Überzeugungen sich nicht mehr kritisch verhandeln lassen müssen, sondern ungeprüft ihre Berechtigung erlangen. Jeder Depp hat sein eigenes Online-Forum und findet Gleichgesinnte, die sich in ihm und/oder seinen &bdquo;Überzeugungen“ wiederfinden. Der Politologe und Philosoph Rainer Forst hat die Konsequenz zusammengefasst: &bdquo;Es wird massiv an einer Umwertung aller Werte gearbeitet, und wir wissen nicht, was von Begriffen wie Demokratie, Freiheit oder Gerechtigkeit bleibt, wenn diese Arbeit verrichtet ist. Wir haben es demnach mit einer veritablen Identitätskrise der Demokratie zu tun, der ihr Selbstverständnis zerfließt.“ Und genau das ist das Ziel der AfD. Als Bewegung will sie erklärtermaßen die Demokratie dadurch destabilisieren, dass sie die Spielregeln der Demokraten nutzt, um das Spielfeld zu zerstören. Wer das noch immer toleriert, dem könnten bald Schwärme von Reichsadlern entgegenkommen. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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