Kinderschutz in der Krise: Wie Bad Oeynhausen gegen Überlastung im Jugendamt ankämpft

Bad Oeynhausen. Die Jugendämter in Nordrhein-Westfalen arbeiten am Limit. Personalmangel, pandemiebedingte Mehrbelastung, zu viel Einzelfälle für die jeweiligen Sachbearbeiterinnen und -bearbeiter. 150 Jugendämter geben einem Medienbericht zufolge an, dass sie den Schutz der Minderjährigen derzeit schlecht gewährleisten können. Vor allem der ASD, der allgemeine Sozialdienst, sei betroffen. Da es an Personal und Unterbringungsmöglichkeiten wie Wohngruppen für Betroffene mangelt, würden gefährdete Kinder länger in ihren Familien bleiben, ohne dass es zu Inobhutnahmen kommt, heißt es. Doch wie sieht das in der Kurstadt aus? Auch in der 50.000-Einwohner-Stadt sind die Belastungen hoch. Dabei, so sagt Stadtsprecher Volker Müller-Ulrich, spielten mehrere Faktoren eine Rolle. &bdquo;Durch die fehlenden Plätze in der stationären Jugendhilfe entsteht für die Mitarbeiterinnen ein hoher Zeitaufwand bei der Suche“, so Müller-Ulrich. Das wiederum führe zu Stress und der Frage, ob das alles in der Rufbereitschaft leistbar sei. &bdquo;Oftmals müssen individuelle Lösungen mit verschiedenen Trägern gefunden werden.“ Denn hinter jedem Einsatz stehe das individuelle Schicksal eines Kindes. &bdquo;Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes ist das herausfordernd. Diese Fälle sind mit dem Feierabend nur schwer abzulegen.“ Die Zahl der Meldungen unter dem Stichwort Kindeswohlgefährdung sind massiv gestiegen. Hinzu kommt eine zunehmende Komplexität der Fälle, weil mehr Faktoren eine Rolle spielen. &bdquo;Und es gibt immer wieder neue gesetzliche Bestimmungen“, so der Stadtsprecher. Im Bad Oeynhausener Jugendamt gebe es seit langem eine hausinterne Fallobergrenze. Wird die erreicht oder würde sie gar überschritten, wird unmittelbar nachgesteuert. &bdquo;Dann können wir auch unterjährig Stellen anpassen.“ Denn der Kinderschutz sei ein wichtiges Thema. &bdquo;Bisher haben wir deshalb keine Überlastungsanzeigen der Mitarbeitenden.“ Zehn Menschen auf 9,1 Stellen im Allgemeinen Sozialdienst Aktuell arbeiten zehn Menschen auf 9,1 Stellen im Allgemeinen Sozialdienst des Jugendamtes. &bdquo;Wir haben derzeit alle Stellen besetzt und jüngst noch eine neu besetzt.“ Sie kümmerten sich im vergangenen Jahr um 32 Inobhutnahmen, also Vorfällen, in denen Kinder aus den Familien genommen werden. Im Jahr zuvor waren es noch 39 Inobhutnahmen. Davon betroffen sind in erster Linie die Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren. Im Jahr 2023 waren neun Kinder zwischen 0 und 5 Jahre alt, elf Kinder zwischen 6 und 12 Jahre sowie 19 Kinder zwischen 13 und 18 Jahre alt, die das Jugendamt unterbringen musste. Im vergangenen Jahr waren es ebenfalls 19 Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahre sowie neun Kinder zwischen 6 und 12 Jahre und vier Kinder jünger als fünf Jahre. &bdquo;Wir haben seit Anfang 2024 eine Kooperation mit der Elsa-Brandström-Jugendhilfe in Minden“, erklärt Volker Müller-Ulrich. Der Platz dort werde pauschal finanziert und könne bei Bedarf in Anspruch genommen werden. &bdquo;Bisher ist es in Bad Oeynhausen noch nicht vorgekommen, dass ein betroffenes Kind längere Zeit keinen Unterbringungsplatz bekommen hat. Wir konnten bisher immer sofort handeln.“ Lesen Sie auch: Das Jugendamt Bad Oeynhausen hat immer mehr zu tun Einen Bedarf an Plätzen gibt es aber für die Altersgruppe bis sechs Jahre. &bdquo;Dort fehlen stationäre Angebote.“ Und auch das Thema Prävention in den Familien ist ausbaufähig.“ Aber dafür brauche es Zeit - die natürlich bei vielen zu betreuenden Fällen einfach fehle. &bdquo;Da fällt das Thema Prävention dann hinten runter.“ Schon im Mai 2024 hatten Mitarbeiter des Jugendamtes im Jugendhilfeausschuss Zahlen vorgestellt. Dabei wurde deutlich: Corona hat der Jugend nicht gut getan. Schulschließungen und fehlende Freizeitangebote haben vielleicht die Senioren geschützt, für Kinder und Jugendliche aber war das eine Fehlentscheidung. Mit Folgen, die vermutlich noch Jahre anhalten werden. Dass Corona auch die Fallzahlen im allgemeinen Sozialdienst (ASD) des Jugendamtes hat ansteigen lassen, belegten die Folien, die Vanessa Bigalke, Loryn Steffen und Jan Hornkohl von der wirtschaftlichen Jugendhilfe der Stadt für den Jugendhilfeausschuss zusammengestellt hatten. Video zum Thema: Mehr als sieben Millionen Euro Kosten Aber nicht nur das: Auch die Ausgaben sind exorbitant gestiegen. Mehr als 7,5 Millionen Euro kostet die Stadt jährlich die Hilfen für die Jüngsten. Tendenz steigend. Die Zahlen sprechen für sich. Waren es 2018 noch 246 Fälle, haben sich die Zahlen bis 2023 fast verdoppelt. 429 Fälle verzeichnen die Jugendamtsmitarbeiter für das vergangene Jahr, in denen sie aktiv werden mussten. Zu den sogenannten Fällen zählen ambulante Hilfen wie eine sozial-pädagogische Familienhilfe oder eine Integrationskraft in der Schule, aber auch teilstationäre Hilfen wie Tagesgruppen und stationäre Hilfen wie das klassische Heim, Inobhutnahmen oder Unterbringungen in Mutter-/Vater-Kind-Einrichtungen. Vor allem Letzteres sei eine besonders teure Lösung. Insgesamt stehen unterm Strich im Jahr 2018 Kosten von rund drei Millionen Euro – 2023 sind es bereits rund 7,5 Millionen Euro. Lesen Sie auch: Das &bdquo;Haus der Jugend“ in Bad Oeynhausen sucht einen neuen Namen Die Zahl der Familien, die bereit seien, Pflege-Kinder aufzunehmen, sinke beständig. Weil aber die Probleme in den Familien gleichzeitig zunehmen, brauche es mehr direkte Hilfe in den Familien. Das bedeutet: mehr ambulante Hilfen und manchmal auch Hilfe in stationären Einrichtungen. Das Bad Oeynhausener Jugendamt arbeitet dabei mit 50 freien Trägern zusammen, die alle aus dem Umkreis der Kurstadt kommen – in der Stadt selbst gibt es keinen Anbieter. Einer dieser Träger ist die Elsa-Brandström-Jugendhilfe des Deutschen Roten Kreuzes in Minden. &bdquo;Wir haben immer mehr Anfragen von Jugendämtern, aber kein Personal für weitere Plätze“, sagte deren Einrichtungsleiter Graham Lewis in der Sitzung. Den Mitarbeitern gehe es dabei meist gar nicht um die Bezahlung (Lewis: &bdquo;Die ist seit der Tariferhöhung richtig gut.“), sondern um Freizeit und wenig Verantwortung. &bdquo;Die jungen Berufseinsteiger wollen gar nicht die Verantwortung fürs Kindeswohl übernehmen“, weiß er. Vor allem im Bereich für Kinder unter sechs Jahren fehlten Plätze, so Lewis. &bdquo;Die sind teilweise zwei Jahre in Bereitschaftspflege, weil es keine Anschlussangebote gibt.“ Deshalb plant die Elsa-Brandström-Jugendhilfe zwei neue Projekte. &bdquo;Wir bieten erstmals in Bad Oeynhausen eine Wohngruppe mit drei Plätzen an und bauen dieses Jahr in Minden sechs Plätze für Kinder unter sechs – davon bekommt Bad Oeynhausen zwei zur Verfügung gestellt.“ 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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