So läuft die Suche nach Nazi-Raubkunst im Bad Oeynhausener Märchenmuseum

Bad Oeynhausen. Die Geister der Vergangenheit lauern in jeder Ecke des Märchenmuseums. Um sie ans Tageslicht zu holen, muss Museumsleiter Hendrik Tieke nicht erst in den Museumskeller absteigen und im Magazin danach suchen. Ein Beispiel hängt griffbereit unweit der Eingangstür. Es ist eine Art Comic-Strip über &bdquo;Till Eulenspiegel“. Das Blatt stammt aus Frankreich. Es ist offenbar in den 1940er Jahren in den Besitz des Museumsgründers Karl Paetow gelangt. 1972 hat er es der Stadt Bad Oeynhausen mit rund 4.300 anderen Exponaten gestiftet. Die geschenkte Sammlung macht 51 Jahre später Probleme - seitdem die NW und der Historiker Norbert Sahrhage die Vergangenheit von Karl Paetow ausleuchten. Der Museumsgründer war 1942/43 in Paris im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) am Kunstraub der Nazis in Frankreich, Belgien und den Niederlanden beteiligt, hat den Bestand von Bibliotheken und Galerien und Wohnzimmer-Kunst von Juden und Freimaurern im Auftrag der Nazis beschlagnahmt, inventarisiert und ins Reich geschafft. Seine Tätigkeit im ERR hat Paetow in seinem Entnazifierungsverfahren angegeben. Es ist aber fraglich, ob die Richter der Spruchkammern wussten, was das bedeutet. Bei der Einstellung als Leiter des Kreisheimatmuseums und des Tabakmuseums in Bünde 1951 hat er die ERR-Tätigkeit verschleiert, das haben Recherchen im Kreisarchiv Herford ergeben. Angesichts der Nazi- und Raubkunst-Vergangenheit von Paetow steht der Verdacht im Raum, dass im Märchenmuseum auch Nazi-Raubkunst zu finden sein könnte. 15 Bewerbungen für Forscher-Stelle Von wem also hat Paetow das Eulenspiegel-Blatt bekommen? Gibt es einen Kaufbeleg und woher und unter welchen Umständen hat der Käufer das Blatt erworben? Lassen sich dahinter Netzwerke identifizieren? Diese Fragen soll im nächsten Jahr ein Kunsthistoriker im Auftrag der Stadt Bad Oeynhausen klären. Die Stadtverwaltung bekommt für die Forschung rund 200.000 Euro von der Bundesstiftung Kulturgutverluste. Auf die auf zwei Jahre befristete Stelle haben sich 15 Bewerber gemeldet. Anfang November sollen die Bewerbungsgespräche geführt werden, erklärt Stefan Tödtmann, Beigeordneter für Bürgerdienste. Bevor die eigentliche Raubkunst-Forschung beginnen kann, muss das Märchenmuseum Inventur machen. Bislang weiß Museumsleiter Hendrik Tieke zwar, dass das Museum zahlreiche Ausstellungsstücke im Magazin hat. Sie sind in teils handschriftlich geführten Inventarbüchern zu finden. Allerdings weiß Tieke nicht, wo sich die Exponate befinden. Die Inventarlisten haben keine Standortangaben. &bdquo;Für ein kleines Museum wie das Märchenmuseum ist das nicht ungewöhnlich“, sagt der Beigeordnete Tödtmann. Systematische Forschung macht das aber unmöglich. Noch im April hat Museumschef Tieke deshalb die Öffentlichkeit um Hilfe gebeten und dazu aufgerufen, ehrenamtlich bei der Inventarisierung mitzuwirken. Gemeldet haben sich acht Menschen, sechs davon aus Bad Oeynhausen, darunter die Kulturausschussvorsitzende Beate Baron, außerdem ein Literaturhistoriker aus Bielefeld und eine Krankenschwester aus Hannover. Sie alle haben in ihrer Freizeit die Voraussetzung dafür geschaffen, dass das Märchenmuseum seine Vergangenheit aufarbeiten kann. 85 Prozent der Vorarbeit sind getan Eine dieser Helferinnen ist Petra Kentsch. Seit 20 Jahren lebt die Eisenbahnerin in der Kurstadt und hat bis zum Ruhestand bei der Deutschen Bahn im Verkauf gearbeitet, allerdings nicht am Schalter, sondern im Verkauf von Fahrzeugen. Das Angebot des Märchenmuseums hat sie angesprochen. &bdquo;Der Reiz liegt in der Teamarbeit“, sagt sie. Interesse an Geschichte und Vergangenheitsbewältigung hat sie außerdem mitgebracht. Neben ihr am Campingtisch im großen Ausstellungsraum sitzt Cornelia Lack, die auch als Stadtführerin und Märchenerzählerin dem Museum verbunden ist. Ihr ist wichtig, dass das Museum als Institution weiter besteht. Die Schlagzeile vom &bdquo;braunen Märchenonkel“ bedeute nämlich nicht, dass das ganze Märchenmuseum braun sei, erklärt sie dem Reporter. Die beiden Frauen tippen die Inventarlisten in eine große Excel-Tabelle ab. &bdquo;85 Prozent haben wir geschafft“, sagt Hendrik Tieke. Das Museum hat dieses Jahr keine Sonderausstellung gezeigt und die Öffnungszeiten aufs Wochenende beschränkt, damit das hauptamtliche Museumsteam sich auf die Inventarisierung konzentrieren kann. Noch in diesem November soll die Tabelle stehen. Parallel dazu fotografiert Eva-Maria Böversen jedes Exponat an seinem Standort im Magazin von zwei Seiten. Etwa 24.000 Fotos hat sie schon gemacht. Rund 30.000 Fotos müssen dann später der Inventarliste zugeordnet werden. Eine Mammutaufgabe. Die Arbeit aber wird auf viele Schultern verteilt - und ist auch im Homeoffice möglich, so Tieke: &bdquo;Wir haben es mit gewaltigen Datenmengen zu tun.“ Beistiftungen aus Paetows Nachlass bis 2006 Damit das alles schneller geht, hat der Museumschef die Sammlung Paetow mit den 4.300 Exponaten, darunter 1.553 Bücher, als erstes ausfindig gemacht und inventarisiert. Paetow hat jedem Einzelteil seinen Stempel aufgedrückt. Allerdings sind später weitere Märchenartefakte aus seinem Nachlass dem Museum geschenkt worden. Zuletzt 2006 nach dem Tod seiner zweiten Frau Eva. Diese Stücke haben keinen Stempel - und auch sie könnten aus Raubkunst stammen. In der Büchersammlung zeigt Bibliothekarin Sylvia Stepanek ein französisches Buch über Feen-Erzählungen aus der Sammlung des Museumsgründers. &bdquo;Wenn man so ein Exponat in die Hand nimmt“, sagt Museumsleiter Tieke, &bdquo;dann fragt man sich schon, ob der vorherige Eigentümer in den Gaskammern den Tod gefunden hat.“

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