Erzieherin berichtet in Bad Oeynhausen von schlagenden Kita-Kindern und drohenden Eltern

Bad Oeynhausen. Das Coronavirus ist nicht bloß ein medizinisches Problem. Es hat auch die Gesellschaft infiziert. Die Spätfolgen der Pandemie bekommen derzeit Erzieherinnen und Erzieher in Kindertagesstätten (Kita) und Offenen Ganztagsschulen (OGS) zu spüren. Die vorsorglich verordnete Vereinzelung, die Digitalisierung und die Heimarbeit der Eltern haben Spuren bei den Eltern und damit auch bei den Kindern hinterlassen. Die Erzieherin Marion Gärtner berichtete Mittwochabend vorm Jugendhilfe- und Schulausschuss des Stadtrates von schlagenden Kindern und drohenden Eltern. Ihr Bericht erschütterte die Politik. Gärnter schilderte eigene und die Erfahrungen ihrer Kolleginnen. Die Fachbereichsleiterin Kita und OGS der Johanniter im Kreis Minden-Lübbecke tauscht sich kreisweit mit Erzieherinnen aus. Demnach berichten Kita-Mitarbeiterinnen aus dem Mühlenkreis Ähnliches: Insbesondere junge Familien hätten während der Coronakrise vergleichsweise wenig Unterstützung erfahren. &bdquo;Das fällt uns jetzt auf die Füße“, so Gärtner. Den Kindern fehle es an grundlegenden Kompetenzen. Sie könnten nicht mehr beim Essen am Tisch sitzen, sondern liefen mit dem Brötchen durchs Haus, könnten sich nicht allein anziehen, keine Konflikte austragen und aushalten. &bdquo;In der Kita gelten aber andere Regeln als zu Hause.“ Kürzlich erst habe ein Kind sogar eine Erzieherin geschlagen, weil es nicht seinen Willen bekommen habe. Übergriffe durch Eltern Doch vor allem die Mentalität der Eltern habe sich gewandelt, so Gärtner. Viele träten gegenüber Erzieherinnen mit Anspruchsdenken auf. &bdquo;Die Zündschnur ist gerade ganz kurz.“ Ein Vater habe ihr am Telefon sogar erklärt, er wisse, wo sie wohne. &bdquo;Wir sind 500 hier im Kreis - sehen Sie sich vor!“ Solch ein Verhalten wollen Erzieherinnen künftig zur Anzeige bringen. In Köln würden Kitas teilweise durch Sicherheitsdienste bewacht, um Übergriffe von Eltern zu unterbinden. &bdquo;Wir haben ganz viele tolle Familien“, betonte Gärtner: &bdquo;Die anderen kosten uns nur ganz viel Kraft.“ Ralf Sensmeyer (SPD) sagte dazu: &bdquo;Ich bin geschockt.“ Grünen-Fraktionschef Volker Brand mahnte Konsequenzen an und sagte: &bdquo;Uns entgleitet ein Teil der Kinder und Jugendlichen.“ Julian Noweck (CDU) wies darauf hin, dass zu viel auf die Kommunen abgewälzt würde: &bdquo;Wenn die Taschen leer sind, kann man nichts mehr rausholen.“ Gerhard Beckmann (SPD) schlug vor, die Sozialarbeit in der Stadt mit neuen Stellen zu stärken. Und genau das beschloss der Ausschuss nach zehn Minuten Beratungspause einstimmig. Lesen Sie auch: Darum verzichten Kitas in OWL auf Millionen Euro vom Land Stefan Tödtmann, Beigeordneter für Bürgerdienste, schilderte dem Ausschuss, was bereits an Präventionsarbeit durch die Stadtverwaltung und deren Kooperationspartner geleistet wird. Die Leerstellen der Fürsorge sparte er dabei aber nicht aus. So klagen beispielsweise alle Träger von Kitas und Offenen Ganztagsschulen über mangelhafte Finanzierung. Das Land NRW müsste eigentlich diese Finanzierung leisten, hat aber nur teilweise gezahlt und erst fürs nächste Jahr Besserung versprochen. Damit tut sich auch in den Kitas der Kurstadt eine Finanzierungslücke auf. Seit Monaten klopfen die Kita-Träger an die Rathaustüren, um Geld von den Kämmerern zu bekommen. Die Kurstadt übernimmt 75 Prozent Der Kirchenkreis Vlotho hat bereits im vergangenen Jahr einen erhöhten Kostenzuschuss bei der Stadt Bad Oeynhausen beantragt. Gleiches gilt für die AWO. Alle kirchlichen und freien Träger müssen laut Kinderbildungsgesetz (Kibiz) in Bad Oeynhausen einen Eigenanteil zur Finanzierung der Kitas leisten, der zwischen 3,4 und 10,3 Prozent der Betriebskosten beträgt. Weil die Kosten für Personal und Betreuung aber schneller wachsen, als die Ausgleichszahlungen vom Land steigen, entsteht die Deckungslücke. Die Kirchen haben zudem immer weniger Geld aus Kirchensteuern zur Verfügung. Ähnliches gilt laut Verwaltung auch für die Spenden bei den freien Trägern. Bad Oeynhausen wird diese Lücke trotzdem bloß teilweise stopfen. &bdquo;Wir lassen das Land nicht aus der Verantwortung“, sagte Stefan Tödtmann, Beigeordneter für Bürgerdienste. Würde die Kurstadt bei allen Kita-Trägern die Eigenanteile übernehmen, bedeutete das etwa eine halbe Million Euro Mehrkosten im Jahr, rechnete der Beigeordnete vor und sagte: &bdquo;Das sehen wir nicht ein.“ Die AWO beantragte sogar eine Kostenübernahme über den eigenen Trägeranteil hinaus. Auch das wolle Bad Oeynhausen nicht leisten. Einstimmig folgte der Jugendhilfeausschuss seinem Vorschlag, die Übernahme der Trägeranteile stufenweise bloß auf bis zu 75 Prozent im Kindergartenjahr 2027 zu erhöhen, aber nicht vollständig zu ersetzen. Lesen Sie auch: Kita-Träger aus OWL kritisieren Rettungspaket des Landes Bad Oeynhausen steht mit dieser Haltung allerdings ziemlich einsam im politischen Raum. Noch in der Sitzung berichtete Tödtmann von Entscheidungen in Minden und Herford, Kita-Trägern den Eigenanteil vollständig zu ersetzen. Auch in Porta Westfalica und Löhne lägen Anträge der Kirchenkreise vor, die Kosten zu übernehmen. Die Nachbarstadt Löhne ist bereits in der Haushaltssicherung und will offenbar zunächst prüfen, ob die Kostenübernahme der Trägeranteile rechtlich überhaupt zulässig ist.

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