
Bad Oeynhausen. Der neueste Zuwachs des Damwildgeheges in der Bad Oeynhausener Schweiz hatte einen wahrlich holprigen Start ins Leben: Vor gut einer Woche fand ein Vereinsmitglied das Damwild-Kalb Linus völlig allein in einer Futterkrippe liegen. Seine Mutter hatte ihn verstoßen, nun wird er mit der Flasche aufgepäppelt.
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„Da hat keiner mit gerechnet“, berichtet Nicole Gröger vom Verein Damwildgehege Bad Oeynhausener Schweiz. Denn dass ein Damwild noch so spät im Jahr Junge auf die Welt bringe, sei ungewöhnlich. Normalerweise würden die Jungtiere im Juni und Juli geboren. „Die Mutter muss noch sehr jung gewesen sein“, sagt sie. „Sie hat ihn auf die Welt gebracht und liegengelassen.“
Glücklicherweise kam der kleine Linus aber in der gut sichtbaren Krippe auf die Welt. Dort müsse er einen kompletten Tag gelegen haben, sagt Gröger. Wahrscheinlich sei er schon in der Nacht zum 3. September auf die Welt gekommen. Gefunden wurde das viereinhalb Kilo leichte Bündel jedoch erst gegen 18 Uhr, als Kollege Christoph Paul zum Füttern in das Gehege kam. Schnell kontaktierte er Nicole Gröger, die dann zu ihm stieß.
Auch Ziehmutter hat Linus nicht angenommen
„Linus ist ein zäher Bursche“, berichtet sie. Zum einen herrschten an diesem Tag Temperaturen von 29 Grad, so dass der kleine Hirsch dehydriert war, zum anderen sei er noch nass vom Geburtsschleim gewesen. „Normalerweise lecken die Mütter ihre Jungen ab“, erklärt sie.
Wäre er im hohen Gras geboren worden, hätte man ihn wohl nicht rechtzeitig gefunden, vermutet Gröger. Doch der Kleine machte mit seiner Stimme auf sich aufmerksam: Beinahe zur selben Zeit, zu der Christoph Paul das Jungtier entdeckte, hörte ein Passant Linus’ Rufe nach einer Mutter und verständigte Danyel Kammann, den stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins.
Versuche, dem Kalb einer Ziehmutter zu geben, sind gescheitert. Die Damwild-Dame, die gerade ihr eigenes Kalb verloren hatte, habe kein Interesse am kleinen Linus gehabt, berichtet Gröger. „Die hat ihn leider nicht angenommen.“ Und so wurde er zum Flaschenkind.
Junghirsch schläft am liebsten auf dem Sofa
Da Linus zunächst alle zwei Stunden gefüttert werden musste, kam er in die Obhut eines Vereinsmitglieds, das ihn mit nach Hause nahm. Denn: „Das ist ein 24-Stunden-Job“, erklärt Schatzmeister Dieter Schmidtmann.
Durch einen Facebook-Aufruf konnte auch schnell ein Laufstall aufgetrieben werden, in dem der Findling schlafen kann. Der Biohof Röthemeier stellte außerdem spezielles Milchpulver zur Verfügung, das wichtig für die Entwicklung von Linus’ Immunsystems ist - und das noch spät am Abend des Fundtages. Eine Woche nach seiner Geburt habe Linus bereits ein halbes Kilo zugenommen, erzählt Gröger. Gefüttert werde er nun nur noch alle drei Stunden.
Mittlerweile habe sich der Junghirsch auch gut eingelebt. Zuerst musste der Boden seines derzeitigen Zuhauses noch mit Handtüchern ausgelegt werden, erzählen die Vereinsmitglieder, denn der kleine Linus sei ständig auf dem Parkett ausgerutscht. Jetzt habe er damit aber keine Probleme mehr. Sein Lieblingsschlafplatz: auf dem Sofa, auf das er auch schon eigenständig springt. Am liebsten zwischen zwei Kissen.
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Das Ziel: Die Auswilderung
Dennoch, eine Wohnung ist natürlich kein passendes Zuhause für ein Hirschjunges. „Das Ziel ist die Unabhängigkeit“, erklärt Schmidtmann. Eine Auswilderung in die freie Wildbahn sei dabei leider nicht denkbar – dazu sei die Bindung des Kalbs zum Menschen zu groß, schildert er. Aber eine Auswilderung in das Gehege der Bad Oeynhauser Schweiz sei durchaus möglich – sobald er keine 24 Stunden am Tag mehr auf Menschen angewiesen ist. „Vielleicht noch so zehn Wochen?“, mutmaßt Schmidtmann. Genau könne er das jedoch nicht sagen.
Schon jetzt besucht der kleine Linus von Zeit zu Zeit das Gehege, um sich an die Bewohner zu gewöhnen – und sie sich an ihn. Das funktioniere jetzt, wo er noch so klein ist, noch nicht so gut, gibt Schmidtmann zu. Die Vereinsmitglieder würden jedoch laufend weitere Tests anstellen, erzählt er.
Dennoch erfreut sich der Kleine bisher schon an seinen Ausflügen und nutzt die Gelegenheiten, um so richtig Geschwindigkeit aufzubauen, durch das Gehege zu flitzen und ausgelassen herumzuspringen.
Fortschritte sind online zu sehen
Linus Fortschritte können Interessierte übrigens auch auf der Website des Vereins verfolgen. Unter damwild-gehege.de postet der Verein Updates.
Während Linus noch zu klein für feste Nahrung ist, weist der Verein darauf hin, die Bewohner des Damwildgeheges bitte nicht mit wahllos ausgewählten Lebensmitteln zu füttern. Möhren, rohe Nudeln und trockenes, nicht schimmeliges Brot seien geeignet, nicht aber Süßigkeiten, Chips, Zwiebeln oder Kohl. Vor allem Letzteres habe die Tiere schon mehrfach krank gemacht.
Ab dem 26. Oktober startet außerdem wieder die traditionelle Kastaniensammlung für die Tiere im Damwildgehege.