Landrat Ali Dogan zur Attacke in Bad Oeynhausen: „Müssen rabiater durchgreifen“

Minden. Der Angriff im Kurpark in Bad Oeynhausen, in dessen Folge ein 20-Jähriger seinen schweren Kopfverletzungen erlag, hat in den vergangenen Tagen für viel Trauer und Ratlosigkeit in der Bevölkerung gesorgt. Aber auch für viel Wut - auch bei Landrat Ali Dogan (SPD). Im Interview mit dem MT moniert Dogan, der auch sieben Jahre im NRW-Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales gearbeitet hat, Versäumnisse bei der Integration von Flüchtlingen, inkonsequentes Handeln und zu wenig Haltung vieler Politiker. Und er sieht eine Debatte, die sich seit Jahren im Kreis dreht. Der Chef der Kreispolizeibehörde fordert stattdessen klare Kante für deutsche Grundwerte, bessere Sanktionen und eine Bildungspolitik, die alle abholt. Aber wen sieht er in der Pflicht? Herr Dogan, die schreckliche Tat in Bad Oeynhausen hat die Gemüter bewegt. Wie sehr hat Sie das Thema persönlich beschäftigt? Mich hat es richtig mitgenommen, als ich davon gehört habe. Weil mich das auf ganz unterschiedlichen Ebenen betroffen macht: Als Landrat für die Bürger des Mühlenkreises, als Vater von zwei Kindern, von denen eins aufs Ratsgymnasium geht. Als Nachbar, denn die Tochter von Bekannten war am Abend auf der Feier, auf der auch das Opfer war. Da habe ich mich natürlich erstmal erkundigt, ob alles in Ordnung ist. Und das Geschehene hat mich auch sehr wütend gemacht. Weil ich mich frage, wie ein Mensch einem anderen jungen Menschen so etwas antun kann. Schon kurze Zeit nach der Tat wurde der Fall von rechtsextremen Kräften instrumentalisiert - auch gegen den ausdrücklichen Willen der Familie. Wie stehen Sie dazu? Diese gesamte Debatte macht mich sehr ärgerlich und auch ein Stück weit ratlos. Denn immer wieder kommen wir an diesen Punkt und was dann reflexartig folgt, sind die gleichen Diskussionen. Entweder geht es darum, dass Integration kategorisch gescheitert ist und alle raus sollen, oder darum, dass wir den Geflüchteten nicht genug helfen und sie Opfer ihrer Umstände geworden sind. Beides ist viel zu einfach. Und Lösungsansätze kann ich in diesen Debatten nie erkennen. Bei den Rechtsextremen ist das klar, denn sie ziehen ja ihre ganze Daseinsberechtigung daraus, solche Fälle auszuschlachten. Von daher haben sie auch kein Interesse an einer Lösung. Wenn ich also eine Alice Weidel eine Träne verdrücken sehe, dann macht mich das einfach nur unfassbar wütend. Denn sie könnte ja auch zur Familie gehen und ihr Mitgefühl ausdrücken, statt diese zu instrumentalisieren. Das macht sie aber nicht. Mich ärgert aber vor allem, dass wir einerseits diesen Populismus dulden und auf der anderen Seite von Einzelfällen sprechen. Denn es sind nun mal keine Einzelfälle und diese Argumentation verfängt bei einer Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr. Also sehen Sie durchaus Probleme bei der Integration von Geflüchteten in Deutschland? Wir machen da viele Fehler, finde ich. Und das schon ganz zu Beginn. Weil wir als Gesellschaft nicht mit klarer Kante für das einstehen, was Grundkonsens sein muss. Es gibt ja dieses Bild vom Fördern und Fordern und das trifft für mich hier voll zu. Wir müssen bei Neuankömmlingen gleich klarmachen, was hier in Deutschland geht und was nicht. Und dass uns die 19 Artikel des Grundgesetzes wichtig und somit nicht verhandelbar sind. Stattdessen werden Augen zugedrückt, Politiker lassen sich in Wahlkämpfen mit desintegrativen Migrationsorganisationen fotografieren und wir stempeln Menschen, die eine klare Haltung haben, als rechts ab. Das hilft uns nicht weiter. Wir müssen von vornherein klar kommunizieren, welche Regeln in Deutschland gelten. Das ist ja auch im Sinne der Geflüchteten. Ich höre das auch immer wieder von Menschen mit Migrationshintergrund, dass ihnen eine klare Kante fehlt. Sie sprachen auch vom Fördern. Was meinen Sie da konkret? Wenn wir von Menschen ihren Beitrag einfordern, dann müssen wir uns auch fragen: Was haben wir getan? Und manchmal war das auch zu wenig. Das Beispiel der geflüchteten Afghanen zwischen 2015 und 2017 ist da ein gutes. Innenminister Horst Seehofer hat damals erwirkt, dass diese Menschen keine Integrationskurse besuchen dürfen, weil sie nur eine geringe Chance auf dauerhaftes Bleiberecht hätten. Zehn Jahre weiter dürfen wir uns dann aber nicht beklagen, dass diese afghanischen Flüchtlinge kein Deutsch sprechen, denn wir haben ihnen die Kurse ja verweigert. Das meine ich: Wir müssen unseren Beitrag leisten, aber wir müssen auch klare Regeln an die Hand geben, was erwartet wird. Was genau würden Sie denn erwarten? Da gibt es im Alltag viele Beispiele. Für mich ist es zum Beispiel keine Diskussion, ob Mädchen an Schwimmkursen teilnehmen dürfen oder müssen, weil wir das hier in Deutschland eben so machen. Und dann gehört das auch dazu. Genauso müssen wir auch Übergriffigkeiten verhindern. Meine Frau ist Grundschullehrerin und ihr wird teilweise von muslimischen Kindern vorgeworfen, dass sie im Ramadan nicht fastet. Auch da müssen wir frühzeitig und rabiat intervenieren und klarmachen: Das geht hier bei uns nicht. Sonst nimmt man uns nicht ernst. Und nur wer klare Regeln hat und auch kommuniziert, der kann Fehlverhalten sanktionieren. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Ali Dogan (@alidogan1982) Gehören für Sie dazu auch Abschiebungen? Meine Grundhaltung dazu ist: Wenn jemand in einem gewissen Grad straffällig wird, und dazu gehört ein Fall wie Bad Oeynhausen sicherlich, aber auch jede andere Haftstrafe, dann sollte er erstmal seine Strafe hier in Deutschland absitzen. Einfach, damit wir sicherstellen, dass er sie auch verbüßt. Danach hat er seinen Aufenthaltsstatus verwirkt und sollte schnell und konsequent abgeschoben werden. Meiner Meinung nach gibt die deutsche Rechtslage das auch heute schon her. Wenn es sich bei Tätern um deutsche Staatsbürger handelt, dann müssen wir aber auch sagen: Das ist ein innerdeutsches Problem und diese müssen wir anders lösen. Sprechen wir übers Probleme lösen. Wo können Sie da als Landrat überhaupt ansetzen? Das große Rad kann ich natürlich nicht drehen. Es gibt aber ein paar kleine Punkte, wo wir den Hebel ansetzen können. Man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen und das subjektive Sicherheitsempfinden ist ein Problem. Da kann man mit erhöhter Polizeipräsenz reagieren und soweit das Personal das hergibt, tun wir das auch bereits. Aber auch präventiv kann man etwas tun: Ressourcen für Schulsozialarbeit bereitstellen soweit möglich. Oder Projekte an Schulen und in Jugendeinrichtungen fördern. Zur Polizeipräsenz: Einerseits gibt es den Ruf danach, andererseits den finanziellen Druck auf öffentliche Strukturen. Wie stehen Sie zur Mitteilung des Landesinnenministers, die zwar keinen direkten Abbau von Polizisten, wohl aber eine Verschlankung interner Strukturen vorsieht? Auch in Zeiten finanzieller Engpässe muss für Bereiche der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausreichend Geld vorhanden sein. Daher fände ich Einsparungen beim Personal in der Fläche das falsche Signal und bin froh, dass der Innenminister hier auch nichts derartiges plant, sondern lediglich bei möglicherweise kopflastigen Strukturen im Geschäftsbereich des Innenministeriums Einsparungen vorhat. Diese dürfen keine Auswirkungen auf die Arbeit vor Ort haben, denn wir sind bereits am unteren Limit des Erforderlichen. Und sonst? Wen sehen Sie jetzt in der Pflicht? Es schwingt ja eine gewisse Unzufriedenheit mit der Politik mit... Ja, ich bin allgemein sehr unzufrieden mit der Politik. Und das ganz überparteilich und egal, wer an der Macht war. Beim Land muss in den Bereichen Bildung und Sicherheit und Ordnung viel mehr passieren. Und auf Bundesebene gibt es Handlungsbedarf in zahlreichen Politikfeldern: Bildung, Wissenschaft, Innere Sicherheit, auch Arbeit der Nachrichtendienste. Die Politiker müssen da ihre Haltung verändern. Und wir brauchen viel mehr Menschen mit Migrationshintergrund in wichtigen Positionen, die sich auch trauen etwas zu sagen. Gucken Sie doch mal, wer da zu Diskussionen eingeladen wird, das sind immer die gleichen Gesichter. Ich versuche gerade, ein Netzwerk von Hauptverwaltungsbeamten mit Migrationshintergrund zu gründen, wir haben uns dazu schonmal ausgetauscht. Damit es ein Sprachrohr gibt, an das sich zum Beispiel Medien auch mal wenden können. Macht Sie ein Fall wie Bad Oeynhausen auch deshalb so leidenschaftlich, weil Sie selbst einen Migrationshintergrund haben? Sehr sogar, weil es diesen Generalverdacht gibt, unter den man gestellt wird, wenn man Ali heißt. Dabei verurteilen Menschen mit Migrationshintergrund eine solche Tat ja genauso, das Geschehene macht sie genauso betroffen. Und deswegen ist es wichtig, dass wir dazu auch eine klare Meinung haben und diese äußern. Die kommt dann aus der Mitte der Gesellschaft und lässt sich schwer vereinnahmen, weil uns niemand Rechtsextremismus unterstellt. Bei allem Generalverdacht bin ich aber übrigens auch froh um den großen Zuspruch, den ich für meine klaren Worte in der Sache gerade bekomme. Viele Menschen machen mir da Mut. Woran, glauben Sie, liegt das? Ich habe da einen Grundvorteil: Mein Lebensziel war nie, Politiker zu werden, ich könnte auch gut zum Beispiel als Verwaltungsanwalt arbeiten und wäre glücklich. Das gibt mir eine gewisse Lockerheit, meine ideellen Ziele zu vertreten. Und wenn ich deswegen dann für irgendeinen Posten nicht mehr infrage komme, dann ist das eben so. Aber die Wahrheit auszusprechen, lohnt sich eigentlich immer, stelle ich fest. Das hat mir auch immer Türen geöffnet. Deswegen verstehe ich nicht, warum das nicht viel mehr Politiker offen tun. Für meine Worte zu Integration bekomme ich Standing Ovations aus vielen Lagern: Von Migrantenvereinen, aus Verwaltungen, Vereinen, eigentlich überall, wo ich hinkomme, sagen die Leute: Endlich spricht es mal jemand aus. Da frage ich mich: Warum sprechen so wenige aus, was sie dazu denken? Ali Dogan in den bundesweiten TV-Sendungen:

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