Warum sind Tritte gegen den Kopf so gefährlich? Ein Oberarzt aus Minden klärt auf

Bad Oeynhausen/Minden. Die brutale Gewalttat in Bad Oeynhausen, in deren Folge der 20-jährige Philipos aus Minden gestorben ist, hat für große Trauer und Entsetzen gesorgt. Viele fragen sich, wie es zu dieser Tat kommen konnte - und warum ein Mensch derart heftig den Kopf seines Opfers mit Schlägen und Tritten traktiert, dass es den Angriff nicht überlebt. Enden Schlägereien häufiger mit schweren Kopfverletzungen? Warum ist Gewalt gegen den Schädel so gefährlich? Und wie gehen Ärzte vor, wenn Patienten mit schwersten Kopfverletzungen ins Klinikum eingeliefert werden? Theo Sievert, Geschäftsführender Oberarzt der Neurochirurgie am Johannes-Wesling-Klinikum (JWK) in Minden, gibt im Interview mit dem &bdquo;Mindener Tageblatt“ eine Einschätzung. Müssen auffällig mehr Menschen mit schweren Kopfverletzungen in Folge von Gewaltauseinandersetzungen in der Notaufnahme behandelt werden? Ist ein negativer Trend erkennbar? Wir behandeln immer wieder Patienten mit schweren Schädel-Hirn-Traumata nach Gewalttaten. Zuletzt gab es in der Obermarktstraße in Minden und jetzt in Bad Oeynhausen natürlich zwei Fälle, die besondere Aufmerksamkeit erlangt haben. Alle Artikel zum Thema: Philipos T. stirbt nach tödlicher Attacke am Bad Oeynhausener Kurpark Insgesamt muss man aber sagen, dass es Einzelfälle sind und keine signifikante Häufung erkennbar ist. Auffällig ist, dass wir vermehrt Fälle von leichteren Kopfverletzungen im Klinikum behandeln, zum Beispiel nach Streitereien und Auseinandersetzungen in Schulen. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe für schwere Kopfverletzungen? Sind es tatsächlich körperliche Angriffe, Tritte und Schläge? Oder womöglich doch eher Stürze und Unfälle? Den Schwerpunkt bilden eindeutig Stürze - zum Beispiel mit dem Fahrrad, mit dem E-Scooter oder auch zu Hause im Treppenhaus. Sie können wahrscheinlich gar nicht oft genug appellieren, beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen, oder? Das stimmt. Ein Helm sorgt bestenfalls dafür, dass bei einem Unfall nur er zerstört wird, der Kopf aber heil bleibt. Doch auch ein Helm schützt nicht immer ... Weil der Aufprall und die Einwirkungen auf den Kopf zu stark sind? Auch, es kann vorkommen, dass die Geschwindigkeit und die Wucht derart hoch sind, dass trotz eines Helms schwere Kopfverletzungen auftreten können. Was ich aber viel mehr meine: Viele Radfahrer tragen ihren Helm einfach falsch, um zum Beispiel ihre Frisur nicht zu ruinieren. Da dreht sich einem Neurochirurgen der Magen um. Wenn ein Helm richtig sitzt, schützt er enorm, er funktioniert wie ein Airbag. Wir vermitteln Helme im Übrigen auch an Patienten, die zum Beispiel wegen epileptischer Anfälle häufiger stürzen, oder wenn wir in einer Operation für einige Wochen die Schädeldecke entfernen müssen, damit das Gehirn abschwellen kann. Warum ist Gewalteinwirkung gegen den Kopf derart gefährlich? Bei spitzer Gewalteinwirkung können die Haut und die Schädelkalotte, also das knöcherne Dach des Schädels, durchtrennt werden und es kann direkten Schaden am Gehirn geben. Bei stumpfer Gewalt, etwa durch Tritte oder Schläge gegen den Kopf, können Adern zerreißen und es bilden sich Blutansammlungen. Das kann oberflächlich sein – dann ist es der berühmte blaue Fleck. Das kann aber auch direkt an der Hirnhaut passieren. Häufig treten Einblutungen im Kopf auf der jeweils anderen Seite der Gewalteinwirkung auf - das ist von außen nicht erkennbar. Der Mensch ist einfach nicht dafür gemacht, mit dem Kopf aus 1,80 Metern Höhe auf den Boden aufzuschlagen oder Schläge gegen den Schädel zu kassieren. Nehmen wir das Beispiel Boxen: Im Training trägt ein Boxer immer einen Kopfschutz, um die Wucht der Schläge abzumildern - im Kampf hingegen nicht. Ein Knockout ist vergleichbar mit einem Schädel-Hirn-Trauma - man kann auf den Untersuchungsbildern die Folgen dieser Schläge erkennen. Wie gehen die Ärzte vor, wenn ein Patient mit schweren Kopfverletzungen eingeliefert wird? Wenn der Patient stabil ist, wird sofort eine Computertomografie veranlasst. Ein sogenannter Trauma-Scan - erst vom Kopf und dann vom Rest des Körpers. So wissen wir bereits nach wenigen Minuten, wie schwer die Verletzungen sind und ob eine Operation erforderlich ist. Bis die Untersuchung komplett nachbearbeitet ist, vergehen in der Regel 20 bis 30 Minuten. Ist der Patient stabil, kommt er nach dem CT sofort in den OP-Saal. Im Mindener Klinikum ist zur neurochirurgischen Einschätzung immer ein Facharzt verfügbar, der sich notfalls auch von zu Hause aus die Bilder ansehen kann. So sind wir schnell entscheidungsfähig – rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr. Können Sie anhand der CT-Bilder die Schwere der Verletzungen direkt abschätzen? Nein, nicht vollends. Die Bilder geben uns einen ersten Überblick, um zu entscheiden, wie wir akut vorgehen. In einer Operation kann man immer wieder Schäden am Gehirn entdecken, die im CT nicht zu sehen waren - darauf müssen wir dann reagieren. Wir entscheiden in Grenzfällen immer pro Patient - das heißt, wir unternehmen zunächst einmal alles, um sein Leben zu retten. In solchen Fällen finde ich es übrigens nicht gut, wenn Interna aus dem Krankenhaus an die Öffentlichkeit gelangen. Auch aus Respekt gegenüber den betroffenen Familien. Wer nachweislich gegen die Schweigepflicht verstößt, verliert unter Umständen neben seinem Arbeitsplatz auch seine Berufserlaubnis. Gibt der behandelnde Arzt eine Einschätzung ab, wie es zu einer schweren Verletzung kommen konnte? Sozusagen als Abgleich zum Beispiel mit Zeugenaussagen nach einer Gewalttat? Zunächst einmal wird jede Operation umfangreich und detailliert dokumentiert. Eine Einschätzung abzugeben, ob die behandelte Verletzung sich mit Angaben zu einem Gewaltdelikt deckt, ist nicht Aufgabe des behandelnden Arztes. Er ist dafür zuständig, das Leben der verletzten Person zu retten. Dafür gibt es die Rechtsmedizin mit entsprechenden Fachärzten, die den Fall dann aufarbeiten. Wie können sich am Boden liegende Gewaltopfer schützen? Gibt es da überhaupt einen allgemeinen Tipp? Nein, den gibt es leider nicht. In einem solchen Moment schützen Opfer instinktiv das, was sie noch schützen können. Vorsorglich könnte man Selbstverteidigungskurse machen, um sich in Gefahrensituationen wehren zu können. Natürlich müssen solche Abwehrhandlungen regelmäßig trainiert werden und in Fleisch und Blut übergehen. Das Thema sollte meiner Meinung nach mehr Beachtung finden.

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