Anrührende Bühnenkunst in Bad Oeynhausens Kleinem Theater

Bad Oeynhausen. Wie fühlt sich das an, wenn man von Liebe, Luxus und Karriere träumt und in einem Scherbenhaufen aus Massenarbeitslosigkeit, Hunger und Kriminalität landet? So wie die 18-jährige Doris aus Irmgard Keuns Roman &bdquo;Das kunstseidene Mädchen“ - ein Klassiker der Weimarer Republik, der bei den Nazis auf der Liste der Bücherverbrennung stand. Und er zurzeit nicht ohne Grund kreuz und quer an deutschen Bühnen gespielt wird. In einer anrührenden Inszenierung durch das Kleine Theater Rehme kann man das Stück zurzeit in der Druckerei erleben. Auch wenn - oder gerade weil schmerzhafte gesellschaftliche Barrieren, gescheiterte Existenzen und geplatzte Illusionen keine leichte Kost sind: Das Premierenpublikum am Wochenende war tief berührt. Und das aus gutem Grund. Denn die Regie von Theaterchef Johannes Kindler schwebt in einer wunderbaren Balance von knisternder Unterhaltung und forderndem Anspruch. Eine Überlebensstrategie in Zeiten der Barbarei &bdquo;Ein Glanz werden“, das ist es, was diese lebenshungrige, naive und trotz ihrer Robustheit wie aus Kunstseide geformte junge Frau aus einer Kleinstadt im Rheinland antreibt. Aber so einfach läuft das im Deutschland der 1930er Jahre, in dem sich die Demokratie noch gegen den aufsteigenden Nationalsozialismus wehren kann, nicht. Mit ehrlicher Arbeit kommt eine, die nichts gelernt hat und die gar nicht erst arbeiten will, aber vom weißen Auto und Badewasser träumt, das nach Parfüm riecht, nicht aus der Mittelmäßigkeit ihres Lebens heraus. Aber was für eine Strategie bleibt, wenn in einer politisch so prekären Zeit nach vorne kommen oder einfach nur mal satt werden möchte, ohne sich zu prostituieren? Man betört wohlhabende ältere Männer und stolpert so von einer oberflächlichen Bekanntschaft in die nächste. Johannes Kindler hat die Bühnenfassung von Gottfried Greiffenhagen aus den 1980er Jahren, in der nur sparsame Dosen des Zeitkolorits zu finden sind, gewaltig umgekrempelt und neu eingenordet. Und lässt dabei das Publikum das Spannungsfeld der radikalisierten innenpolitischen Situation Deutschlands spüren. Mittendrin tourt Mandy Fuchs in der Titelrolle der Doris im gestohlenen Pelzmantel und in schwarzen Strümpfen mit Naht durch die glitzernde Scheinwelt in Zeiten von Berlin Babylon. Und fesselt das Publikum dabei mit einer enormen Bühnenpräsenz, die so nah ans Publikum reicht, das man das Gefühl hat, sie steht mittendrin. Und irgendwie weiß man nicht so richtig, ob man die junge Frau nicht einfach mal kräftig schütteln sollte, um sie zu erden oder um sie bibbern sollte auf diesem Weg, der kein gutes Ende verspricht. Bühnenfassung mit einem wohldosiert eingesetzten Schuss Erotik Dann ist da noch Thorsten Wolfersdorf, eines der Zugpferde aus dem Ensemble und in diesem Fall der Mann für alle Fälle. Ob der Großindustrielle Alexander, der Angestellte Ernst, der mächtige Theaterdirektor, der bildschöne Grönland, der Romanautor Roter Mond, der blinde Nachbar und wer sonst noch alles: Wolfersdorf schlüpft von Rolle zu Rolle und füllt jede einzelne perfekt aus. Und dann dieser wie so oft in den Inszenierungen des Kleinen Theaters wohldosiert eingesetzte Schuss Erotik. Den hat Mandy Fuchs zweifelsfrei drauf. Und den verstärken die beiden Tangopaare Edith und Alfred Behrendt sowie Kinnie Morel und Bernd Schilling auf das Feinste, wenn sie manchmal nur wie Zitate am Bühnenrand vorbeitanzen. Was die Stimmung aber auch antreibt, sind die ganzen Schlager aus der Zeit des Romans, die Björn Bockfeld, Leiter der Löhner Musikschule und Ensemblemitglied beim Kleinen Theater Rehme mit stoischem Gesichtsausdruck am Klavier in bester Caféhausatmosphäre erklingen lässt und zu denen Mandy Fuchs singt: Gassenhauer der 1930er Jahre wie &bdquo;Schöner Gigolo, armer Gigolo“, &bdquo;Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt“, &bdquo;Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami“ oder das Lied vom &bdquo;Leierkastenmann“ - alles in allem eine stimmige Komposition. Wer die Premiere verpasst hat, kann die Inszenierung noch an zwei weiteren Terminen sehen: Am 16. und 24. Mai um 19.30 Uhr in der Druckerei. Karten: Telefonisch: 0 57 31/22777 oder E-Mail: info@dbbo.de. Und an der Abendkasse.

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