Fahrermangel: Spediteur aus Bad Oeynhausen spricht über die Probleme der Branche

Bad Oeynhausen. Als Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) Anfang März seine Verkehrsprognose präsentierte, wäre Horst Kottmeyer vermutlich zum Lachen zumuten gewesen, wäre die Sache nicht so ernst. Wissing sagte einen Zuwachs des Verkehrs bis zum Jahr 2051 um 46 Prozent voraus, beim Güterverkehr auf der Straße sogar eine Steigerung um 54 Prozent. Da fragt sich nicht nur Kottmeyer: Wer soll denn all diese zusätzlichen Lastwagen fahren? Denn schon jetzt herrscht massiver Fahrermangel hinterm Brummi-Steuer. Neu sei das Thema nicht, betont Kottmeyer. "Das Problem beschäftigt uns schon seit mindestens zehn Jahren", sagt der Bad Oeynhausener Spediteur, der auch Aufsichtsratsvorsitzender im Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) ist, dem 7.000 Unternehmen angeschlossen sind. "Das ist wie bei den Pflegekräften: Das Problem ist lange bekannt, doch eine Lösung ist nicht in Sicht", sagt er. Zu seinem Transportunternehmen gehören 200 Lastwagen und knapp 300 Fahrer. Um zu zeigen, wo er den Personalmangel schon jetzt direkt zu spüren bekommt, weist Kottmeyer schlicht aus dem Fenster seines Büros. Von hier ist der Blick frei auf den Lkw-Parkplatz an der Brückenstraße, auf dem ein knappes Dutzend Sattelschlepper und Gespann-Züge parkt. "Mindestens fünf davon wären unterwegs. Wenn ich denn Fahrer für sie hätte", sagt Kottmeyer. Fünf bis zehn Fahrer würde er sofort einstellen - wenn er welche fände. 80.000 Lastwagenfahrer fehlen schon jetzt in Deutschland Als Logistik-Funktionär kennt Kottmeyer auch die bundesweite Dimension des Problems. Auf der Homepage der BGL, dessen ehrenamtlicher "Chef" der Bad Oeynhausener ist, steht eine Grafik, die den Ernst des Fahrermangels darstellt. Ein Balken zeigt die von Jahr zu Jahr wachsende Zahl der fehlenden Berufskraftfahrer. Ab wann wird es kritisch? Auch da setzt Kottmeyer auf den direkten Fingerzeig. "Hier", sagt der Logistiker und weist auf die aktuelle Zahl. Das heißt: Jetzt. 80.000 Lastwagenfahrer fehlen derzeit schon in Deutschland. Und jedes Jahr gehen etwa 30.000 Kraftfahrer in Rente, es kommen aber nur 15.000 neue Fahrer nach. Bis zum Jahr 2030 summiert sich so die Zahl der fehlenden Fahrer auf 200.000. "Und das, ohne eine Zunahme des Güterverkehrs auf der Straße einzurechnen", erklärt Kottmeyer. Sollte der Bundesverkehrsminister also mit seiner Prognose recht behalten, würde sich der Mangel noch deutlich verschärfen. Das Problem sei allerdings kein deutsches Phänomen, sondern inzwischen weltweit zu beobachten. "Im vorigen Jahr konnten in mehreren Häfen der USA die Schiffe nicht entladen werden, weil es keine Lkw gab, die die Container abtransportierten", berichtet Kottmeyer. Das ist der Punkt, an dem Lieferketten zusammenbrechen. "Die Wertschätzung des Kraftfahrers muss sich verbessern" Um den Fahrermangel zu bekämpfen, gebe es keine Patentlösung, betont der Unternehmer. "Dazu braucht es einen ganzen Strauß an Maßnahmen", sagt Horst Kottmeyer. Und nennt vorneweg: "Die Wertschätzung und das Image des Kraftfahrers müssen sich verbessern." Dazu könnte nach seiner Einschätzung auch ein Abbau der Bürokratie beitragen. Zur regelmäigen Gesundheitsprüfung müssten die Fahrer einen Amtsarzt aufsuchen. "Wir wollen diese Untersuchungen nicht abschaffen. Uns ist die Gesundheit der Fahrer und die Sicherheit auf den Straßen natürlich wichtig", sagt Kottmeyer. "Aber könnte diese Untersuchung nicht der Hausarzt durchführen?", fragt er. Auch die Regelungen zum Lastwagen-Führerschein und zur Berufskraftfahrer-Lizenz sind für Kottmeyer Steine auf dem Weg in den Beruf. Um die C und CE Lizenz zu machen, müssten die Fahrer 21 Jahre alt sein. Kottmeyer wünscht sich eine Regelung zum begleiteten Fahren, wie er sich auch beim Pkw schon bewährt habe. Damit junge Menschen in ihrer Ausbildung auch wirklich schon Erfahrung hinterm Brummi-Steuer sammeln könnten. Ein weiteres Hindernis ist für Kottmeyer auch die Tatsache, dass Fahrlizenzen aus dem Nicht-EU-Ausland nicht anerkannt werden. Kottmeyer schildert den Fall von Anton, einem erfahrenen Kraftfahrer aus der Ukraine, der etliche Jahre für eine litauische Spedition gefahren ist. Als vor gut einem Jahr der Krieg in der Ukraine mit dem Angriff der russischen Truppen begann, sei Anton unterwegs in Europa gewesen. "Er ist dann nicht wieder zurück in die Ukraine, seine Familie konnte fliehen", berichtet Kottmeyer. Inzwischen lebt die Familie in Bad Oeynhausen, und Anton wäre gern Fahrer bei Kottmeyer geworden. Doch sein Führerschein wird nicht anerkannt. "Den kann er womöglich noch nachmachen", räumt der Unternehmer ein. Denn Anton spricht nur Ukrainisch und Russisch, was für die Führerscheinprüfung noch reichen würde. "Die Prüfung für Berufskraftfahrer aber gibt es nur in Deutsch", sagt Kottmeyer. Der fordert: "Das muss sich ändern". So hat der Ukrainer zwar einen Job bei Kottmeyer, aber nicht als Fahrer. Es droht ein Szenario wie in Großbritannien Doch auch technische Maßnahmen könnten helfen, sagt Kottmeyer. Das autonome Fahren, wann auch immer es denn zulassungsreif wird, könnte unterstützen. "Aber es würde die Fahrer nicht überflüssig machen. Allenfalls könnte es die Fahrer auf längeren Autobahnabschnitten entlasten." Auch längere Fahrzeuge könnten ein Beitrag zur Entlastung sein. Der klassische Auflieger hat 13,60 Meter, ein Langwagen Typ 1 misst 14,90 Meter. "Da passen schon mal 37 Paletten drauf, statt 33", erläutert der Spediteur. Die Genehmigung für diesen Fahrzeugtyp aber sei befristet bis Ende des Jahres, und wie es danach weitergeht sei noch nicht entschieden. Das Problem habe er vor vier Wochen im NRW-Verkehrsministerium angesprochen "Dort wusste man davon nichts", sagt Kottmeyer. Noch größer würde der Effekt bei extralangen Gespannzügen mit 22 Metern Länge. Kottmeyer hat solche Fahrzeuge im Einsatz, um Personenwagen von einem Autowerk ins andere zu fahren. "Auf solch ein Fahrzeug passen acht Pkw statt vier", so Kottmeyer. Was Fahrermangel bedeutet, haben die Briten unmittelbar nach dem Austritt aus der Europäischen Union erlebt. Die ausländischen Fahrer, vor allem aus Polen, seien in ihre Heimat zurückgekehrt. "Gefühlt war das die Hälfte der Fahrer." Mit der Folge, dass es zeitweise massive Lieferengpässe sogar bei Lebensmitteln gab, die Regale in den Supermärkten leer blieben und Busse nicht fuhren - weil die Fahrer fehlten. Droht Deutschland ein ähnliches Szenario? Kottmeyer nickt. "Ich fürchte schon. Aber nicht über Nacht, wie in England nach dem Brexit. Bei uns ist das ein schleichender Prozess", sagt der Unternehmer, für den die britische Insel nach wie vor ein wichtiger Markt ist. Auch bei uns müssten sich Bürger und Industrie auf gestörte Lieferketten einstellen. "Wir müssen uns als Verbraucher aber doch auch fragen: Muss ich einen bestellten Artikel, der nicht gerade lebensnotwendig ist, wirklich möglichst noch am selben Tag geliefert bekommen?", gibt Horst Kottmeyer zu bedenken.

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