Löhner Rentner erleben Reise-Chaos: Selbst die Profis am Bahn-Schalter scheitern

Bad Oeynhausen/Löhne. Heide Geldmacher lehnt sich in ihrem Gartenstuhl zurück und schaut zu ihrem Ehemann. "Er ist so cool", sagt die 81-Jährige über ihren 83-jährigen Gatten: "Ich verfalle bei so was immer in Panik." Das Lob ist angebracht. Vermutlich gibt's nur wenige Menschen, die angesichts eines solchen Reise-Chaos' nicht die Flinte ins Korn geworfen und einfach zuhause im Gartenstuhl sitzen geblieben wären. Für Horst Geldmacher war und ist das aber keine Option. Der Rentner aus Melbergen war fest entschlossen, eine Flusskreuzfahrt mit seiner Frau auf der Rhone anzutreten. Allerdings durchkreuzte erst ein Fluglotsenstreik und dann das Buchungssystem der Deutschen Bahn ihre Pläne. Dazu gesellten sich eine irrlichternde Telefon-Hotline, verwunderte Fahrkartenverkäufer im Bahn-Reisezentrum in Bad Oeynhausen und noch ein zweites Mal die streikenden Lotsen. Geldmacher jedoch blieb cool und das Paar erreichte tatsächlich über Umwege am Samstag, 1. Oktober, das Schiff in Lyon. Die Geschichte der beiden Über-80-Jährigen, die eine gemächliche Flusskreuzfahrt machen wollten und dafür mit dem Auto, dem Flugzeug und der schweizerischen Bahn zum Schiff reisten, beginnt am Schreibtisch von Horst Geldmacher in Melbergen. Der reisewütige Rentner hatte Ende September im Internet kurz entschlossen die Kreuzfahrt auf der Rhone gebucht. In Lyon sollte das Schiff ablegen. Eigentlich mag Geldmacher Kreuzfahrten nicht sonderlich, erzählt er gut einen Monat später tiefenentspannt auf der Terrasse seines Hauses. Auf Schiffen fühlt er sich eingesperrt, festgelegt und fremdbestimmt. Seiner Frau aber gefallen die kurzen Wege vom Zimmer zum Sonnendeck und ins Restaurant ganz gut. Der Flieger fällt aus: Fluglotsenstreik Also buchte Geldmacher die Flusskreuzfahrt, allerdings ohne Anreise. Der 83-Jährige suchte und fand im Internet einen günstigen Flugticket von Düsseldorf nach Lyon. Vor dem Abflug am Donnerstag, 29. September, bummelten die beiden gerade durch die Düsseldorfer Altstadt, als das Smartphone des 83-Jährigen brummte: Die Fluggesellschaft strich den Flug ersatzlos. Der Grund: ein Fluglotsenstreik in Frankreich. Am gleichen Tag, hieß es, würde kein Flieger mehr nach Frankreich fliegen. Die beiden ergaben sich in ihr Schicksal und fuhren wieder nach Hause. Der reiseerfahrene Rentner gab aber nicht auf. Kein Problem, dachte sich Geldmacher, "dann fahren wir eben Zug". Das Paar besitzt zwei Bahncards 25 für die Erste Klasse. Geldmacher genießt den erstklassigen Service auf Reisen nach München oder Hamburg ganz gern. Der 83-Jährige kennt sich aus im Internet und bei der Bahn, er weiß, welche Knöpfe er drücken muss, auch wenn nicht so schnell surft wie die Eingeborenen von Instagram. Der passende Zug nach Lyon war rasch gefunden: eine Verbindung mit ICE, Thalys und TGV. Zwei Fahrkarten für die erste Klasse wollte er buchen. Das funktionierte jedoch nicht. Stattdessen erklärte die Bahn-Internetseite dem 83-Jährigen wörtlich: "Es tut uns leid, wir können die von Ihnen gewählte Verbindung online nicht verkaufen." Dem Erste-Klasse-Reisewilligen machte die Bahn stattdessen dieses Angebot: "Als Alternative bieten wir Ihnen gerne den Interrail-Pass für das flexibelste Reiseerlebnis in Europa an." Auf Tüdelü mit Interrail wollte sich Geldmacher aber nicht einlassen. Er griff zum Telefon, suchte Rat bei der Kunden-Hotline der Deutschen Bahn und bekam die Auskunft, erzählt er, doch bitte persönlich im Reisezentrum der Deutschen Bahn in Bad Oeynhausen vorzusprechen. Die Kollegen vor Ort könnten die Fahrkarten ausdrucken. Selbst die Profis am Bahn-Schalter in Bad Oeynhausen scheitern Gesagt, getan. 30 Minuten vor Fahrtantritt standen die Geldmachers am Freitag, 30. September, mit gepackten Koffern im DB-Reisezentrum Bad Oeynhausen und wollten ihre Fahrkarten nach Lyon lösen. Doch wieder klappte das nicht. "Die beiden Herren am Schalter haben die Köpfe zusammen gesteckt und sich die Haare gerauft", erzählt Geldmacher. Doch auch sie scheiterten. Die Profis waren ratlos. Dabei tickte die Uhr, die geplante Abfahrtzeit rückte immer näher. Heide Geldmacher wurde unruhig, doch ihr Horst behielt die Nerven: "Ich habe dann gefragt, ob wir uns nicht einfach ohne Ticket in den Zug setzen können", erzählt Horst Geldmacher. Doch davon rieten die Bahn-Mitarbeiter ab. Die Deutsche Bahn kann nachträglich nicht mehr nachvollziehen, warum die Buchung nicht geklappt hat. "Wenn eine Verbindung nicht buchbar ist, wird über die Verkaufssysteme auch kein Preis ermittelt", schreibt ein Bahnsprecher auf Anfrage der NW. Der Hinweis auf das Interrail-Ticket sei "eine Standard-Meldung", wenn bestimmte Verbindungen im System nicht zur Buchung verfügbar seien. Ob die von Horst Geldmacher ausgewählte Zugverbindung nach Lyon bereits ausgebucht war, weiß die Bahn nicht. In das Buchungssystem der französischen Bahn habe die Deutsche Bahn "keinerlei Einblick", so der Sprecher: "Zudem werden die Buchungen von Thalys- und TGV-Zügen im Binnenverkehr in Frankreich durch eine Schnittstelle aus einem separaten Buchungssystem reserviert." Zweiter Anlauf im Flughafen Düsseldorf Geldmacher schnappte sich also schließlich das Gepäck, seine Ehefrau und fuhr wieder nach Hause, um auf eigene Faust im Internet nach Alternativen zu suchen. Er entdeckte dann für den Abend doch noch einen Flug von Düsseldorf nach Lyon. Die beiden stiegen frohen Mutes ins Auto und fuhren ein zweites Mal zum Flughafen. Doch kaum waren sie am Terminal, war der Flieger gestrichen. Die Lotsen streikten immer noch. Heide Geldmacher hatte genug: "Ich will nach Hause", sagte sie. Doch Horst Geldmacher ließ sich nicht beirren. Noch am Flugschalter fand er eine allerletzte Alternative: einen Flug nach Genf. Von dort sei es nur noch einen Katzensprung bis Lyon, überzeugte er seine Frau, die Reise doch noch anzutreten. Und Heide Geldmacher willigte ein. Die beiden übernachteten in einem Hotel und buchten noch am Abend ihre Zugfahrt von Genf ins 150 Kilometer entfernte Lyon. Die schweizerische Bahn brachte die beiden Rentner pünktlich am Samstag, 1. Oktober, nach Lyon, wo sie ihre Kreuzfahrt auf der Rhone antraten. "Das war eine wunderschöne Schiffsreise", sagt Geldmacher rückblickend. Und seine Frau pflichtet ihm trotz aller Wirren bei. Das Geld für den ausgefallen Flieger und die zusätzliche Hotelübernachtung will sich der 83-Jährige von der Fluggesellschaft zurückholen. Und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), der für die Deutsche Bahn zuständig ist, bekommt einen bösen Brief aus Melbergen.

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