So klimaunfreundlich ist die ICE-Trasse von Bielefeld nach Hannover

Minden/Bad Oeynhausen. Bahnfahren ist super fürs Klima, Gleisneubau dagegen nicht, schon gar nicht im Hügelland. Brücken und Tunnel verschlingen Unmengen von Beton. Und für die Herstellung dieses wichtigen Baustoffes wird massiv Treibhausgas freigesetzt. Eine Tagung der Naturschutzverbände in OWL und Niedersachsen hat sich am Samstag in Minden mit der Frage beschäftigt: Wie klimafreundlich ist die geplante ICE-Trasse zwischen Bielefeld und Hannover? Die Antwort der Tagungsteilnehmer fällt überraschend umsichtig aus. Überspitzt zusammengefasst lautet sie: Weniger ist mehr. Ein Projektteam der Deutschen Bahn erarbeitet derzeit Vorschläge für die schnellste Verbindung zwischen den beiden Großstädten. Die Vorgabe aus Berlin lautet allerdings: 31 Minuten Fahrtzeit und Tempo 300 für den Zug. Diese Kriterien leiten sich aus dem deutschlandweiten Zielfahrplan "Deutschlandtakt" ab, von dem es bisher bloß einen dritten Gutachterentwurf gibt, der noch dazu in Hinterzimmern vom Ministerium mit der Bahn und der Bahnlobby ausgehandelt wurde. Erste Trassen will die Deutsche Bahn (DB) im Frühjahr 2023 vorstellen. Projektteam überplant Bahnhof Bielefeld DB-Projektleiter Carsten-Alexander Müller bekräftigte am Samstag diesen Zeitplan am Rande der Tagung gegenüber der NW. Entgegen der bisherigen Planung wird das Projektteam aber auch den Hauptbahnhof Bielefeld überplanen. Bisher endete seine Zuständigkeit in Brake. Gegen die aktuellen DB-Planungen haben die Referenten der Tagung Einwände. Nach Ansicht von Hendrik Auhagen von der Initiative "Bahn für alle", einem Netzwerk von Globalisierungskritikern, Umweltschutzorganisationen und Gewerkschaften, ist der Deutschlandtakt das falsche Konzept. Auhagen schlägt statt dieser "Beton-Bahn" eine "Klimabahn" vor. In einem überaus kurzweiligen Vortrag geißelte Auhagen das Streben der Bahn nach immer neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken als völlig verfehlt. Die Bahn sei derzeit zwar gut darin, Metropolen miteinander zu verbinden, vernachlässige aber die Mehrzahl ihrer Fahrgäste, die sich einen zuverlässigen Zugverkehr wünschten. "Die Bahn ist zu einem Ergänzungsverkehrsmittel geworden", sagte Auhagen. Es unterstütze die Verkehre mit Auto und Flugzeug, statt sie zu ersetzen. Das Prinzip "Takt vor Tempo" ermöglicht weniger Treibhausgas Kleinere Städte in der Fläche würden vom Bahnverkehr abgehängt: "Schienenersatzverkehr ist die beste Anti-Werbung gegen die Bahn!" Stattdessen setzte Auhagen den Ton für die Tagung und forderte einen neuen Deutschlandtakt nach dieser Maßgabe: "Takt vor Tempo!" Ganz ähnlich argumentierte auch der emeritierte Münchner Informatikprofessor Wolfgang Hesse. Er hat sich das Zahlenwerk der Zugverbindungen im Deutschlandtakt vorgeknöpft und schlug geringfügige Änderungen vor. Wenn die Ankunftszeiten der Züge im Eisenbahnknoten Hannover leicht verschoben würden, müssten die ICEs nicht mehr in 31 Minuten bis Bielefeld rasen. Das verschaffte den Streckenplanern mehr Zeit – und dann würde womöglich kein klimaschädlicher Strecken-Neubau nötig. Stephan Schröder, Bauingenieur von Büro Bahnzentrum, hat den Uhrzeit-Trick des Informatikprofessors bereits im Auftrag der Bürgerinitiative Widuland in einen konkreten Trassenvorschlag eingearbeitet. Seinem Konzept für eine ICE-Trasse zwischen Hannover und Bielefeld reichen Tempo 250. Bei dem Bau dieser Trasse würde im Vergleich zur Machbarkeitsstudie des Verkehrsministeriums, der Schüßler-Plan-Variante V, nur ein Viertel so viel Treibhausgas freigesetzt. Schröder lässt die Züge zumindest in NRW wie bisher auf den bestehenden Gleisen rollen. "Das ist deutlich einfacher, als wenn Sie das erst in Beton gegossen haben und hinterher feststellen: Das hätten wir auch lassen können!" Sein Trassenvorschlag fiel bei den Tagungsteilnehmern auf ein geteiltes Echo, denn ganz ohne Neubau kommt sein Konzept nicht aus. Der Neubau beschränkt sich auf den niedersächsischen Abschnitt zwischen Minden und Seelze. In den Ortsdurchfahrten Lindhorst und Kirchhorsten stünden "diverse Wohnhäuser dem Gleisbau im Weg", wie Schröder bestätigt, in Minden-Dankersen dagegen nicht. Schröder fordert, dass die Bahn den Hauseigentümern angemessene Alternativen anbieten soll. Treibhausgas-Ausstoß und Lebensdauer Knackpunkte für den Trassen-Neubau sind nach Schröders Ansicht die erheblichen Höhenunterschiede im Minden-Ravensberger und im Lipper Hügelland. Sie zu überbrücken oder zu untertunneln bedeutet den Bau massiver Betonbauwerke. Die Machbarkeitsstudie des Büros Schüßler-Plan hat 14 Tunnel und acht große Brücken vorgesehen, die nicht nur sehr viel Geld kosten, sondern auch sehr viel CO2 freisetzen werden. Nach Ansicht des Bahningenieurs Schröder relativiert sich die Bedeutung dieses Treibhausgasausstoßes jedoch angesichts der sehr langen möglichen Lebensdauer dieser Bauwerke. Die Planer der Deutschen Bahn haben im Dialogprozess bisher kein eigenes Konzept zur Berechnung des CO2-Ausstoßes vorgelegt – und wollen das offenbar auch nicht tun. Projektleiter Carsten-Alexander Müller verweist darauf, dass der Bund bereits eine Klimabilanz mit der Nutzen-Kosten-Berechnung des Projekts vorgelegt habe. Demnach spart die neue ICE-Trasse unterm Strich künftig jedes Jahr 41.000 Tonnen CO2 ein. Die Deutsche Bahn will nach Angaben einer Sprecherin bis 2040 klimaneutral werden und erfüllt nach eigenen Angaben beim Streckenbau schon jetzt eine Recyclingquote von über 95 Prozent. "Die DB beobachtet den Markt sehr genau, um den Einsatz von Stahl und Beton grundsätzlich zu vergrünen", schreibt eine Sprecherin. Angebote für die letzte Mobilitäts-Meile Auf der Tagung erinnert dann Thorsten Koska vom Wuppertal-Institut daran, dass sich Deutschland verpflichtet habe, den Treibhausgasausstoß erheblich zu verringern. Der Sektor Verkehr sei mit 165 Millionen Tonnen Kohlendioxidausstoß besonders gefordert. Koska: "Eigentlich müssen wir alle Hebel zugleich in Bewegung setzen." Die Bahn sei "insgesamt klimafreundlicher als andere Verkehrsmittel", sagt Koska. Allerdings werde auch bei einem Ausbau der Schiene Treibhausgas freigesetzt. Koska mahnte deshalb beim Schienenneubau ressourceneffiziente Wege und vernetztes Denken an. Dahinter steht die Überlegung, die Bahn nicht als Konkurrent des Flugzeugs, sondern als Mobilitätsanbieter zu betrachten. "Die Idee eines Deutschlandtakts ist nicht falsch", sagt Koska und lenkt den Blick auf den Fahrgast: "Es braucht aber Angebote für die letzte Meile." Sein Vorschlag ist eine Zukunftsvision: On-Demand-Verkehre, die auf Bestellung die Lücke zwischen Bahnhof und Zielort schließen. Das sagen die heimischen Bundespolitiker Moderator Michael Blaschke konfrontierte drei heimische Bundestagsabgeordnete von den Grünen, der SPD und der CDU mit den Ergebnissen der Tagung und erntet Zustimmung. "Als Physiker bin ich gewohnt, die Realität zu betrachten und daraus Schlüsse zu ziehen", sagte Oliver Vogt (CDU): "Beim Deutschlandtakt läuft das aber umgekehrt, das führt zuSchwierigkeiten." Stefan Schwartze (SPD) verwies darauf, dass der Deutschlandtakt gar nicht vom Deutschen Bundestag diskutiert und beschlossen wurde. "Höher, schneller, weiter und das mit Tempo 300 halte ich für den falschen Weg", so Schwartze: "Das bindet Geld, das wir für den Bahn-Bestand brauchen." Robin Wagner (Grüne) forderte eine Klima-Gesamtbilanz für die ICE-Trasse. Außerdem kritisierte Wagner das Maßnahmengesetzbeschleunigungsgesetz, also die Grundlage, auf der die ICE-Trasse geplant wird. Die große Koaliton aus SPD und CDU habe das Gesetz in vier Stunden im Bundestag durchgepeitscht. Schwartze konterte, er habe damals dagegen gestimmt. Es gebe aber in der SPD wie in jeder Fraktion "einen Fanclub für den bestehenden Deutschlandtakt". Der müsse erst einmal vom Gegenteil überzeugt werden. Schwartze: "Wir müssen die Entscheidungshoheit zurückerobern!" Und genau das erwartet auch Karsten Otte, Sprecher der Bezirkskonferenz Naturschutz OWL, von den heimischen Bundestagsabgeordneten: "Im Augenblick scheint die Bahn in die falsche Richtung zu fahren. Wir hoffen auf einen Wendehammer!"

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