Gutachten bringt Bürgermeister in Rage: Freispruch für den Kies-Bagger

Bad Oeynhausen. Sie haben den See vermessen, in Länge, Breite und Tiefe. Sie haben 39 Wasserproben entnommen. Und auf neun verschiedene Merkmale, vom pH-Wert bis zur Leitfähigkeit, untersucht. Das Ergebnis, zu dem die Gutachter des Büros Schmidt + Partner kommen, ist eindeutig: "Es ist zu konstatieren, dass unzweifelhaft höher mineralisiertes Tiefenwasser in das Abgrabungsgewässer eintritt", lautet das Fazit der Experten in ihrem Gutachten zum Kiesbau am Deesberg in Rehme. Allerdings urteilt Diplom-Geologe Frank Schmidt weiter, dass davon auszugehen sei, "dass es sich um natürliche Tiefwasseraufstiege handelt, die nicht durch den Abbaubetrieb initiiert worden sind." Und das ist eine Schlussfolgerung, die Bürgermeister Lars Bökenkröger in Rage bringt.Am 23. Mai 2018 hatte das Land Nordrhein-Westfalen – vertreten durch die Bezirksregierung in Detmold – den Planfeststellungsbeschluss erteilt und damit den Kiesabbau am Deesberg an der Weser genehmigt. Das Kieswerk der Unternehmensgruppe Reese (Rinteln) nahm 2019 den Betrieb auf. Laut Planfeststellungsbeschluss darf das Unternehmen nun bis zu 180.000 Kubikmeter Kies und Sand jährlich abbauen – und das zwölf Jahre lang. Bis zu acht Meter tief gräbt sich der Schwimmbagger ins Gelände. Seit der Inbetriebnahme hat sich der Bagger schon einige 100 Meter weiter gen Norden - parallel zur Weser - vorgearbeitet. Die Bezirksregierung machte Reese bei der Genehmigung zur Auflage, regelmäßig Wasserproben aus dem See zu entnehmen, der durch die Kiesabgrabungen entsteht. Die Stadt hatte gegen diesen Planbeschluss der Bezirksregierung geklagt mit Verweis auf das Risiko, das von der Kiesabgrabung für die Heilquellen ausgehen könne. Gesteinsoberfläche angeritzt oder freigelegt?Das Verwaltungsgericht Minden hatte die Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht in Münster beendete das Verfahren schließlich im vergangenen Jahr mit einem Vergleich. Der räumt der Stadt ein, eigene Wasserproben in dem Kiesteich zu nehmen. Das geschah erstmals am 22. September 2021. Und die Analyse der Proben ergab aus Sicht der Stadt Alarmierendes: Der Gutachter, das Büro Leichtle, stellte fest, dass auf einer Länge von 65 Metern "aus dem Seeboden mineralisiertes Wasser in den See austrete". Leichtle hielt es für möglich, dass durch die Baggerarbeiten die Gesteinsoberfläche angeritzt oder freigelegt worden sein könnte, was Ursache für das Eindringen des Tiefenwassers in den Kiesteich sein könnte. Daraufhin forderte die Bezirksregierung das Unternehmen Reese auf, den Sachverhalt gutachterlich untersuchen zu lassen. Reese beauftragte das hydrogeologische Büro Schmidt aus Bielefeld, das auch schon im Planfeststellungsverfahren für das Kiesunternehmen tätig gewesen sein soll. Und das bestätigt nun die Werte von Leichtle, teilt aber nicht dessen Vermutungen zur Ursache. So liegt die Leitfähigkeit des Wassers im Kiesteich, die Aufschluss über den Mineralgehalt gibt, fast vier Mal so hoch wie das Wasser der Weser, die nur ein paar Meter weiter vorbeifließt. Der Salzgehalt - das Natriumchlorid - im Kiesteich liegt sogar rund fünfmal so hoch wie im Weserwasser - und die gilt schon als extrem salzig. Klar ist also: Das Wasser kommt aus der Tiefe - wo die Heilquellen liegen. Doch nicht der Kiesabbau sei dafür verantwortlich, so urteilt Schmidt, sondern es handle sich um "natürliche Tiefwasseraufstiege". Stadt überlegt, ob ein Gegengutachten sinnvoll ist Begründung: Das Abgrabungsgewässer habe schon zu Beginn des Kiesabbaus hohe Mineralgehalte aufgewiesen. Ausdrücklich erhält das Schmidt-Gutachten, das der Redaktion vorliegt, auch einen Freispruch für den Kiesbagger. Der Schwimmbagger sei "technisch nicht in der Lage, Festgestein zu lösen, geschweige denn, es abzubauen", heißt es in dem Gutachten, das sich dabei auf die Aussagen des Unternehmens Reese und die Betriebsprotokolle des Baggers stützt.Die Bezirksregierung habe der Stadt auf Basis dieses Gutachtens mitgeteilt, dass sie "keine weiteren Erfordernisse für ein verwaltungsrechtliches Einschreiten" gegen den laufenden Kiesabbau erkenne. "Diese Haltung der Bezirksregierung, die hier auf stur schaltet und schlicht sagt: Alles ist in Ordnung, ärgert mich maßlos", sagt Lars Bökenkröger. Dabei seien wesentliche Fragen nach wie vor ungeklärt: "Werden die Heilquellen dadurch beeinträchtigt, dass sich das Tiefenwasser offenbar in dem Kiesteich sammelt? Was ist mit der Gefahr, dass dieses hoch salzhaltige Wasser in die Weser gerät? Und so womöglich unsere Trinkwasserbrunnen am Wasserwerk in Rehme gefährdet?", fragt der Bürgermeister. Auch die Frage, ob die Menge des austretenden Wassers seit der ersten Untersuchung 2020 gewachsen ist, werde in dem Gutachten nicht beantwortet.Für Bökenkröger steht fest: "Das ist so nicht hinnehmbar. Wir werden das Gutachten sehr genau prüfen lassen", kündigt er an. Zudem beschäftige sich der Rechtsanwalt der Stadt bereits mit der Frage, ob es sinnvoll wäre, ein Gegengutachten in Auftrag zu geben.

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