Trotz Corona: Zahl der Verkehrstoten hat sich 2020 verdoppelt

Kreis Minden-Lübbecke. Weniger Unfälle, weniger Verletzte, geringerer Sachschaden - das klingt erst einmal gut. Und doch ist die Bilanz der Unfallstatistik getrübt. Der Kreis Minden-Lübbecke verzeichnet für das Jahr 2020 so viele Verkehrstote wie lange nicht. Die Zahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Mit jetzt 16 Toten ist das eine Erhöhung um mehr als 120 Prozent. "Jeder Tote ist einer zu viel", betont der Abteilungsleiter Polizei, Mathias Schmidt, bei der Vorstellung der Unfallzahlen im Kreishaus. Jeweils drei der folgenschweren Unfälle ereigneten sich in Bad Oeynhausen und Hille. Die Kurstadt ist mit der Kreisstadt zudem in einem anderen Fall im Visier der Polizei: Auf der Bad Oeynhausener Kanalstraße und der Mindener Ringstraße kommt es immer wieder zu illegalen Autorennen. Weiterer Schwerpunkt der Polizeiarbeit: die Pedelec-Fahrer. 7.165 Unfälle verzeichnet die Polizei für das vergangene Jahr. Das ist ein Minus von 1.603 oder 18,2 Prozent. Damit liegt der Kreis Minden-Lübbecke im Landestrend. Auch in den einzelnen Kommunen sank die Zahl. Ausreißer hier: Petershagen und Hille. "Dort haben wir Zahlen auf dem Niveau von 2016 und damit eine Zunahme", so Schmidt. Auch wenn Landrätin Anna Katharina Bölling mit dem niedrigsten Unfallwert seit langem zufrieden ist, die gestiegene Zahl der Toten mache sie sehr betroffen. "Sie liegt weit über dem Mittelwert der vergangenen Jahre", sagt Bölling. "Wir haben 2020 eine auffällig hohe Anzahl getöteter älterer Menschen", bilanziert Mathias Schmidt. Er geht zudem davon aus, dass bei vielen dieser Alleinunfälle internistische Gründe vorlagen. Das aber, so Schmidt, werde meist nicht näher untersucht. "Ein Beispiel ist der Unfall des 91-jährigen Autofahrers in Bad Oeynhausen, bei dem eine Radfahrerin getötet, die andere schwer verletzt wurde", so Schmidt. Auch dort lagen laut Gutachten gesundheitliche Gründe vor. "Es spricht viel dafür, dass wir mehrere Unfälle dieser Art haben." 18-Jähriger bei erster Motorradtour tödlich verunglückt Weitere tödliche Unfälle waren zum Beispiel der Sturz eines Elektromobil-Fahrers in Bad Oeynhausen an der Detmolder Straße, bei dem der 84-Jährige unglücklich stürzte und tödlich verletzt wurde. Oder der Unfall eines 18-jährigen Motorradfahrers, der in Hille gleich bei seiner ersten Probefahrt ums Leben kam. "Dabei haben wir eigentlich bei der Zielgruppe der jungen Fahrer eine deutliche Verbesserung erreicht - auch durch unsere Crash-Kurse in den Schulen", erklärt Mathias Schmidt. "Wir erreichen die Zielgruppe", ist der Abteilungsleiter überzeugt. Die nächste neue Zielgruppe, wird im Frühjahr verstärkt mit Aktionen angesprochen werden: die E-Bike-Fahrer. "Da ist die Zahl der Verunglückten massiv gestiegen. Was auch daran liegt, dass diese Fahrer eine deutlich andere Geschwindigkeit fahren als normale Radfahrer", erläutert der Polizei-Chef. "Wir wollen schauen, wie wir diese Fahrer sicherer machen können." Das Rad berge Gefahren in Handling und Geschwindigkeit, ergänzt der Direktionsleiter Verkehr, Dirk Klöpper. 83 Unfälle mit Pedelec-Beteiligung verzeichnete die Polizei in 2020, vier Jahre zuvor waren es noch 23. "Allein im Vergleich zum Jahr 2019 haben wir 31 verunglückte Fahrer mehr, das ist ein Anstieg um 70 Prozent." Insgesamt wurden 75 E-Bike-Fahrer verletzt - 21 von ihnen schwer. Die Hauptaltersgruppe liegt hier bei den 25- bis 64-Jährigen, gefolgt von den Senioren über 65 Jahre. Mehr als 30.000 Verkehrsdelikte erfasst 30.235 Mal mussten die Polizisten im vergangenen Jahr eine Anzeige schreiben, davon zählen 615 zur Kategorie Alkohol/Drogen und 17.334 zum Bereich Geschwindigkeit. Nicht nur, dass Autofahrer die Nachwirkungen des Drogenkonsums unterschätzten: "Auch Tage danach befinden sie sich oft in einem Zustand, der Autofahren nicht erlaubt", weiß Klöpper. Und ergänzt: "Der Rückgang des Verkehrs im ersten Lockdown führte dazu, dass die optisch freie Fläche ausgetestet wurde", nennt das der Direktionsleiter Verkehr. "Wir werden die Geschwindigkeitskontrollen beibehalten", verspricht der Mindener, der bis Anfang 2020 Wachleiter in Bad Oeynhausen war. Der auch nach Unfällen die neue moderne Technik in den Autos verstärkt nutzen will: "Wir werten mittlerweile immer mehr Unfallfahrzeuge digital aus, die fortschreitende Technik macht es möglich", erklärt Klöpper. Zu der normalen Unfallaufnahme kämen dann zum Beispiel die Beweislast der Geschwindigkeit und der Bremspedaldruck hinzu. Ein besonderes Augenmerk haben die Polizeibeamten auf die Mindener Ringstraße und die Bad Oeynhausener Kanalstraße. "Dort gibt es vermehrt Hinweise auf illegale Autorennen", wissen Dirk Klöpper und Mathias Schmidt. Vor allem junge Fahrer seien es, die in Ermangelung anderer Freizeitbeschäftigungen auf der Ringstraße, nahe Kanzlers Weide oder auf der Kanalstraße aktiv seien. "Das ist aber nicht vergleichbar mit Großstädten oder Vorfällen wie letztens in Dortmund", beruhigt Klöpper. "Aber: Wehret den Anfängen." Neben den Treffen spätabends oder am Wochenende gebe es auch immer wieder spontane Rennen. So habe jüngst die Besetzung eines Zivilfahrzeuges unmittelbar hinter zwei rennbereiten Autos auf der Ringstraße an der Ampel gestanden. "Die Fahrer wurden angehalten, Führerscheine und Autos sichergestellt", berichtet Schmidt. Mittlerweile sei das eine Straftat: "Wir können als Polizei gut einschreiten und haben Möglichkeiten, konsequent durchzugreifen." Und zwar so früh wie möglich, damit sich eine solche Tuningszene gar nicht erst etabliere. Die Staatsanwaltschaft trage das mit. "Glauben Sie mir, der Effekt vor Ort ist beachtlich, wenn der Abschlepper vorfährt und das heißgeliebte Auto auflädt", berichtet Dirk Klöpper schmunzelnd. Komplexe Stadtstraße Warum es gerade diese beiden Straßen sind, die die Rennfahrer anziehen, das können die Polizisten nur vermuten: "Die lange Gerade der Kanalstraße ist sicherlich ein Grund. Und an der Ringstraße liegt es vielleicht an den beiden amerikanischen Spezialitäten-Restaurants an beiden Enden", mutmaßt Klöpper augenzwinkernd. Die Ringstraße ist für Abteilungsleiter Schmidt aber auch tagsüber nicht ungefährlich: "Sie ist komplex und anspruchsvoll, teilweise verschwenkt und eng - eigentlich ist die festgelegte Geschwindigkeit mit 60 km/h dort viel zu hoch."

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