
Oerlinghausen. „Als die Römer frech geworden, zogen sie nach Deutschlands Norden“, heißt es in einem Volkslied früherer Zeiten. In Oerlinghausen und Umgebung besitzt die bekannte Melodie eine höchst treffende Bedeutung. Ein Tross von etwa 25.000 Römern, also Legionäre und Hilfstruppen, marschierte vor etwa 2.000 Jahren entlang der Schopke Richtung Norden und errichtete in der Nähe von Haus Neuland ein gewaltiges Marschlager für eine Nacht oder zwei Nächte.
Hinweise auf das Lager wurden vor etwa acht Jahren eher zufällig entdeckt. Es gilt als Sensationsfund der Archäologie und fand seinerzeit international Aufmerksamkeit. Jetzt wanderte der Oerlinghauser Heimatverein auf römischen Pfaden und unternahm sozusagen eine Zeitreise entlang der Schopke. Inge Berghoff führte die Gruppe und gab den Teilnehmern weitere historische Informationen auf dem Weg von der Alexanderkirche zum Haus Neuland.
Hobbyforscher aus den Niederlanden gilt als Entdecker des Lagers
Ein niederländischer Hobbyforscher hatte 2017 mit Luftbildern und einer modernen Scan-Methode die Umrisse des römischen Marschlagers entdeckt und damit die Archäologen auf den Plan gerufen, die mit neuzeitlichen wissenschaftlichen Methoden den Boden untersuchten. Die gefundene Form des Lagerplatzes in einer Größe von etwa 26 Hektar, was circa 36 Fußballfeldern entspricht, war nach Ansicht von Bettina Tremel, Archäologin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, typisch für ein Römerlager, das nur für einen Zwischenstopp auf einem längeren Feldzug errichtet wurde. Denn nur für eine Übernachtung hatten die Römer immense Schutzwälle aufgeschüttet und darauf eine Art Palisadenzaun gesetzt, der das Lager vor Überfällen schützen sollte.

Die römischen Truppen folgten zumeist Bach- und Flussläufen auf ihren Märschen durch Germanien. Von ihren Garnisonsstädten am Rhein, wie Köln oder Xanten, aus verlief eine der Hauptrouten entlang der Lippe und dann Richtung Teutoburger Wald und Weser. Um eine möglichst einfache Durchquerung der Bergkette zu erreichen, hatten Vortruppen der drei Legionen offenbar die leichte Marschroute oberhalb des Schopkebaches gewählt, die sie bei der Erkundung entdeckten. Die Schopke (Menkebach) mitten im Siedlungsgebiet der Cherusker bot den Legionären mit einem ganzjährig Wasser führenden Bach eine gute Wasserversorgung und ermöglichte ihnen die Überquerung des Teutoburger Waldes auf einem bequemen Pass.
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Wie römische Legionäre marschierten, lagerten und versorgten
Auf jedem Feldzug nahm man auch Familien, Händler zur Versorgung und sogar Hilfskräfte für Transport und zum Aufbau mit. Maultiere und Pferde wurden ebenfalls für die Transporte genutzt. Die mehr als 20.000 Menschen schliefen in Zelten aus Leder, die sie morgens wieder abbauten. Das ist etwa so, als wenn man jeden Tag eine ganze Stadt an einem neuen Platz errichtet. „Eine so gewaltige Armee für Wochen unterwegs zu versorgen“, sagt der Oerlinghauser Leiter des Archäologischen Freilichtmuseums, Karl Banghard, „das ist schon eine logistische Meisterleistung.“
Die Wissenschaftler haben ausgerechnet, was die römischen Legionäre am Tag leisten mussten. Das Marschlager am heutigen Haus Neuland in Bielefeld-Sennestadt lag etwa 23 Kilometer vom Römerlager Anreppen an der Lippe entfernt, was einem Tagesmarsch entsprach. Zwei weitere Tagesmärsche entfernt in Barkhausen an der Porta Westfalica war ebenfalls ein Römerlager entdeckt worden. Dort wurden sogar im Boden Reste von Feuerstellen gefunden, die man als Erdbacköfen zum Brotbacken erkannte.
Warum die Römer nach Norden zogen, ist noch nicht geklärt

Unklar ist noch immer, welche genaue Route die Römer eingeschlagen haben. Denn ein weiteres römisches Lager auf halber Strecke bis zur Weser, das etwa bei Löhne liegen dürfte, schlummert noch unentdeckt im Boden. Auch noch nicht geklärt ist, warum die Römer zu diesem Zeitpunkt Richtung Norden zogen. Historiker rechnen es den Feldzügen unter Kaiser Augustus zu – in der Zeit zwischen 1 und 16 nach Christus. Dafür spreche die Form des Lagers und die der dort eingebauten Einlasstore, der sogenannten Clavicula-Tore.
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Seit längerer Zeit gibt es in der Nähe des Hauses Neuland diverse Hinweise und historische Informationen für Wanderer über Größe und Bedeutung der Fundstelle. In Eigeninitiative hat der Historiker und Politikwissenschaftler Werner Thiel aus Greven Informationsblätter unter Folie an Bäume geheftet. Thiel setzt sich seit langem für die Sichtbarmachung dieses bedeutenden archäologischen Fundorts ein.
Seiner Ansicht nach verdient das Marschlager größere öffentliche Aufmerksamkeit – nicht zuletzt, weil es in einem direkten Bezug zu den historischen Ereignissen rund um die berühmte Varusschlacht im Jahr 9 nach Christus stehen dürfte.