Germanen in neuem Licht

„Die Germanen hätten sich totgelacht“

Der Leiter des Archäologischen Freilichtmuseums Oerlinghausen, Karl Banghard, kämpft schon lange für ein reales Bild der Vergangenheit. Jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben: „Die wahre Geschichte der Germanen“.

Zur Illustration des Buches zeigen nachgestellte Szenen im Naturschutzgroßprojekt in Oerlinghausen, wie eine germanische Auerochsenjagd ausgesehen haben kann.?Foto: Ullstein Verlag / Jonas Radtke | © Ullstein Verlag/Jonas Radtke

Horst Biere
10.05.2025 | 10.05.2025, 00:00

Oerlinghausen. Wie oft schon hat man die Anfänge der Deutschen in Germaniens Wäldern gesucht? Und wie lange schon hält sich der Glaube an die blonden, hochgewachsenen, Met trinkenden Recken, die Deutschland von der Herrschaft der Römer befreit haben? Ziemlich viel Quatsch sei oftmals verbreitet worden, meint Karl Banghard. „Die Germanen hätten sich wahrscheinlich totgelacht“, vermutet er, wenn sie diese Geschichtsbilder gekannt hätten.

Als Wissenschaftler wirft der Leiter des Archäologischen Freilichtmuseums in Oerlinghausen einen ganz anderen Blick auf deutsche Vergangenheit. In diesen Tagen ist sein Buch auf den Markt gekommen, in dem er „Die wahre Geschichte der Germanen“ beschreibt. Der Ullstein Verlag hat sein spannend und munter geschriebenes Buch veröffentlicht. Auf 250 Seiten berichtet er von Ereignissen und Szenen aus ganz Europa, die um die Zeit von Christi Geburt beginnen und etwa um 400 Jahre später enden.

Ausgrabungen belegen den Schlachtverlauf zwischen Römern und Germanen

Die lockeren Geschichten gründen unter anderem auf archäologischen Funden aus römischen Heerlagern. Zum Beispiel bei Limburg in Hessen mit Siedlungen und Feuerstellen sowie Gräbern gleich nebenan. Germanischer Alltag und kluges landwirtschaftliches Arbeiten lassen sich durch archäologische Funde auf der Insel Amrum nachweisen. Hochinteressant sind auch Fundstätten in Niedersachsen an den Ausläufern des Harzes. Dort konnte man durch Ausgrabungen einen kompletten Schlachtverlauf zwischen Römern und Germanen rekonstruieren.

Eine Kultstraße aus germanischer Zeit dient zur Bebilderung der wissenschaftlichen Berichte aus ganz Europa.?

?Foto: Ullstein Verlag/Jonas Radtke. - © Ullstein Verlag/Jonas Radtke.
Eine Kultstraße aus germanischer Zeit dient zur Bebilderung der wissenschaftlichen Berichte aus ganz Europa.?
?Foto: Ullstein Verlag/Jonas Radtke. | © Ullstein Verlag/Jonas Radtke.

Die berühmte Varusschlacht im Jahre 9 nach Christus allerdings, die er die „Mutter aller Schlachten“ in der Provinz Germanien nennt, könne man selbst archäologisch noch immer nicht genau verorten. Schon gar nicht in der Nähe des Hermannsdenkmals und vielleicht auch – trotz vieler Fundstücke – nicht einmal in Kalkriese bei Osnabrück. Denn obwohl man ein beeindruckendes Schlachtfeld aus dieser Zeit entdeckt und nach modernen archäologischen Erkenntnissen aufbereitet hätte, gebe es immer noch keinen schlüssigen Beweis für die Existenz der verlorenen römischen Legionen. Aber das heutige regionale Marketing der Varusschlacht dort laufe hervorragend.

„Hätte man einen Menschen im Teutoburger Wald um die Zeitenwende nach seinem Stamm gefragt, wäre die Antwort ‚Cherusker‘ gewesen. Nicht ‚Germane‘. Höchstwahrscheinlich hätte er nicht einmal verstanden, worauf wir hinauswollen, denn die Bezeichnung ‚Germane‘ war eine grobe Vereinfachung der Römer“, erklärt Karl Banghard. Schon gar nicht könne man „Deutsch“ mit „Germanisch“ gleichsetzen. Und, „wer Arminius, den Helden der Varusschlacht, als ersten Deutschen bezeichnet hätte, hätte dafür von ihm wohl eine aufs Maul bekommen“, formuliert Banghard humorvoll weiter.

Mit Humor und moderner Geschichtserzählung wendet sich Museumsleiter Karl Banghard in seinem neuen Buch gegen das überkommene und oft missbrauchte Germanenbild.?Foto: Horst Biere - © Horst Biere
Mit Humor und moderner Geschichtserzählung wendet sich Museumsleiter Karl Banghard in seinem neuen Buch gegen das überkommene und oft missbrauchte Germanenbild.?Foto: Horst Biere | © Horst Biere

Es seien vor allem römische Quellen, die das Germanenbild geprägt haben und so eine derbe, kriegerische Lebensweise der Germanen überlieferten. In unserer Zeit aber geben nach Karl Banghards Ansicht moderne archäologische Funde Aufschluss über die tatsächliche Lebensweise der germanischen Stämme. Sie zeigen den Alltag fernab der Schlachten und „sie deuten auch auf eine erstaunliche Mobilität hin.“

Die Nazis hätten das klischeehafte Germanien gern für ihre Zwecke genutzt. Das Oerlinghauser „Germanengehöft“, das seinen Namen mit seinem ersten Aufbau im Jahre 1936 der Nazi-Ideologie verdankt und das vom Volksschullehrer Hermann Diekmann initiiert wurde, sieht er eher als frühere Volksbildungsstätte und hatte Schulen und Hitlerjugend als Zielgruppe.

In jenen Tagen schuf man ein „radikal neues Germanenbild“, sagt Banghard. Ein ideales Vehikel für versteckte politische Inhalte. Und vor allem sei es nicht sofort als politische Propaganda erkennbar gewesen.

Das Fatale sei nur, dass das Germanenbild der damaligen Zeit heute eine erstaunliche Wiederbelebung erfahre – durch die Rechtsextremisten unserer Tage. „Das Germanenthema ist in der rechten Szene omnipräsent. In den Medien, in Outfits, in der Musik, in der Religiosität. . .“ Das zeige sich bei den rechten Veranstaltungen auf T-Shirts mit germanischen Runen oder aber mit Arminius-Bildern. Sein Ansatz sei deshalb – vor allem im Archäologischen Freilichtmuseum – mit neuen Erzählungen und Bildern gegen die alten Bilder anzutreten.