
Oerlinghausen. Zweieinhalb Jahre hat Sandra Lüpkes an ihrem aktuellen Buch gearbeitet, tiefgehende Recherche am Originalschauort auf der Nordseeinsel Juist und weit darüber hinaus betrieben. Auf der Leipziger Buchmesse sollte ihr fast 600 Seiten umfassender Roman vorgestellt werden. Dann kam Corona. Dennoch entwickelte sich „Die Schule am Meer“ schnell zum Bestseller. In Oerlinghausen sind jetzt 80 Zuhörer in den Genuss einer Lesung gekommen.
„Die erste in dieser Form seit März“, sagt Sandra Lüpkes und atmet hörbar auf. Normalerweise wäre die Autorin in den vergangenen Monaten permanent unterwegs gewesen. 20 Lesungen mussten jedoch abgesagt oder verschoben werden. Umso glücklicher war sie, dass die Buchhandlung Blume nun eine Veranstaltung ermöglich hat. Funktioniert hat das auch deshalb so gut, weil die Mensa der Heinz-Sielmann-Schule per Sondergenehmigung genutzt werden konnte.
"Langsam wieder Luft holen"
„So etwas muss es im Moment geben“, sagt Sandra Lüpkes, und sie weiß: „Meine Kollegen sind auf positive Art neidisch und hoffnungsvoll, dass die Kultur langsam wieder Luft holen kann.“ Bereits zum fünften Mal stellt die seit zwei Jahren in Berlin lebende Autorin eines ihrer Bücher in der Bergstadt vor und sieht hier „viele bekannte Gesichter“ wieder – zumindest, nachdem die Mund-Nase-Bedeckung auf den Plätzen abgenommen werden darf.
Statt 240 dürfen 80 Besucher in die HSS-Mensa. Die Stühle sind auf Abstand gestellt und nummeriert worden. Beim Einlass werden die Hände desinfiziert. Nach der Lesung geht es auf der anderen Seite hinaus. Jörg Czyborra ruft dafür die einzelnen Reihen auf, damit es kein Gedränge gibt. Zuvor folgen die Zuhörer gespannt und gebannt, was es mit der Schule am Meer auf sich hat.
Diese Schule im damals kargen öden Dünental gab es wirklich. Gegründet wurde sie Mitte der 20er Jahre von Anni Reiner, ihrem Mann Paul und befreundeten Kollegen. Neue pädagogische Wege gingen sie. Praktisches Lernen im Einklang mit der Natur, darauf lag der Fokus. Zu den Lehrern gehörte Eduard Zuckmayer. Er entschied sich gegen eine vielversprechende Karriere als Pianist und Dirigent und fand auf Juist eine neue Herausforderung. Zuckmayer ist nur eine der historischen Figuren im Roman, in dem es auch um die NS-Zeit, um Hunger, Verrat und Verzweiflung geht.
"Ein großes Glück"
Auf ihrer Suche nach Antworten, was aus Anni geworden ist, macht Sandra Lüpkes deren jüngste Tochter Karin ausfindig. „Ein großes Glück.“ Auf einer Leinwand erscheint das Bild der alten Dame und der Steintisch, an dem Anni, die als Schriftstellerin unter anderem Namen gelebt hat, geschrieben hat. Die Seniorin lud Sandra Lüpkes ein, an den Lago Maggiore zu kommen und dort in Truhen und Schränken auf Vergangenheitssuche zu gehen.
In Briefen an Annis Töchter, die sie entdeckte, „standen die Antworten auf alle noch offenen Fragen“. Diese Funde seien „magische Momente“ gewesen, erzählt Sandra Lüpkes. Und ihr Roman unterscheidet sich deutlich von allen vorherigen. „Ein deutlicher Qualitätssprung“, lobt Buchhändlerin Martina Lange. „Ein ganz besonderes Buch.“ Alle Personen seien ihr beim Lesen derart ans Herz gewachsen, "dass ich traurig gewesen bin, als es zu Ende war“.