Wie zwei Warburger Familien die Volkmarser Gewalttat erlebten

Volkmarsen/Warburg. Die Stimmung ist bedrückend an diesem Morgen danach in Volkmarsen: Großräumig hat die Polizei den Bereich, wo das Unglück beim Rosenmontag mit mittlerweile 60 Verletzten passierte, abgesperrt. Streifenwagen, Zivilfahrzeuge mit Kennzeichen aus der hessischen Landeshauptstadt, ein Zeltpavillon sind zu sehen, ein quergestellter Lastwagen der Feuerwehr mit rotem Aufbau verdeckt die Sicht auf den Tatort, wo ein 29-Jähriger aus Volkmarsen mit einem Kombi in den Rosenmontagszug gefahren war. Rundherum in den Straßen zahlreiche Polizeifahrzeuge am Straßenrand oder langsam patrouillierend unterwegs. Zwischen Resten von Karnevalsdekoration mit dem Volkmarser Karnevalsruf &bdquo;Schurri", Konfetti und Luftballons ist Stille eingetreten. Einige Straßen rund um den Steinweg sind mit Hütchen abgesperrt. Polizisten halten Fernsehteams und Fotografen auf Abstand. Es sind noch viele Fragen ungeklärt. Die nordhessische Kleinstadt steht unter Schock. Auch in der ostwestfälischen Nachbarstadt Warburg macht sich nach der Gewalttat Bestürzung breit. &bdquo;Schrecklich und unfassbar", drückt es Bürgermeister Michael Stickeln in Worten aus. &bdquo;Man glaubt nicht, dass so etwas bei uns passieren kann" Er hatte im Ratskeller nach dem launigen Meisterfrühstück am Morgen von den Geschehnissen beim Rosenmontagszug der Volkmarser Karnevalsgesellschaft 1937 erfahren. Unter den feiernden Warburger Meistern und Gewerbetreibenden in der Gastwirtschaft hatte die Nachricht schnell die Runde gemacht. &bdquo;Man glaubt nicht, dass so etwas bei uns passieren kann", sagt Stickeln. Sein erstes Telefonat galt dem Amtskollegen aus der rund 6.000 Einwohner zählenden Nachbargemeinde. Mit Bürgermeister Hartmut Linnekugel (61) ist der Verwaltungschef freundschaftlich eng verbunden. Stickeln hatte vor dem Amtsantritt in der Hansestadt in Volkmarsen fünfeinhalb Jahre lang als Büroleiter der Stadtverwaltung und kaufmännischer Betriebsleiter der Stadtwerke gearbeitet. &bdquo;Daher kenne ich ich dort viele", sagt er. Linnekugel habe ihm übers Handy kurz informiert und ihn eine Stunde später auf den aktuellen Stand gebracht. Er könne erahnen, &bdquo;was in so einer Situation alles auf den Bürgermeister einschlägt", ist Stickeln für die Gespräche dankbar. Neben der Fassungslosigkeit steigt auch die Wut Traditionell gebe es enge Beziehungen über die nahe Landesgrenze hinweg. &bdquo;Viele Menschen aus unserer Region besuchen seit vielen Jahre den Rosenmontagszug", weiß Stickeln. Entsprechend groß sei &bdquo;die Betroffenheit einerseits und die Solidarität andererseits", hält er fest. &bdquo;Unschuldige Kinder, die gerade noch Bonbons von der Straße aufsammelten" schießen ihm als Bilder durch den Kopf. Weil aufgrund des schlechten Wetters der Kinderumzug am Sonntag abgesagt worden war, liefen am Montagnachmittag besonders viele Kinder im Zug mit. &bdquo;Das jüngste Opfer unter den Verletzten war zwei Jahre alt", bemerkt Stickeln. Neben der Fassungslosigkeit steige in ihm auch die Wut, sagt er und sucht nach Gründen für die irrsinnige Tat. Was bisher vermeintlich immer weit weg gewesen sei, habe nun die eigene Region getroffen. &bdquo;Absolute Sicherheit gibt es nicht", sagt Stickeln dann und denkt auch an den Umzug der Warburger Oktoberwoche. Allerdings sollte man auch nicht zu ängstlich sein, fügt er an. Dann geschah das Unfassbare Für die Wormelnerin Rita Menge, Tochter Claudia und die dreijährige Enkelin sollte es am Straßenrand ein fröhlicher Nachmittag werden, bunte und ausgelassene Stunden. Doch sie erlebten dramatische Szenen. Das Auto oberhalb der Bahnlinie geparkt, hatten sie sich am Jägerhof unterhalb des Rewe-Marktes verabredet. Wurden die ersten Gruppen des vorbeiziehenden Zuges noch bejubelt, geschah dann das Unfassbare. &bdquo;Wir haben das Auto nicht richtig gesehen", sagt die 60-Jährige. &bdquo;Der Wagen ist an uns vorbeigeschossen, etwas schepperte. Alles ging blitzschnell", beschreibt sie. Dann sei ein Moment gespenstischer Stille eingetreten. Mutter und Tochter schauten sich an, packten die Kleine, zogen sich zurück, suchten Sicherheit. &bdquo;Schockstarre", sagt Menge. &bdquo;Wir konnten ebenso wie die Umstehenden nicht einordnen, ob da noch etwas hinterherkommt, weitere Wagen oder Schüsse vielleicht", nennt sie ihre Ängste, geschürt von Medienberichten vergangener Terroranschläge im Kopf. Ringsherum große Verunsicherung, die Enkelin weint. &bdquo;Viele Menschen rückten nach, wollten wissen, warum der Zug nicht weiterging", beschreibt Rita Menge folgende chaotische Minuten. Das Erlebte sitzt tief Die Situation: &bdquo;Einfach ganz furchtbar", ringt die gebürtige Volkmarserin um Worte. Menschen kümmerten sich um die Verletzten. &bdquo;Da läufst du nicht hin", habe sie sich mit Blick auf zahlreiche Neugierige gesagt. Dann seien sehr schnell Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen am Ort gewesen. Mitarbeiter einer Apotheke hatten eine Erstversorgung eingerichtet. Das Erlebte sitzt auch am Tag danach noch tief. Menge erinnert sich an viele Familien mit Kinderwagen und Kleinkindern und denkt an die zahlreichen Opfer. Die Antwort lässt aufatmen Familie Peine steht seit Jahren in einer Seitenstraße, um sich den beliebten Karnevalszug anzuschauen. Als der Fahrer in den Zug hinein brettert, wartet Heinz Peine auf dem Marktplatz auf die Zugspitze, die nicht kam. &bdquo;Wir hörten Martinshörner", sagt Peine und berichtet von sich überschlagenden Nachrichten, die quer über den Platz kursieren. Immer mehr Signalhörner sind zu hören. Jemand weiß sogar von einem Anschlag und mindestens fünf Toten. Nach anfänglicher Skepsis wächst die Sorge, denn im Zug befinden sich Nichten und Neffen. Die Nachfrage übers Handy beim Schwager, &bdquo;ja, alle sind okay". Die Antwort lässt aufatmen. Der Täter ist auch in die sechsköpfige &bdquo;Sesamstraßen-Gruppe" der jungen Leute aus Peines Verwandtschaft gefahren. Wie ein Wunder erleidet nur einer der Neffen leichte Schnittwunden. Doch der Schock sei allen in die Glieder gefahren und belaste die Seelen schwer. &bdquo;Unsere mitgeführte Mülltonne könnte den Airbag ausgelöst und den Kombi gestoppt haben", habe jemand aus der Gruppe später vermutet, sagt Peine. Ein flaues Gefühl verspüre er immer noch, heilfroh, dass die Familie gesund geblieben sei.

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