Als eine Steinheimer Familie zu arm für die Beerdigung eines Sohnes war

Steinheim. &bdquo;Manchmal tut ein Blick in die unmittelbare Vergangenheit gut, um dankbarer und mit mehr Zufriedenheit das Weihnachtsfest feiern zu können“, sagt Steinheims Chronistin Heike Sternberg-El Hotabi. Denn sie hat recherchiert: &bdquo;Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg waren es finanziell harte Zeiten, insbesondere für die ärmere Bevölkerung Steinheims, die in den turbulenten und trostlosen Zeiten der Inflation bis hin zur Hyperinflation im Jahre 1923 unaufhörlich anwuchs“, erzählt sie über die Zeit vor rund 100 Jahren. Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not prägten das Alltagleben in der Emmerstadt, wie es Dokumente in der &bdquo;Acta betreffend die Unterstützung und Verpflegung der Armen 1914-1926“ aus dem Steinheimer Stadtarchiv eindrucksvoll zeigt. Rund 300 Euro für Geschenke Die Vorweihnachtszeit ist heutzutage wohl vor allem eine Zeit des Konsums: &bdquo;Die Zeiten sind vorbei, in denen Adventskalender nur mit Schokolade gefüllt werden, da es gerne auch etwas exklusiver sein darf – und für das Weihnachtsfest selbst planen die Deutschen nach Umfragen in diesem Jahr im Durchschnitt knapp 300 Euro für Geschenke ein“, sagt die Chronistin. Teure Bestattungen Rund um 1922 war das ganz anders: Damals bedrängte die Armut die sorgenvollen Bürger. Vor allem, weil es immer schwieriger wurde, wichtige Bräuche zelebrieren zu können, beispielsweise Bestattungen: &bdquo;Heutzutage werden Bestattungsformen und -rituale ja allmählich aufgeweicht, doch einst besaß die Bestattungskultur einen enorm hohen gesellschaftlichen Wert“, so Sternberg-El Hotabi. Die Preise für Beerdigungen stiegen allerdings damals fortgesetzt an. &bdquo;In verschiedenen Städten mehren sich die Begräbnisschwierigkeiten, weil große Teile der Bevölkerung die sehr erheblichen Beerdigungskosten nicht mehr tragen können“, schrieb dazu auch der Vorsitzende des Westfälischen Städtetages. In Steinheim überließ die Stadt den Bürgern bei Todesfällen deshalb &bdquo;auf Antrag Bretter zu mäßigem Preise, aus denen sie sich einen Sarg fertigen lassen können“, wie es im Winter 1922 der Bürgermeister Alois Starp beschrieb. Das Holz dafür kam aus dem städtischen Wald. Armut zog sich quer durch die Gesellschaft Doch da viele Familien selbst die reduzierten Preise bald nicht mehr zahlen konnten, sah sich die Stadt 1923 gezwungen, folgenden Beschluss zu fassen: &bdquo;Unter Anerkennung der Dringlichkeit wurde beschlossen, den von Sterbefällen betroffenen Familien das Holz für den Sarg auf Antrag unentgeltlich zu geben“. Sternberg-El Hotabi hat recherchiert: &bdquo;In der Tat waren es viele Bürger, die die Kosten für einen Sarg damals nicht mehr tragen konnten und bei der Stadt Anträge auf Kostenübernahme stellten“. So etwa der Maurer Joseph Jürgens, der in der Wallstraße wohnte: &bdquo;Mein Sohn Anton ist gestern Nachmittag im hiesigen Krankenhause gestorben. Mit der Herstellung des Sarges habe ich den Kunsttischlermeister Franz Finkeldey hier beauftragt und bitte demselbst Tannenholz aus dem hiesigen Stadtwalde zu dem vorgenannten Zweck überweisen zu wollen“. Steinheims Chronistin erzählt in ihrer Archivale: &bdquo;Desgleichen häuften sich damals auch die Anträge auf Ausstellung eines Armutszeugnisses zwecks Nachsuchung des Armenrechts zusehends – Zeugnisse für die bedrückende Not jener Zeit“. Immerhin wurden die armen Steinheimer Familien von der Stadt zu Weihnachten und zu Neujahr jeweils mit einem Laib Brot beschenkt. Zu liefern waren die Brote von den örtlichen Bäckereien von Johann Schriegel und Conrad Lödige. Unter der Armut litten viele: Nicht nur Witwen, Witwer und Invaliden, sondern auch vielen andere Familien mit Berufen wie Schuhmacher, Tischler, Maurer, Holzbildhauer und Maler – eben quer durch die Steinheimer Gesellschaft. Davon zeugen die langen Listen mit den Anträgen auf die Armutszeugnisse, einsehbar im Steinheimer Stadtarchiv.

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