Nationalpark: Wie laut sollte Höxters Landrat Stickeln seine Meinung äußern?

Pro: Angriff auf die Freiheit des Wortes von David Schellenberg Selten hat eine Meinungsäußerung von Landrat Michael Stickeln so viele Reaktionen hervorgerufen. Dabei hat er in der Vergangenheit des Öfteren Statements abgegeben, die mindestens die gleiche Aufmerksamkeit verdient hätten. Während er aber sonst als oberster politischer Repräsentant des Kreises, Kreistagschef und Behördenleiter ständig und zu allen Dingen um seine Meinung und seinen Standpunkt gebeten wird, soll er in diesem Falle stillschweigen. Das fordern zumindest einige Nationalpark-Befürworter ein und verlangen absolute Neutralität. Eine Forderung, die sachlich nicht nur unbegründet, sondern auch zutiefst undemokratisch ist. Das fest im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein besonders hohes demokratisches Gut, die Vereinten Nationen haben es deshalb auch zu einem Menschenrecht erklärt. Es steht jedem zu. Wer es dem Landrat oder jemandem anderen abspricht, greift unsere freiheitliche Gesellschaft an einem zentralen Punkt an. Der hat das Prinzip des demokratischen Meinungsstreits nicht verstanden. Statt Stillschweigen darf der Bürger vielmehr von seinem Landrat erwarten, dass er sich klar und deutlich positioniert. Nicht nur in dieser Frage. Es ist zu erwarten, dass er und alle anderen gewählten Meinungsführer öffentlich ihre Argumente austauschen. Gern emotional, aber vor allem faktisch korrekt. Denn nur so weiß der Bürger bei der nächsten Kommunalwahl, wer seine Positionen am besten vertreten hat. Oder kann sich, wie in diesem besonderen Fall, aus den vielen Argumenten seine eigene Meinung für die Abstimmung bilden. Was die Bürger zurzeit im Kreis Höxter erleben dürfen und erleben müssen, wäre sicherlich ein sehr spannender Stoff für eine wissenschaftliche Untersuchung: Der Kreis Höxter lernt am Nationalpark-Bürgerentscheid, wie direkte Demokratie funktioniert. Die Bürgerinnen und Bürger lernen, selbstverantwortlich über immerhin eine wichtige Zukunftsfrage zu entscheiden, während die bisherigen politischen Entscheidungsträger schmerzhaft erfahren, genau diese Verantwortung mal an das Volk abzugeben. Das fällt einigen sichtbar schwer. Ebenso schwer fällt es manchem – auf beiden Seiten – offenbar, dem anderen erstmal ruhig und bis zum Ende zuzuhören und die Meinung des anderen auszuhalten. Wie schwer wird es dann erst zu akzeptieren, dass sich die andere Position durchgesetzt hat? All das gehört zur lebendigen Demokratie dazu. Der Kreis Höxter muss noch viel lernen. Kontakt zum Autor Lesen Sie auch: Landrat im Kreis Höxter ist fassungslos über Kritik an seiner Nationalpark-Position Contra: Wer kann die Menschen am Ende versöhnen? von Ralf T. Mischer Natürlich hat ein Landrat eine Meinung – wie sonst hätte er überhaupt Landrat werden können? Und natürlich hat ein Landrat, wie jeder andere Bürger dieses Landes auch, das Recht seine Meinung öffentlich zu äußern. Wie verrückt wäre es denn bitte, wenn ein Landrat, in dem Moment, in dem er gewählt wird, nicht mehr sagen dürfte, was er denkt?Es gibt da zwar die politische Neutralitätspflicht von Behörden. Ja, ein Landrat ist in gewisser Weise auch so etwas wie eine Behörde, zumindest, als Amtsträger, deren Chef. Auch Chefs sind Menschen, politisch denkende Menschen in dem Fall und sie haben auch eine Meinung. Die dürfen sie jederzeit äußern. So weit reicht die Neutralitätspflicht nicht. Erlaubt ist es, dass der Landrat sich öffentlich festlegt. Aber ist es politisch klug?Im Kreis Höxter findet in diesen Tagen ein Bürgerentscheid statt. Das ist eine gute Übung für Instrumente der direkten Demokratie. Eine Übung ist es deshalb, weil es kreisweit bislang noch nie zur praktischen Anwendung gekommen ist. Landrat Michael Stickeln ist hoch anzurechnen, dass er in allen Äußerungen durchblicken lässt, für wie wichtig er dieses Instrument hält. Zugleich sieht der Landrat, dass die Debatte über das Für und Wider Nationalpark nicht unbedingt von der Auseinandersetzung über und mit Fakten geprägt ist, sondern stattdessen sehr emotional geführt wird – und immer weiter hochkocht. Von allen denkbaren Funktionsträgern – vom Pfarrer bis zum Förster – wird in den aktuellen Debatten ein zumindest implizites Bekenntnis eingefordert: Bist Du für uns – oder gegen uns? Sowohl von Gegnern als auch von Befürwortern eines Parks. Statt zu helfen, eine eigene Linie zu entwickeln, sollen Vorturner auf beiden Seiten zeigen, wo es lang geht. Diese Personalisierung des Diskurses ist nur bedingt hilfreich bei der Meinungsfindung, denn sie begünstigt ein Lagerdenken und eine Schwarz-Weiß-Malerei, die der Komplexität des Themas wenig angemessen zu sein scheint. Um die Debatte zu versachlichen, wäre es hilfreich, wenn der Amtsträger zu dem Thema, über das der Bürger entscheiden soll, eine gewisse Distanz einnimmt. Auf diese Weise könnte er moderierend eingreifen und dem Souverän jene Souveränität zurückgeben, die ihm eigentlich bei Bürgerentscheiden zusteht. Zwischenrufe und deutlichste Meinungsbekundungen gibt es von allen Seiten – und zwar mehr als genug. Der Kreis ist gespalten wie selten. Wer soll die Lager am Ende versöhnen? Kontakt zum Autor

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