Kein eigenes Auto: Experte über Zukunft der Mobilität in Höxter und Paderborn

Kreis Höxter/Paderborn. Der Schritt ist radikal: Taxis werden in der Zukunft zu Bussen und übernehmen im ländlichen Raum deren Aufgabe – zielgerichtet und bedarfsorientiert und zu ÖPNV-Preisen: Eine steile These, die Andreas Knie, Professor vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin, da aufstellte. In seinem provokanten Schlusswort noch getoppt von der Aussicht, in naher Zukunft einen ganz radikalen Schritt zu machen und ganz auf Privateigentum an Verkehrsmitteln zu verzichten, also auf das, &bdquo;was zu 90 Prozent steht“: &bdquo;Wir brauchen kein eigenes Verkehrsmittel mehr.“ Zugespitzt nach einer zweistündigen unterhaltsamen und kurzweiligen Diskussion um die &bdquo;Zukunft der Mobilität im ländlichen Raum“, zu dem der Nahverkehrsverbund Paderborn-Höxter (NPH) in seiner ersten Forumsreihe 160 Zuhörer begrüßte. Dabei wurde deutlich: Es geht nicht allein um den Bus, da spielen alle anderen Verkehrsmittel mit rein. Aber auch und vor allem der soziale Wandel in der Gesellschaft, in Lebensgemeinschaften und Arbeitsweisen, der komplett neues Denken und Loslassen erfordere. Denn auch Stummfilme oder Telefonzellen seien heute out. Austauschmöglichkeit, die &bdquo;zum Denken anregt“ Zwei oder drei Mal sei er an diesem Abend ins Schwitzen gekommen, sagte der Verbandsvorsteher des NPH, Paderborns Landrat Christoph Rüther schmunzelnd. Aber er sei froh über diese Austauschmöglichkeit gewesen, die &bdquo;zum Denken anregt“. Einleitend hatte er von einer großen Unzufriedenheit“ mit dem ÖPNV in den Kreisen Höxter und Paderborn gesprochen. Tenor: &bdquo;Das passt nicht zu uns.“ Doch was passt? Um das herauszufinden, gibt es nun das Fahrgastzählsystem, dass Potenziale auf dem Weg von A nach B aufdecken soll – oder eben nicht – und ein Strukturgutachten, das den NPH gesamt unter die Lupe nimmt. &bdquo;In der Grundstruktur viel zu kompliziert aufgebaut“, so Rüther. Ende des ersten Quartals 2024 rechnet er mit Ergebnissen. Für NPH-Geschäftsführer Marcus Klugmann baut ein nachhaltiger ÖPNV der Zukunft auf drei Säulen: ökologisch, ökonomisch und sozial. Gutes Beispiel dafür: Der Holibri in Höxter, der nach Ende der Förderphase fortgeführt werden soll. Mit dem Geld aus der Stadt Höxter. &bdquo;Wir brauchen Vision, aber auch eine große Portion Realität“, sagte Klugmann. Realität sei: Für den Ausbau des ÖPNV im Hochstift fehle das Geld, selbst der Bestandsverkehr sei gefährdet, die Kosten würden weiter steigen. Auto bleibt Verkehrsmittel Nummer eins &bdquo;Auch für die Kommunen“, so der Blick auf die neue Gemeinwirtschaftlichkeit und die Verteilung der Kosten anteilig auf die Städte. Realität sei auch: Das Auto bleibe das Verkehrsmittel Nummer eins in der Region – im Kreis Höxter kommen laut Landrat Michael Stickeln 681 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner. Und Realität: &bdquo;Die Verkehrswende passiert im Kopf. Wir müssen Gewohnheiten verändern. Massiv verändern um 180 Grad.“ Verkehrswende sei nicht allein der Wechsel der Antriebsmöglichkeit des Autos. Vision: &bdquo;Weniger bürokratischer Verwalter sein, sondern innovativer und aktiver Gestalter. Das braucht Ausdauer und Mut.“ Beispiele dafür seien neben dem Holibri auch die Anruf-Linien-Fahrten in Willebadessen oder das Race-to-Work-Projekt fürs Hövelhofer Gewerbegebiet. Und: &bdquo;Der Kunde steht im Fokus.“ Er stimme mit seiner Nutzung ab. Denn der ÖPNV lebe vom Mitmachen. Und Anreiz zum Umstieg seien neben Angebot und Vernetzung auch Einfachheit und Transparenz. Für Stefan Carsten vom Zukunftsinstitut in Frankfurt scheitert das nicht am Geld. Die Ausrede lässt der Zukunftsforscher und Stadtgeograf nicht gelten. Und: &bdquo;Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit.“ Vororte seien zu neuen Lebensmittelpunkten geworden, in denen Wohnen, Arbeiten im Homeoffice sowie Infrastruktureinheiten binnen 15 Minuten erreichbar wären: Marktplätze seien hingegen vielerorts zu Parkplätzen geworden. Doch: &bdquo;Aufenthalts- und Lebensqualität vor Ort sind entscheidende Standortfaktoren geworden.“ Auch für die Nutzung des Einzelhandels vor Ort. Denn die grüne Wiese sei tot. All diese Veränderungen wirkten sich massiv auf die Mobilität des Einzelnen aus. Und auch den Bedarf an neuen Räumen. Zehn Prozent weniger Menschen als noch 2019 verließen täglich ihr Zuhause. Und 1.000 Städte seien beim Tempo 30 schon dabei, für Carsten eine &bdquo;wichtige Initiative für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.“ Mitdenken müsse man auch Mobilitätsformen wie Lastenräder und Scooter (&bdquo;für die Mobilität auf der letzten Meile gehören sie an jede Haltestelle“). Nach einer Umfrage werde bei den 18- bis 23-Jährigen Mobilität mit den Worten &bdquo;Flexibilität“, &bdquo;Unabhängigkeit“ und &bdquo;Freiheit“ definiert. Der Schülerverkehr soll unantastbar bleiben Derzeit, so betonte Andreas Knie, werde der ÖPNV hingegen noch immer wie in den 20er- und 30er-Jahren gedacht. Ein Produkt, für das kein Geld da sei, das keiner kennen, keiner nutze. Da helfe da auch kein noch so bunter Bus oder niedlicher Name weiter. Rechtlich sei es sogar schon heute möglich, dass Taxis statt Bussen fahren: &bdquo;Wir hätten alles da.“ Dass Busse stillstehen und nicht durch Dörfer und Gewerbegebiete mäanderten. Dass Pkw um die Hälfte reduziert werden könnten. Dass es digitale Bestellmöglichkeiten gebe. Nur der Schülerverkehr ist für ihn unantastbar. Und der ist laut Klugmann im Kreis Höxter das Rückgrat des Busverkehrs. Hingegen liege der Modal Split, der Anteil dieses Verkehrsträgers an gesamten Verkehrsmarkt im Kreis Höxter, nur bei fünf bis sechs Prozent, im Kreis Paderborn auch nur ein, zwei Prozentpunkte höher. Dennoch seien beide Kreise völlig unterschiedlich zu betrachten – allein schon mit Paderborn als Zentrum und mit der Taktung (Kreis Höxter: stündlich). &bdquo;Unvoreingenommen rangehen“, das betonte Höxters Landrat Michael Stickeln. &bdquo;Es wird am Ende Geld kosten“, sagte er, findet aber die Idee der Taxis &bdquo;sehr spannend“ in der Vielfalt der Mobilität im Kreis Höxter. Und es werde &bdquo;kein Sprint, sondern ein Marathon“ werden. Sein Paderborner Kollege kündigte an, dort im nächsten Jahr das autonome Fahren auszuprobieren. Rüther: &bdquo;Wir trauen uns zu, das an den Start zu bringen.“

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