Mitglieder abgezockt: Haftstrafe für kriminellen Kleingarten-Chef in Höxter

Höxter. Das Urteil hat gesessen. Stefan P.s Gesicht ist unter der weißen FFP2-Maske knallrot angelaufen und er zeigt sich redseliger als während des gesamten Verfahrens, das immerhin vier Prozesstage umfasste: "Dass auch 9.000 Euro auf das Konto eingezahlt wurden" - "Das besprechen wir gleich", schneidet sein Verteidiger ihm das Wort ab. Und an die Presse: "Wir werden Rechtsmittel einlegen, gar keine Frage." Drei Jahre soll P., ehemaliger Vorsitzender eines Höxteraner Kleingartenvereins, in Haft wegen gewerbsmäßiger Untreue in 257 Fällen. Von 2015 bis 2019 soll er immer wieder Geld von den Vereinskonten abgehoben haben. Um insgesamt 102.420 Euro soll er die Vereinsmitglieder so geprellt haben. Dass es so ausging, war für die Zuschauer keineswegs absehbar. Eine Dame wünschte dem Angeklagten während der 40-minütigen Urteilsberatung "zehn Jahre bei Wasser und Brot", andere waren ob der von der Staatsanwaltschaft geforderten dreieinhalb Jahre Haft einfach baff: "Von der Polizei hieß es doch, das gibt eine Bewährungsstrafe."Und wieder andere sorgten sich, der Angeklagte könne aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Einen Freispruch hatte P.s Verteidiger unter entrüstetem Raunen aus den Zuschauerreihen nämlich gefordert. Sein Urteil stützt das Gericht auf unterschiedliche Indizien Sein Urteil stützt das Gericht auf unterschiedliche Indizien, die auf den Angeklagten hinweisen. Stefan P. war verantwortlich für das Konto, die entsprechenden EC-Karten wurden bei einer Hausdurchsuchung in seiner Wohnung gefunden. "Seiten 136 unten und 137 oben der Akte", verliest Richterin Christina Brüning.Ausgestellt waren die Karten teils auf ihn selbst, teils auf seine Frau Johanna P. Letztere war ebenfalls in exponierter Stellung im Kleingartenverein. Das Gericht ist jedoch sicher, dass Stefan P. letztlich alleine handelte: "Alle Fäden liefen bei ihm zusammen." Sein von der Staatsanwaltschaft herausgearbeitetes Tatmuster: Mehrmals im Monat sollen die Vereinskonten am Geldautomaten um Beträge in der Regel zwischen 150 und 500 Euro erleichtert worden sein. Zudem sind in zwei Fällen Auszahlungen vorgenommen worden, die den Verfügungsrahmen am Automaten überschreiten.2017 ließ sich jemand am Bankschalter einmal 3.000 und einmal 5.500 Euro aushändigen. Selbstverständlich gegen signierte Quittung. Diese liegen dem Gericht an Prozesstag vier auch vor. Seite 420 der Akte: "Wenn ich mir die Unterschriften angucke, deuten die für mich eher auf Herrn P.", sagt Richterin Christina Brüning, "Bei der Unterschrift von Frau P. ist der Vorname deutlich mehr ausgeschrieben." Das Hauptargument der Verteidigung Das Hauptargument der Verteidigung, der Gesundheitszustand Stefan P.s, deutet das Gericht schließlich zuungunsten des Angeklagten. 2018 erkrankte der heute 65-Jährige schwer, rund zweieinhalb Monate musste er im Holzmindener Krankenhaus behandelt werden.Ein Arzt berichtete dem Gericht zu einem früheren Zeitpunkt anschaulich davon, wie schlecht es um den Angeklagten stand. Der Verteidiger folgert daraus, dass sein Mandant gewisse Abhebungen vom Konto gar nicht vorgenommen haben könne. Das Gericht folgt jedoch der Staatsanwaltschaft, die auf eine atypische "Lücke" bei den Geldabhebungen gestoßen ist. Nämlich in der Zeit, als Stefan P. frisch ins Krankenhaus eingeliefert wurde. "Just in dieser Phase gibt es keine Abhebungen. Sobald wieder Besuch empfangen werden konnte, geht es weiter." Von da an habe P. wahrscheinlich eine Hilfsperson zum EC-Automaten geschickt. Vielleicht die Ehefrau, vielleicht jemand anders. "Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine Mittäterschaft", sagt die Richterin. Aufgefallen sind die kriminellen Kontobewegungen im Verein wohl erst, als ein neuer Vorstand gewählt wurde. Zumindest, so berichteten es die ehemaligen Vorstandskollegen P.s selbst, wurde nie groß nachgefragt. Dabei war P.s wortwörtliche Zettelwirtschaft bekannt.Ein Kleingärtner berichtete, er habe Strom- und Wasserrechnungen auf "kleinen quadratischen Zetteln vom Notizblock" erhalten, "von Herrn P., drauf stand, was zu bezahlen ist". Gleichwohl fand die Polizei in der Wohnung des Höxteraners "Einnahmeüberschussrechnungen" aus den Jahren 2016, 2017 und 2018.Nichts mit der Realität auf den Vereinskonten zu tun Bloß hatten die offenbar wenig bis gar nichts mit der Realität auf den Vereinskonten zu tun. Für ein Jahr gab es gleich vier verschiedene Kassenstürze - alle mit unterschiedlichem Ergebnis, keines glich dem Kontostand. "Er hat seine Vertrauensposition bewusst ausgenutzt", schließt der Staatsanwalt daraus.Die Vereinsmitglieder seien froh gewesen, dass P. sich engagierte. "Da ist es verständlich, dass man einem guten Bekannten oder Freund nicht misstraut." Der Verein habe P. machen lassen. Zwar verfügte das Gericht, dass 102.420 Euro von dem Angeklagten eingezogen werden - dass der Verein aber wirklich etwas zurückbekommt, hält Christina Brüning für "unwahrscheinlich". Immerhin lebt Stefan P. von Grundsicherung. Aber wo ist das Geld hin? Darauf hat niemand im Amtsgericht Höxter eine Antwort.Das Gericht ist jedoch sicher, dass nichts in den Verein floss. Stefan P. habe kein Ferienhaus besessen, kein dickes Auto, kein Eigenheim, zählt der Verteidiger auf. "So viele Dinge sind einfach nicht aufgeklärt." Und so wird das Verfahren wohl in die nächste Runde gehen.

Meistgelesen