Tödliche Unfälle im Kreis Höxter: Belastungsprobe für die Helfer

Kreis Höxter. Aus dem Auto ist kein Entkommen: Das vordere Dach – eingedrückt von einem Lkw – ist zur potenziell tödlichen Gefahr für die zwei Insassen geworden. Rettungssanitäter und Feuerwehr rücken mit Martinshorn an – jede Minute zählt. Ein Horrorszenario, das sich am Donnerstagabend im Höxteraner Gewerbegebiet nahe der B 64 abspielte. Und zum Glück nur eine Übung. Die Einsatzkräfte sollen bestmöglich vorbereitet sein für Verkehrsunfälle. Den technischen Teil – das Aufschneiden des Fahrzeugs, den Kommunikationsablauf – können sie tatsächlich üben. Den emotionalen Part jedoch nicht. In den vergangenen Wochen und Monaten gab es im Kreisgebiet gleich mehrere tödliche Unfälle. Sie stellen alle Beteiligten – hauptamtliche Rettungskräfte, die Freiwillige Feuerwehr und Ersthelfer – vor eine Belastungsprobe. Von einem Moment auf den nächsten werden sie in eine Extremsituation katapultiert, sagt Jürgen Schmits, Leiter der Feuerwehr Höxter und stellvertretender Kreisbrandmeister. "Früher durfte man als Feuerwehrmann nicht weinen" "Die Kameraden können 20 Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr sein und bislang nur zu Einsätzen wie Gartenhaus-Brände gerufen worden sein", so Schmits. "Und dann kommt plötzlich die Alarmierung zu einem tödlichen Verkehrsunfall. Hier im ländlichen Raum kann es sogar passieren, dass man das Opfer kennt." Am Unfallgeschehen schauten die Einsatzleiter daher zunächst: Wer ist vor Ort? Wer kann wo eingesetzt werden? Schmits nennt das Beispiel des Unfalls in Höxter, als Ende August eine Radfahrerin gestorben ist. "Ein Kamerad sagte: 'Mir macht das hier vor Ort nichts aus, aber ich möchte das Opfer nicht sehen'", erzählt er. Schmits ist froh, dass die Ehrenamtlichen offen über ihr Empfinden sprechen. "Es gab Zeiten, da durfte man als Feuerwehrmann nicht weinen. Das kann aber kein Mensch aushalten", meint Höxters Feuerwehr-Chef. Dies gelte auch für hauptberufliche Rettungskräfte. Sie seien zwar in gewisser Weise an Situationen, in denen das Leben eines Menschen bedroht ist, gewöhnt, da sie beispielsweise regelmäßig zu medizinischen Notfällen in Privatwohnungen alarmiert werden. Aber: "Alle Kräfte haben Kinder und Familien, an keinem geht ein schwerer Unfall spurlos vorbei." Es könne daher auch bei Hauptamtlichen vorkommen, dass "irgendwann die Feder überspannt ist" und sie professionelle psychologische Hilfe benötigen. "Die Kollegen achten untereinander. Sich gegenseitig nicht liegen zu lassen, ist das Wichtigste", sagt Schmits. Nachbesprechungen im Gerätehaus helfen Bei den ehrenamtlichen Kräften gebe es nach größeren Einsätzen eine Besprechung im Gerätehaus. Gerade bei tödlichen Unfällen sei Gesprächsbedarf vorhanden. Dann mache man sich mitunter auch bewusst, dass das Opfer beim Eintreffen der Feuerwehr bereits verstorben sei, so Schmits. "Und man nicht helfen konnte, obwohl man das ja eigentlich will." Neben solchen Gruppengesprächen können die ehren- und hauptamtlichen Rettungskräfte auch einzeln Notfallseelsorger aufsuchen. Dieses Angebot steht auch der dritten, von Schmits genannten Gruppe zu: den Ersthelfern. Zuerst kümmern sich aber die Rettungskräfte um sie. "Vor Ort schützen wir sie als Erstes, indem wir sie aus dem Gefahrenbereich herausholen und dafür sorgen, dass sie das Unfallgeschehen nicht mehr sehen müssen", sagt Schmits. Das sagt die Polizei zur Häufung der tödlichen Unfälle Wie schon bei den Einsatznachbesprechungen in de Feuerwehrgruppen habe auch die Polizei zusätzliche interne Möglichkeiten der Gespräche in petto, sagt der Leiter der Direktion Verkehr bei der Kreispolizei, Markus Tewes – für die Kollegen ebenso wie für die Zeugen und Ersthelfer. Wie beispielsweise den Verkehrssicherheitsberater für die Opferbetreuung, der mit der Notfallseelsorge zusammenarbeite. Wichtig sei die Aufmerksamkeit: die des Vorgesetzten mit Blick auf die Kollegen, aber auch die der Kollegen mit Blick auf die Beteiligten am Unfallort: "Brauchen sie Betreuung?" Für die Häufung schwerer oder tödlicher Unfälle in den vergangenen Wochen sieht Tewes keine Parallelen, aus denen die Polizei jetzt Schlüsse ziehen oder Veränderungen ansetzen könnte. Er spricht von der "Duplizität der Ereignisse": "Es sind ganz unterschiedliche Beteiligte, Strecken, Voraussetzungen; mal Vorfahrt, mal Geschwindigkeit, mal Fahrfehler. Es gibt für uns keinen Ansatz, wo wir Häufungspunkte erkennen könnten." Im Juni starb eine 21-Jährige, nachdem sie auf der B 252 zwischen Brakel und Nieheim mit ihrem Opel mit einem Transporter zusammengestoßen war. Auch im Juni verunglückte ein Autofahrer auf der L 954 zwischen den Bad Driburger Ortschaften Reelsen und Langeland. Er prallte mit seinem Fahrzeug gegen einen Baum. Ende Juli forderte ein schwerer Unfall bei Dringenberg einen Toten. Infolge der Kollision mit einem Baum starb ein 62-jähriger Autofahrer. In Höxter verletzte sich eine Radfahrerin tödlich, die an der Kreuzung Brenkhäuser Straße/B 64 von einem Lkw überrollt wurde. Ende August kam es auf der L 828 bei Warburg zu einem tödlichen Unfall: Ein 49-Jähriger stieß mit seinem Auto frontal mit einem Lkw zusammen. In dieser Woche krachte ein Sattelzug nahe Borgentreich gegen einen Baum, der Fahrer starb vor Ort. (sf/nit)

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