
Borgentreich. 20 Gemeinden, 22 Kirchen: „Im Pastoralen Raum Börde-Egge ist viel zu tun“, sagt Werner Lütkefend. Als der katholische Priester vor einem Vierteljahrhundert in die Börde kam, habe er mit drei Gemeinden „einen überschaubaren Bereich übernommen“, sagt er. Die Vorstellung heutiger Gemeindegrößen sei eine Überforderung. Für Pfarrer und Gläubige. Der Borgentreicher Pfarrer nimmt Abschied.
Ob er in der heutigen Zeit und den Priesterberuf noch einmal ergreifen würde? Wie viele andere katholische Geistliche auch, habe er Pastor, lateinisch für Hirte, inmitten einer übersichtlichen Herde werden wollen, sagt Lütkefend. Die stetig schwindenden Priesterzahlen aber führten dazu, dass immer mehr Verwaltungsarbeiten anfielen und weniger Zeit für die Seelsorge blieb.
„Ich wollte nicht nur Verwalter, sondern Seelsorger sein.“ Und die Kirche im Dorf lassen. „Ein ausgelutschter Slogan“, sagt Lütkefend. „Was ist, wenn das Dorf nicht in der Kirche bleibt?“, fragt er. Darin liege heute eher das Problem. Vieles habe sich verändert. Aus einer Volkskirche sei eine Inselkirche geworden. Außerhalb einer Kerngemeinde, in der ein gewisses Maß an Urvertrauen an die Kirche aufgebracht werde, „können die meisten mit der Kirche nichts mehr anfangen“.
Pfarre in Borgentreich schrumpft seit Jahren
Statistische Zahlen belegen die Entwicklung: Hatte die Borgentreicher Pfarre St. Johannes Baptist zur Jahrtausendwende noch knapp 8.300 Gemeindemitglieder, „von denen 23,5 Prozent den Sonntagsgottesdienst besuchten“ nahmen 2022 von 6.000 Katholiken noch 12,6 Prozent an der Messe teil.
Die Bereitschaft der Gläubigen, auch mal den Gottesdienst in einer Nachbarkirche zu besuchen, lasse seit Corona nach, berichtet er von einer weiteren Erfahrung, die Sorge bereite. Und welche Gemeinde in naher Zukunft ihre Kirche abgeben müsse, werde ein spannender Prozess. Lütkefend plädiert für Kirchenvorstände, die in den Dörfern verbleiben müssten, und spürt den Willen der Laien, Verantwortung zu übernehmen.
Werner Lütkefend sieht sich als Seelsorger für alle
Er habe immer auch Seelsorger für die Außenstehenden sein wollen, betont Lütkefend. „Hochzeiten, Geburten, Beerdigungen“, der Pfarrer verstand sich nicht nur zu den Lebenswenden als Ansprechpartner. „Ich hänge am alten Pastorenbild“, gibt er unumwunden zu. Womöglich ein arg antiquiertes Bild. Pastor sein, das gefällt ihm. Nicht aber das Pfarrherrentum, macht er den Unterschied. Mit den Menschen habe er in seinen Jahrzehnten in der Börde viel bewegt, Ideen gemeinsam entwickelt und auch den Übergang zur Großgemeinde mitgestaltet. „Ich habe meine Arbeit hier getan“, da ist sich der Seelsorger sicher. „Jetzt kommt etwas Neues.“
Ein Spätberufener. Ein „Pastor mit Lebenserfahrung“, der nun in den Ruhestand geht. Für den gebürtigen Großenbredener war nicht von Anfang an klar, wohin das Leben ihn führen würde. Nach der Volksschule und Realschule in Höxter absolvierte Lütkefend in der Stadt eine Lehre als Offsetdrucker. Der Vater hatte es so gewollt. „Aber dafür war ich völlig ungeeignet“, erinnert sich der Pastor. Er wollte in den sozialen Bereich. Den Wehrdienst als Sanitäter bei der Marine begrüßte der 18-Jährige als willkommene Abwechslung. Dann arbeitet Lütkefend als Ungelernter im Drogentherapiezentrum in Ratingen und weiter in der Fachklinik Schloss Reelsen. Dessen Leiter Hanns Philipzen schickte eine Empfehlung nach Paderborn. „Und von da an lief es“, sagt Lütkefend zufrieden. In der Abendschule bereitet er sich auf die Erzieherprüfung vor, sein Anerkennungsjahr macht er in der Reelsener Klinik und im SOS Kinderdorf.
„Wichtiger als Latein und Griechisch“
„Ich wollte dann eigentlich Heilpädagoge werden, Heilpädagogik studieren“, erinnert er sich. Doch spürte Lütkefend noch etwas anderes. Er, der sich selbst in jungen Jahren schon mal als Atheist bezeichnet hatte, nahm 1983 das Studium der Theologie und Philosophie auf. Mit dem Einverständnis des Erzbischofs konnte er im Studienhaus St. Lambert bei Bad Neuenahr ohne Abi studieren. 1986 erhielt er den kirchlich anerkannten Abschluss. „Persönlich waren mir immer andere Dinge wichtiger als Latein und Griechisch.“
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In Bielefeld absolviert Lütkefend ein Praktikum, wird 1988 im Paderborner Dom zum Diakon geweiht, die Priesterweihe folgt im Mai 1989. Zuvor hatte ihn das Diakonatspraktikum erstmals ins Sauerland gebracht, nach Neheim-Hüsten. Lütkefend wird Vikar in Balve, bis ihn der Weg über die sechs Jahre als Pfarrer in Reiste und Bremke 1999 nach Borgentreich führt. Lütgeneder und Manrode gehörten schon damals dazu, später auch Rösebeck, Körbecke, Großeneder, Bühne. Die Gemeinden in Borgholz, Natingen und Natzungen kamen 2014 hinzu. Lütkefend ist im Pastoralverbund leitender Pfarrer. Auf den Leitungsposten im neugegründeten Pastoralen Raum Börde-Egge, zu dem sich die Pastoralverbünde Borgentreich, Willebadessen und Peckelsheim 2020 zusammenschlossen, verzichtet er. Er habe bewusst Nein gesagt, sagt der heute 70-Jährige. Nicht aufgrund des Alters, er habe der Zukunft nicht im Weg stehen wollen.
Der Stephen King kommt mit
Ein beliebter Gottesmann: Bei den Schützen mitmarschierte und feierte er als Präses gerne mit. Dem Schützenwesen verdanke er ein europaweites Netz. Kontakte, die der Freund der Schützenabzeichen und -orden pflegt. Lütkefend war aber auch ebenso ein Fan des Heavy-Metal-Festivals in Manrode. Zum Zehnjährigen hatten ihn die Veranstalter gebeten, auf der Bühne die Rede zu halten. Lütkefend empfand es als Ehre.
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Der Umzug ins Sauerland. „Im Juni“, peilt er an und blickt auf das Knie. „Nach der OP“, sagt er. Dann geht es nach Neheim-Hüsten. Dort hat er Freunde und direkt am Haarstrang eine Wohnung, „mit einem wundervollen Blick“. Er wird sich verkleinern. Gut ein Drittel seiner Bücher hat er bereits entsorgt. „Der Stephen King kommt mit“, beschreibt er das Auswahlprinzip.

Die freien Montage im Sauerland
In seinen ehemaligen Dienstorten Bremke und Reiste wird er im Dienstplan stehen, an den Wochenenden Gottesdienste übernehmen. „40 Kilometer vom künftigen Wohnort entfernt“, sagt er. Aber das ist es ihm wert. Lütkefend kennt Land und Leute, hat immer den Kontakt gehalten, fuhr regelmäßig an den freien Montagen mit der Bahn ins Sauerland. „Der Menschenschlag ist mir ans Herz gewachsen“, merkt er an. Wie in Borgentreich („hier war es nie langweilig“) habe er sich dort wohlgefühlt. Froh darüber, hier wie dort auf Menschen getroffen zu sein, „mit denen man über alles reden konnte“.
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Sich für den anderen zu interessieren, sei wichtig, sagt der Pastor und nennt eine einfache Regel, an die er sich gehalten habe: „Hingehen, wenn ich eingeladen werde.“ Freundlich, kommunikativ, offen: „Leutselig, recht verstanden ein schönes Wort“, sagt er. Ein Teamplayer, der auch die Mitarbeitenden nicht vergisst.
„Bleib’ wie du bist, ob als Seelsorger in der Kirche, an der Pommesbude oder in der Schützenhalle, als Ritter des Heiligen Sebastian, vor allem aber als Werner Lütkefend“, hatte Vikar Raphael Schliebs vor zehn Jahren seine Predigt zum silbernen Priesterjubiläum des Borgentreicher Pfarrers beendet.