In diesem Borgentreicher Dorf ist der Ortsvorsteher noch immer Ministrant

Muddenhagen. Valentin Hermann ist ein Fan der St.-Sturmius-Kirche im Börde-Bergdorf an der Grenze zum Hessenland. Ein exakt 186-Seelen-Ort, dessen Ortsvorsteher er ist. Hier sei er geboren, hier werde bleiben. Das sagt er bestimmt, streicht entlang der Kirchenbankreihen und blickt fest nach vorn – und hinauf zum Kreuz in der Apsis. Nach der Kommunalwahl 2020 hatte Hermann das Amt des Ortsvorstehers in Muddenhagen übernommen. Mit 24 Jahren sei er damals der jüngste Ortsvorsteher im Kreis Höxter gewesen, sagt er. Ob das immer noch so ist, weiß er nicht, glaubt es aber. Gut 35 Prozent der Einwohner im Dorf seien über 60 Jahre alt, 20 Prozent unter 20. Bunt bemalt ist das Kirchenschiff. Pastor Konrad Freier, promovierter Theologe und mehr als drei Jahrzehnte Seelsorger für die Gemeinden St. Sturmius und St. Vitus in Bühne, mochte die kräftigen Farben. In seinen Dienstjahren in den beiden Borgentreicher Ortschaften hatte der Geistliche aus dem Bistum Oppeln seiner Kunst freien Lauf gelassen und die Altarwand bis hinauf zur Decke und weiter über den Deckenhimmel bis zur Orgelempore mit Leinwänden ausgeschmückt. Sie zeugen von seinem Glauben. Biblische Szenen und frommherzige Vorstellungen, die bisher die Gemeinden zusammenhielt, in sauber gesetzten, klaren Pinselstrichen. Der erste Abt im Kloster Fulda Gemessen an der Einwohnerzahl habe die kleine Gemeinde prozentual die höchste Anzahl an Gottesdienstbesuchern in der Region, sagt Hermann. &bdquo;Zwischen 30 und 40“, wird er konkreter. Bis zum Weihnachtsfest finde einmal die Woche die Messe statt. Und &bdquo;die Menschen haben einen guten Bezug zur Kirche“. Vor gut 70 Jahren wurde das Gotteshaus im Dorf fertiggestellt. &bdquo;Von den Leuten Mitte der 1950er Jahre selbst hochgezogen und finanziert aus dem Gliedervermögen.“ Die Bewohner hatten in vergangenen Jahrhunderten das Recht, Brennholz aus den Wäldern ihrer Gutsherren, der Herren von Spiegel, zu holen. Um die &bdquo;Holzgerechtsame“ gab es ab 1616 einen langen Rechtsstreit. Doch blieben die Bewohner ebenso wie in Bühne und Manrode standhaft und bekamen am Ende Wald, Acker, Teich, Weiher und Wege zur eigenen Nutzung zugesprochen. Gespräch in der Sakristei Vor zwei Jahren hatten die Muddenhagener Gläubigen die Krippenfiguren restaurieren lassen und auf Spendenbasis Patenschaften ausgerufen. 1.165 Euro kamen zusammen. &bdquo;Ein stolzer Betrag“, sagt Hermann beim Gespräch in der kleinen Sakristei. Patronatsfest wird am 21. Dezember im Gottesdienst um 17 Uhr gefeiert, lädt er ein. Der kirchliche Gedenktag des Heiligen, der im 8. Jahrhundert der erste Abt von Kloster Fulda war, sei der 17. Dezember. St. Sturmius, das sei sein Lieblingsplatz im Dorf, sagt der junge Ortsvorsteher. Der Ort, den er gerne aufsuche, um zum Ausgleich Ruhe und Besinnung zu finden. Und für die Dorfgemeinschaft auch ein kulturelles Zentrum im Ort. &bdquo;Der letzte konstante Punkt, wo man sich öffentlich begegnet“, denkt er an die Gemeinschaft. Kirchenvorstand Hermann hat den Schlüssel. Schützenverein, Kolping, Feuerwehr, der Betreiberverein der Bergwaldhalle. Diese Vereine seien im Ort aktiv. Der Ortsvorsteher betont &bdquo;das Gesamtpaket“ Ministrant ist er auch heute noch. 2004 hatte er wie damals in den Bördeorten üblich nach der Erstkommunion mit dem Altardienst begonnen. Die Kirche, der Gottesdienst, der Gesang sind ihm Heimat. Hermann betont &bdquo;das Gesamtpaket“. Dazu gehören auch das elterliche Haus, in dem er mit Vater und Mutter, die Schwester lebt in Hamburg, wohnt, und die gewohnten Wege im Dorf. Der Umzug aus der Stadt aufs Land: Sicherheit, Idylle, günstiger Wohnraum sagt er und weiß &bdquo;von einigen Familien, die in letzter Zeit zuzogen“. Dem Parteiausschluss zuvorgekommen Um einem Parteiausschlussverfahren aus Berlin zuvorzukommen, trat er, enttäuscht von den Borgentreicher Genossen, selbst aus der SPD aus. Hermann gehörte vor viereinhalb Jahren zu den Gründern der Unabhängigen Wählergemeinschaft Borgentreich (UWB). Politisch habe es sich neu orientiert, bilanziert er die Zeit. &bdquo;Konservativ“ sei er, sagt er und nennt den irisch-britischen Staatsmann und Philosophen Edmund Burke aus dem 18. Jahrhundert als Vorbild. &bdquo;Der Begründer des Konservatismus“, erklärt Hermann. Aber auch in den Gedanken eines Walter Rathenaus sieht er ein Grundgerüst für den Menschen gegeben, das Orientierung biete. Im Sommer hatte der gelernte Steuerfachangestellte sein Studium der Geschichte und Philosophie an der Uni Kassel mit dem Bachelor abgeschlossen. Hermann sucht nach einem Job. &bdquo;Im Museumsbereich“, so sein Wunsch. So versteht der Ortsvorsteher sein Amt Hermann spricht von einer Scharnierfunktion, die er als Ortsvorsteher einnehme. Er informiere über Entwicklungen politische Entscheidung in der Orgelstadt und sei offen für alle. Von Geheimniskrämerei hinter verschlossen Türen hält der Ortsvorsteher gar nichts. Zu den Sitzungen des Ortsbeirats lädt Hermann alle im Dorf ein. &bdquo;Die Tagesordnung geht an alle Haushalte, sagt er. Ein anderer Schwerpunkt des Amtes sind die Bücher des Gliedervermögens, um die es sich kümmert und die er prüft. Anstelle einer Ausschüttung an die Mitglieder werden Dorfprojekte finanziert. Ein Defibrillator für das Dorf beispielsweise oder neue Fußballtore auf dem Bolzplatz. Gegen den Ausbau der Windkraft &bdquo;Ein unbequemer Ortsvorsteher“: Seine Zusammenarbeit mit der Stadt sei teilweise von Konflikten geprägt, sagt Hermann dann, öffnet die Sakristeitür und tritt hinaus. 120 Meter von der hessischen Grenze entfernt: &bdquo;Die Städte Liebenau und Trendelburg, Lamerden, Eberschütz und Sielen“, zählt er auf. Beziehungen gebe es schon. Auf Christi Himmelfahrt (Vatertag) gehen die Jagdgenossen gemeinsam auf Wandertour, am Gründonnerstag geht es zum traditionell zum Skatturnier nach Eberschütz. Auf dem Plateau jenseits des Dorfes drehen sich die Windräder. &bdquo;Aktuell 20“, sagt Hermann. &bdquo;Und sieben weitere Anlagen im Wald.“ Der Muddenhagener Ortsvorsteher sieht den Ort bereits umzingelt. &bdquo;Es werden mehr, sie werden höher, sie werden die Landschaft verwandeln.“ Der Blick über die Börde, über die Kirchturmspitzen der Dörfer: &bdquo;Lichtenauer Verhältnisse in der Börde? Unvorstellbar“, winkt Hermann ab. Gegen die Windkraft votiere er generell und setze auf Atomkraft als Energiekonzept. &bdquo;Ich gehe meinen Weg“, sagt Hermann beim Abschied bestimmt. &bdquo;Tue recht und scheue niemanden“, nennt er die Maxime.

Meistgelesen