Warburg. Durch die Priesterseminare geistert seit Jahrzehnten ein nettes Bonmot: Der Pfarrer spaziert am Abend noch einmal um die Kirche. Frische Luft tut gut. Eine ältere Dame kommt ihm entgegen, zuckt zusammen, einen Schreckenslaut auf den Lippen. "Oh, Herr Pastor, Sie sinds", sagt sie erleichtert. "Ich dachte schon, es wär ein Mann". Nicht nur die Priester scheinen ein Problem mit ihrer Geschlechterrolle zu haben.
In den Pfarrgemeinden der Region gärt es. "Die Gläubigen sind bestürzt und fassungslos", berichtet Werner Lütkefend, Pfarrer in Borgentreich. Man leide unter den jetzt bekannt gewordenen Vorkommnissen, stehe aber zur Kirche. "Die Menschen, die mit der katholischen Kirche großgeworden sind, sind beschämt, verlassen sie aber nicht", sagt der Geistliche. Die Fassungslosigkeit sei aber förmlich mit Händen zu greifen.
In vielen Gesprächen stehe eine ohnmächtige Trauer im Vordergrund. "So manches wäre nicht passiert, würde der Pflichtzölibat aufgelockert", gibt der Pfarrer die Meinung vieler Kirchgänger wieder. "Ein verheirateter Priester auf der Kanzel, damit haben die wenigsten Probleme", sagt Lütkefend. Schon eher mit rasant schwindenden Priesterzahlen und immer größer werdenden Seelsorgeeinheiten.
Zweierlei Maß: Zum einen werden Priester, die gegen den Zölibat verstoßen, suspendiert und auf der anderen Seite Pädophile in Schutz genommen. So sieht es die Basis in den Kirchenbänken. Dieser Umgang der Kirchenverantwortlichen in den deutschen Bistümern mit den Missbrauchsfällen treffe auf Unverständnis. "Die Gläubigen warten auf ein Wort der Bischöfe und des Papstes", sagt Pfarrer Lütkefend. Sie fragten sich, wie es weitergehe, wenn niemand die Verpflichtung zum Zölibat in Frage stelle. Der Pastoralverbundsleiter befürwortet eine aktuelle Diskussion. "Die Leute warten auf glaubwürdige Seelsorger, die Zeit und Verständnis mitbringen", sagt Lütkefend.
Am Wochenende hatte die Vertretung der katholischen Laien im Bistum angesichts der bekannt gewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch und sexualisierter Gewalt gegenüber jungen Menschen in einer Stellungnahme "Wut und Abscheu" ausgedrückt (die NW berichtete).
"Ich spüre dagegen eine große Sprachlosigkeit", sagt Gerhard Pieper, Pfarrer in Scherfede und verantwortlicher Leiter des Dekanates Höxter. Er fragt sich, ob diese Sprachlosigkeit den Fakten oder den Emotionen geschuldet ist. Doch sieht er deutlich den Folgeschaden: das Vertrauensverhältnis zwischen Pfarrer und Gemeindemitglied. Unter Generalverdacht: "Bin ich jetzt noch Vertrauensperson?", fragt sich der Dechant. Das kratze mächtig am Gemüt und der persönlich empfundenen Berufsehre. Bisher sei das den Geistlichen entgegengebrachte Vertrauen ein Pfund gewesen, "mit dem wir wuchern konnten", sagt der Seelsorger, und habe die Arbeit erleichtert. Vertrauen werde dringend gebraucht, um die Umbrüche der kommenden Jahre innerhalb der Gemeinden zu meistern. Das kirchliche Leben müsse den Erfordernissen der Zeit angepasst werden.
24 Stunden für den Beruf. Dem Priester wird viel abverlangt. "Gerade im Hinblick auf den Priestermangel", sagt Pieper. Sein Eindruck: Man spreche allzu schnell dem Priester ein Privatleben ab, werde allezeit auf den Prüfstand gestellt. "Ob das gesund ist, möchte ich bezweifeln", sagt Pieper. Er fürchtet die Gefahr, das sich dieser hohe psychische Druck an falscher Stelle ein Ventil sucht. "Und darin ist der Priester ein Mensch wie jeder andere auch". Unabhängig von Geschlecht und Neigung.
Bleibt das Dilemma zwischen Barmherzigkeit und Ausgrenzung. "Plakative Worte seitens der Kirche werden erwartet, die auf die Titelseiten passen", bemerkt Dechant Pieper. "Dabei ist das Schreiben des Papst an die irische Kirche echt starker Tobak", so der Geistliche. Halt nur eben wohl gesetzt "im diplomatischen Kirchenlatein".