
Wehrden. Karl-Erich Wessler (72) aus Wehrden hat sich in sieben Jahren rund 100.000 Fahrradkilometer erstrampelt. Nur mit Muskelantrieb wohlgemerkt. Mit einem altmodischen Pedal-Fahrrad und vollständig ohne jegliche elektrische Unterstützung. „Die meisten Touren, die ich mache, wären mit einem E-Bike auch gar nicht möglich“, sagt Wessler. „Einfach weil es auf meinen Touren gar keine Möglichkeit gibt, den Akku zu laden.“
Vom 4. November bis zum 9. Dezember hat Wessler die extremste Tour seines umtriebigen Rentnerdaseins gemacht. Er ist mit zwei ebenso radverrückten Begleitern, Herbert Stammeier (71) aus Barntrup und Wilfried Schäfer (67) aus Kleve in 35 Tagen 3.000 Kilometer rund um die Insel Kuba geradelt. „Es waren genau 2.904 Kilometer, die wir absolviert haben“, sagt Wessler. Die Zahl ist wichtig, denn sie hängt mit einer Benefiz-Aktion zusammen. Seit mehr als 20 Jahren unterstützt der Beverunger Verein Dritte Welt und Umwelt im südäthiopischen Awassa ein Kinderdorf. Zu dieser Aktion wollte auch Wessler etwas beitragen.
Die Idee war, dass Spender die tatsächlich am Ende geradelte Gesamtstrecke schätzen und in dieser Höhe einen Cent pro Kilometer auf das Awassa-Spendenkonto überweisen sollten. Also eine Summe um 30 Euro herum. Als Anreiz sollten die besten Schätzungen mit einem Mehrfachen des Einsatzes wieder belohnt werden. Mehr ein Spaß als ein ernsthaftes Gewinnspiel, das aber bei der Bevölkerung gut ankam. „Wir sind wirklich sehr stolz und glücklich, dass es uns gelungen ist, auf diese Weise tatsächlich 3.400 Euro für das Hilfsprojekt zu generieren“, freut sich Wessler über die unerwartet hohe Resonanz. Deutlich mehr als 100 Bürgerinnen und Bürger hatten sich an der Aktion beteiligt.
Mit großer Herzlichkeit empfangen
Für Wessler war diese Reise aber vor allem eine ganz besondere Erfahrung, die ihm auch einen neuen Blick auf das Leben an sich eröffnet hat. „Das Land ist ja bettelarm und wir drei Senioren mit ausreichend Bargeld in den Satteltaschen hätten eine leichte Beute abgegeben, aber es gab nicht auch nur einen einzigen brenzligen Moment. Überall sind wir mit großer Herzlichkeit empfangen worden und haben eine Gastfreundschaft erlebt, die uns tief beeindruckt hat“, erzählt der Wehrdener.
Einmal, als eine Etappe zu lange gedauert hat und sie erst im Dunkeln am Etappenort ankamen, und nicht wussten wohin in dieser Nacht, haben sie einfach den erstbesten geöffneten Kiosk angesteuert.
„Der Betreiber hat für uns organisiert, dass ein geschlossenes Restaurant uns noch einmal verköstigt hat und schließlich hat er uns für die Nacht sogar sein Haus überlassen und hat mit seiner Familie woanders geschlafen“, berichtet Karl-Erich Wessler.
Bis zur großen Kuba-Tour sollte es Jahre dauern
Seine Vorliebe für extreme Radtouren hat der Wehrdener, der vorher als Produktmanager bei einem Freizeitmöbel- und Fitnessgerätehersteller gearbeitet hatte, erst nach seiner Pensionierung 2016 entwickelt. „Unsere Tochter hat auf Mallorca als Sport- und Fitnesscoach gearbeitet und ich hatte ihr versprochen, sie nach meiner Pensionierung mit dem Fahrrad zu besuchen, das war meine erste Tour“, erzählt Wessler.
Bei dieser ersten Inselumrundung auf Mallorca reifte bei Wessler bereits der Wunsch, einmal rund um die Karibikinsel Kuba zu radeln. Sich einfach aufs Rad zu schwingen und loszuradeln wie auf Mallorca, würde auf Kuba nicht funktionieren, das war ihm klar.
2018 unternahm Wessler darum zunächst eine zweiwöchige Erkundungsreise. „Von meinem Plan, mit einer sechs- bis zehnköpfigen Gruppe diese Tour zu machen, habe ich schnell Abstand genommen. Dasas wäre logistisch allein schon wegen der Unterbringung und der Versorgungslage gar nicht möglich gewesen“, hatte Wessler erkannt. Bis zur großen Kuba-Tour sollte es aber noch fünf weitere Jahre dauern. Zuvor sammelte er weitere Erfahrungen indem er unter anderem ein Mal rund um die deutsche Bundesrepublik und ein anderes Mal quer durch Marokko geradelt ist.

Das hat Extrem-Radler Wessler im neuen Jahr vor
Die Kuba-Tour werde aber immer als besondere Herzensreise in Erinnerung bleiben, „weil ich dort ein armes Land bereist habe, um ein noch ärmeres Land mit der Awassa-Hilfe zu unterstützen“, sagt Wessler. Seinen Hang zu extremen Radtouren will Wessler künftig zügeln. „Ich bin jetzt über 70, spüre das Alter und muss aufpassen, mich nicht zu übernehmen“, sagt Wessler. Er müsse seine Touren mit Bedacht auswählen.
Im nächsten Jahr will der Wehrdener nur ein bisschen die Weser rauf und runter fahren oder entlang einiger anderer großer deutschen Flüsse. 2025 soll es dann mit der Kanaren-Tour noch einmal eine große Inselreise geben. Karl-Erich Wessler: „Ich habe vor, mich von Insel zu Insel bringen zu lassen und alle sieben Inseln des Archipels zu umrunden“.