Erdfälle in Würgassen: Wie groß ist die Gefahr fürs Atomlager?

Würgassen. Sind Erdfälle auf dem Grund und Boden denkbar, auf dem in Würgassen ein bundesweit bedeutsames Atommüll-Zwischenlager entstehen soll? Könnte sich also unter der Mega-Halle mit Containern voll radioaktiven Müll plötzlich die Erde auftun und Schäden am Gebäude verursachen? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Der Gutachter der Lagergegner hält die Gefahr für real, die Experten der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung sehen keine Anzeichen für ein überdurchschnittliches Erdfallrisiko. Unstrittig ist, dass das Gelände in der Stromaue wie das gesamte Weserbergland als Karstlandschaft gilt. Das bedeutet, es sind in großer Tiefe Salzschichten vorhanden, aus einer Zeit vor 250 Millionen Jahren, als hier das Zechstein-Meer war. Wird das Salz vom Grundwasser ausgewaschen, können Höhlen entstehen und einstürzen – und an der Oberfläche bilden sich urplötzlich Löcher. Erdfall nennen das Fachleute. Ob sich aus diesem Phänomen jedoch ein sogenanntes Georisiko für das Projekt am ehemaligen Kernkraftwerk ergibt, bleibt spannend. Oder ist die neueste Hoffnung der Bürgerinitiative trügerisch? Eine Spurensuche. Wir sind Luftlinie keine acht Kilometer von Würgassen entfernt. In der bewaldeten Bergkuppe bei Trendelburg klafft ein riesiger Krater – kreisrund und fast 50 Meter tief. Das Loch hat oben am Rand einen Durchmesser von 150 Metern. Der Sage nach wurde hier ein Riese vom Blitz erschlagen. Tatsächlich verbirgt sich unter dem See am Trichtergrund ein Schlot, der bis in etwa 1.000 Meter Tiefe reicht. Unter dem mächtigen Buntsandstein wurde ein Salzstock ausgelaugt. Der sogenannte &bdquo;Nasse Wolkenbruch" bei Trendelburg ist also ein Erdfall, der vielleicht größte weit und breit. 400 Meter weiter ist der &bdquo;Trockene Wolkenbruch" – beide sind eine Touristenattraktion in Nordhessen. Dolinen Meistens sind diese Dolinen wesentlich kleiner, sie kommen jedoch im Weserbergland relativ häufig vor, schrieb der Münsteraner Geologe Wolfgang Feige 2007 in seinem Artikel über &bdquo;Karst in Westfalen". Auch der Bereich südlich von Beverungen wird ausdrücklich erwähnt. Dieses Mal sind es nur drei Kilometer Luftlinie bis zum ehemaligen Kernkraftwerksgelände in Würgassen. In Bad Karlshafen zeugen das Gradierwerk an der Kurpromenade und das Thermalbad vom salzigen Untergrund. Die Sole wird seit der jüngsten Bohrung in 2004 aus einem 1.140 Meter tiefen Brunnen gefördert. Hier – in direkter Nachbarschaft zu Würgassen – ist also ein unterirdisches Salzvorkommen vorhanden. Bad Karlshafens Bürgermeister Marcus Dittrich weiß, dass die Sole mancherorts bis an die Oberfläche steigt. &bdquo;Schließlich hat der hugenottischer Apotheker Jacques Galland hier 1725 eine Quelle an einem Hang entdeckt", berichtet der Bürgermeister. Für ihn ist es gut vorstellbar, dass das unterirdische Salzlager bis nach Würgassen reicht. Nicht umsonst gelte ja die gesamte Region von Hofgeismar bis Höxter als Suchraum für ein atomares Endlager. Geokarten Auf der Karte für Geogefahren des niedersächsischen Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie ist der Bereich im Dreiländereck rings um Würgassen gelb eingefärbt. Die Legende erklärt, was damit gemeint ist: &bdquo;Erdfall- und/oder Senkungsgebiete (natürliche Subrosion) vorhanden", ist da nachzulesen. Die Kollegen auf nordrhein-westfälischer Seite haben auch ein Online-Portal zu Gefahren im Untergrund. Wer sich hier an das ehemalige Kraftwerksgelände heranzoomt, sieht mehrere hell- und dunkelblaue Kästchen. Das weist auf verkarstungs- oder auslaugungsfähiges Gestein (Salz und Gips) irgendwo im jeweiligen Planquadrat hin. Erdfälle oder Senkungen sind direkt am Kraftwerk aber bisher nicht bekannt. Ein paar Kilometer entfernt schon. In höheren Lagen gab es bereits solche Löcher – bei Haarbrück, Drenke (Elisenhöhe), Amelunxen, Beverungen (oberhalb der Dalhäuser Straße). Auch bei Manrode, Bühne und Dalhausen erscheinen hellblaue Punkte auf der Karte – das Zeichen für registrierte Erdfälle. Aber könnte auch unten im Tal an der Weser im Untergrund tatsächlich eine Gefahr lauern? Geologe Claus Schubert aus Hofgeismar glaubt, dass eventuelle Erdfälle oder Senkungen in der Aue nur deshalb nicht mehr sichtbar sind, weil sie von Hochwasserfluten zugedeckt wurden. Schubert hatte sich im Auftrag der Bürgerinitiativen mit dem Thema befasst. Das sagen Fachleute &bdquo;In Region liegt der Buntsandstein relativ nah an der Oberfläche und ist von Lagen aus Steinsalz durchzogen", erläutert Prisca Weltermann vom Geologischen Dienst NRW. Das Risiko auf dem betroffenen Baugrund in Würgassen will das Landesamt aber erst dann beurteilen, wenn es im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für das Logistikzentrum beteiligt wird. Prisca Weltermann empfiehlt den Behörden, in diesem Fall den Geologischen Dienst um eine Stellungnahme zu bitten. Und sie verweist auf elektroseismische Methoden, die genauer und günstiger seien als Tiefenbohrungen.

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