Wie eine Rödinghauserin mit sechs Pflegekindern lebt

Rödinghausen. Marion Kuhlmann ist Spezialistin für die schweren Fälle. Kinder, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen können, finden bei ihr ein dauerhaftes Zuhause. Es sind Kinder, die andere Pflegefamilien ablehnen, weil sie sich die Erziehung dieser herausfordernden Kinder nicht zutrauen. Marion Kuhlmann nimmt sie auf und bietet ihnen eine liebevolle, verlässliche und pädagogisch-kompetente Beziehung. So wie Malte (8, alle Kindernamen geändert), Pia (7), Sophie (6) und Tom (4). Die vier Geschwister leben seit drei Jahren bei Marion Kuhlmann. Damals suchte das zuständige Jugendamt händeringend eine Pflegefamilie, die alle vier Geschwister gemeinsam aufnimmt. Der Jüngste war da gerade einmal 14 Monate alt, der Älteste fünf Jahre. Die Kuhlmanns zogen innerhalb von wenigen Tagen zwischen Wohn- und Esszimmer eine Wand ein und bauten die Deele des Bauernhauses zu einem Zimmer um, um allen vier Kindern ein eigenes Zimmer bieten zu können. Die räumliche Veränderung war jedoch das Geringste. &bdquo;Generell ist es für Kinder traumatisierend, von ihren Eltern getrennt und vom Jugendamt in Obhut genommen zu werden“, sagt Kuhlmann. Manchmal ist die Polizei dabei, um die Mitarbeiter des Jugendamtes zu unterstützen. Die abrupte Trennung und der Kontaktabbruch zu den Eltern sei sehr belastend für die Kinder. Kinder entwickeln auffälliges Verhalten Durch das, was sie in ihrem jungen Leben mit den Eltern erlebt haben, entwickeln viele Kinder ein auffälliges Verhalten. Einige Kinder, die vernachlässigt wurden, entwickelten kein Sättigungsgefühl, erzählt Kuhlmann. Dadurch würden manche Kinder so viel essen, bis sie erbrechen, wenn man sie ließe. Einige verhalten sich distanzlos und klettern Fremden sofort auf den Schoß, andere ertragen es nicht, in den Arm genommen zu werden. Es ist die Antwort der Kinder auf das, was sie erlebt haben. Und noch mehr. &bdquo;Es sind Strategien, um zu überleben“, sagt Kuhlmann. Bestimmte Auslöser wie Musik, ein Geruch oder eine Farbe, so genannte Trigger, versetzen das Kind in die Ursprungssituation, in der es traumatisiert wurde. Es erlebt alles noch einmal. Einige Kinder frören in diesen Momenten des Wieder-Erlebens regelrecht ein, erzählt Kuhlmann. Es sei gut, den Trigger zu kennen, um diese Flashbacks zu vermeiden. Der Auslöser sei aber nicht immer bekannt. Zwei Kinder bleiben nur vorübergehend Die vier Kinderzimmer brauchten Kuhlmanns erst einmal nicht: Bis auf den Ältesten konnten die Geschwister nicht alleine schlafen. Sie hatten Angst. Der 14 Monate alte Tom schlief in einem Kinderbett neben Marion Kuhlmann, die beiden Schwestern teilten sich ein Zimmer. Nach einem halben Jahr hatten alle vier Kinder so viel Selbstvertrauen, dass sie seitdem alleine in ihren Zimmern schlafen. Seit Juni leben auch zwei Bereitschaftspflegekinder (Lina, 4, und Nele, 6) bei Marion Kuhlmann. Während die vier Dauer-Pflegekinder langfristig bleiben und sie als ihre neue emotionale Mutter angenommen haben, bleiben Bereitschaftspflegekinder generell nur vorübergehend. Und zwar so lange, bis das Jugendamt geklärt hat, ob sie zurück zu den Eltern, in eine Dauer-Pflegefamilie oder in eine Wohngruppe kommen. Deshalb sollen sie sich emotional nicht tief verwurzeln. Die beiden Mädchen sehen jede Woche abwechselnd ihre Mutter und ihren Vater. Die Familienberaterin des Jugendhilfeträgers, mit dem Marion Kuhlmann zusammenarbeitet, begleitet sie dabei. Der erste Pflegesohn ist heute 30 und längst ausgezogen Normalerweise nehme eine Familie ein bis zwei Pflegekinder auf, erzählt Kuhlmann. Sechs Pflegekinder sind höchst ungewöhnlich. Marion Kuhlmann hat sich im Laufe von fast 25 Jahren immer weiter fachlich qualifiziert, so dass sie inzwischen mehrere Kinder aufnehmen kann. Nach den Ausbildungen zur Tagesmutter und Erzieherin studierte sie Soziale Arbeit und machte zwei Weiterbildungen zur systemischen Familienberaterin und systemischen Therapeutin. Vor 24 Jahren nahm sie ihren ersten Pflegesohn auf. Der war damals sechs. Heute ist er 30 Jahre alt und längst ausgezogen. Nach ihm zog Marion Kuhlmann zwei weitere Pflegekinder auf, die auch schon erwachsen und aus dem Haus sind. Die 53-Jährige hat zwei Familienhelferinnen eingestellt, die ihr bei der Betreuung und den Fahrdiensten unter die Arme greifen. Die Kinder müssen morgens zur Kita oder Grundschule und nachmittags zur Therapie, dem Sportverein, der Kinderfeuerwehr oder Verabredungen mit Freunden gefahren werden. In Zeiten von Corona fällt das gerade alles mehr oder weniger aus. Zum Glück lebt Marion Kuhlmann auf einem großen Hof mit vielen Ponys und Pferden, wo sich die Kinder austoben können. Pflegefamilien gesucht Derzeit gibt es im Kreis Herford 113 Pflegefamilien (ohne Bünde und Löhne). Aus Bünde leben 28 Kinder, Jugendliche und Volljährige in Pflegefamilien, teilt die Stadt Bünde auf Anfrage mit. Daneben gibt es noch die westfälischen Pflegefamilien des Landesjugendamtes Westfalen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), die zum Teil auch im Kreis Herford liegen. Marion Kuhlmann arbeitet mit einem Träger in Neuenkirchen im Landkreis Osnabrück zusammen und zählt deshalb nicht zu den 113 Familien, auch wenn sie im Kreis Herford wohnt. Die Stadt Bünde und der Kreis Herford sind immer auf der Suche nach (Bereitschafts-) Pflegefamilien. Familien aus Bünde, die sich für diese Aufgabe interessieren, können sich bei Birte Huntebrinker, zuständige Mitarbeiterin im Bünder Jugendamt, unter Tel. (0 52 23) 16 13 22 melden. Interessenten aus dem Kreis Herford können sich beim AWO-Pflegekinderdienst unter Tel. (05221) 8 54 77 60 melden. Der AWO-Pflegekinderdienst vermittelt im Auftrag der Jugendämter des Kreises Herford und der Stadt Herford Kinder, die nicht bei ihren Eltern leben können, in Pflegefamilien. Marion Kuhlmann wird ihre sechs Pflegekinder noch eine Weile begleiten, die vier Geschwister noch etliche Jahre. &bdquo;Viele Kinder zu haben ist anstrengend, aber ein Geschenk“, sagt Marion Kuhlmann.

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