Kindheit in Pflegefamilien: Schockierende Erlebnisse für Bielefelder Zwillinge

Bielefeld. 18 Jahre ein ständiges Hin und Her. Pflegefamilie, Heim, eine andere Pflegefamilie. Richtig zu Hause gefühlt haben sich die Zwillinge Kim und Pia Nolte wohl erst in ihren eigenen vier Wänden weit nach ihrem 18. Geburtstag. Denn was für viele Menschen unvorstellbar scheint, war für die Schwestern schon früh bittere Realität: ein Leben ohne Eltern. &bdquo;Sie konnten sich einfach nie adäquat um uns kümmern“, erklärt Kim Nolte. Also kamen sie und ihre Zwillingsschwester Pia bereits mit sechs Monaten das erste Mal zu einer Pflegefamilie. Und dort begann das Hin und Her. Mehrere Versuche, die beiden doch bei der leiblichen Mutter unterzubringen, scheiterten. Mit drei Jahren dann wurden diese Versuche endgültig eingestellt. Warum genau, möchte sie nicht erzählen. Stattdessen kamen die Zwillinge zuerst in den Kinderhäusern Wintersheide in Sennestadt und schließlich in einer Pflegefamilie unter. Ende gut, alles gut? Nein, sagt Kim Nolte. &bdquo;An die Zeit in der Wintersheide habe ich leider keine guten Erinnerungen“, sagt die Flugteil-Mechanikerin. Zwar sei es lange her und ihre Erinnerung dementsprechend schwammig, aber viel Gutes komme ihr nicht in den Sinn, wenn sie zurückdenke. Und auch die neun Jahre in der ersten Pflegefamilie seien alles andere als glücklich gewesen. News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW Bielefeld Gewalt durch Bielefelder Pflegeeltern – Weihnachten allein zu Hause &bdquo;Es gab dort viel Gewalt durch unsere Pflegeeltern“, sagt sie. Auch Ausgrenzung, eine Art Zweiklassengesellschaft innerhalb der Familie, habe sie an anderer Stelle erlebt. &bdquo;Mit den leiblichen Kindern ging es an Weihnachten in den Urlaub, wir Pflegekinder wurden zu Hause gelassen“, erzählt Nolte. &bdquo;Ob meine Erfahrung der aktuellen Situation entspricht oder sich nicht auch Dinge verbessert haben, kann ich natürlich nicht sagen“, so Nolte. Es sei heute definitiv nicht mehr so schlimm wie vor 20 Jahren, aber Personalmangel und eine chronische Unterfinanzierung spielten wohl immer noch eine große Rolle, glaubt die 27-Jährige. Lesen Sie auch: Bielefelderin wehrt sich viele Jahre nach dem Kindesmissbrauch – mit Erfolg Sie habe auch positive Erfahrungen in Pflegefamilien gemacht, schöne Jahre dort verbracht. &bdquo;Ich hatte zeitweise ganz tolle Pflegeeltern“, betont die junge Frau. Stärker geprägt hätten sie aber leider die Negativerfahrungen ihrer frühen Kindheit. Die Gewalt in der ersten Pflegefamilie, die Trennung von ihrer Zwillingsschwester im Alter von 13 Jahren. &bdquo;Das, was wir erlebt haben, ist vielleicht nicht die Norm, aber eben auch kein Einzelfall.“ Bielefelderin gründet Verein für Kinder Für sie sei besonders die Weihnachtszeit immer hart gewesen. &bdquo;Wir haben sehr viel weniger Geschenke bekommen als die Kinder in der Schule, unsere Freunde“, erzählt Nolte. Das möge für Außenstehende lapidar erscheinen, habe aber nur zum Gefühl des Andersseins und der Ausgrenzung beigetragen. Deshalb hat sie 2023 ihren Verein &bdquo;we4children.“ (dt.: wir-für-Kinder) gegründet. Damit hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Weihnachtswünsche der Kinder in der Wintersheide restlos zu erfüllen. Im Marktkauf Gadderbaum steht jedes Jahr ein Wunschbaum für sie. An ihm hängen Kärtchen mit den Wünschen der Kinder, die Besucher des Marktes dann erfüllen können. Wunschbaum-Hilfen für Heimkinder wird zur Tradition &bdquo;Da vorbeizuschauen ist bei meiner Schwester und mir privat schon seit 2019 Tradition“, so Kim Nolte. Jedes Jahr hätten sie den Wunschbaum besucht und kurz vor Weihnachten die noch übrigen Wünsche erfüllt. &bdquo;Damit wirklich jedes Kind ein Geschenk bekommt.“ Kinder unterstützen: Spenden für Kinder: Die passende Hilfsorganisation finden Als sich 2022 auf einen Spendenaufruf in den sozialen Medien auch spendenwillige Firmen meldeten, war die Idee der Vereinsgründung geboren. &bdquo;Denn als Privatperson konnte ich keine Spendenquittung ausstellen“, erklärt Vereinsgründerin Nolte. Also hat sie mit sieben Freunden den Verein gegründet. Bielefelderin ermöglicht Kindern und Betreuern Freizeit Über den neuen Verein kamen 2023 dann so viele Spenden zusammen, dass sie nicht nur Weihnachtsgeschenke besorgten, sondern einigen Kindern und Betreuern der Wintersheide ein Freizeitwochenende in Hamburg bescheren konnten. Diese Dinge könnten zwar nicht das kaputte System ändern, aber kleine Momente der Freude schaffen. Und das sei wichtig. &bdquo;Denn an schönen Erinnerungen kann man sich dann auch in schlechten Momenten festhalten“, weiß sie aus eigener Erfahrung. Heute merkt man der 27-Jährigen nichts von dieser schwierigen Vergangenheit an. Sie hat ihr Abitur nachgeholt, arbeitet bei der Bundeswehr als Flugteil-Mechanikerin, hat eine eigene Wohnung und ein stabiles soziales Umfeld. Sie hat den Sprung in ein normales geregeltes Leben geschafft, genau wie ihre Schwester Pia, die Kommunikationspsychologie studiert und das Reisen für sich entdeckt hat. Doch weiß die junge Frau nur zu gut, wie schwer der Weg dorthin war und wie viele Kinder und Jugendliche dabei immer noch auf der Strecke bleiben. &bdquo;Viele rutschen ab, nehmen Drogen oder klauen“, weiß Nolte. Vor allem, weil es nicht genügend Angebote gäbe, in denen die Kinder ihre oft durch Traumata und Verluste geprägte Vergangenheit aufarbeiten können. Auch interessant: Neue Studie der Uni Bielefeld untersucht Gewalterfahrungen von Kindern Keine psychologische Unterstützung für Bielefelder Zwillinge &bdquo;Zumindest als wir da waren, gab es keine psychologische Unterstützung“, sagt sie. Aber das alles müsse nicht zu Straftaten führen, betont die junge Frau. Mit der richtigen Unterstützung hätten Kinder, die ohne Eltern aufwachsen, die gleichen Fähigkeiten und Chancen wie Kinder, deren Eltern ihnen den Rücken stärken. Die Vereinsgründerin träumt davon, in Zukunft noch viel mehr tun zu können: &bdquo;Ich möchte den Schritt zwischen dem Leben in der Obhut des Jugendamtes und der Selbstständigkeit mit dem 18. Lebensjahr unterstützen.“ Denn von heute auf morgen sei man eben raus aus der Obhut des Jugendamtes. Keine Unterstützung mehr, alles in Eigenverantwortung. Das sei vor allem hart, weil man vorher kein Geld zur Seite legen und ansparen könne. &bdquo;Ich hatte nichts, als ich mit 18 plötzlich auf mich allein gestellt war.“ Denn verdient der Jugendliche etwas, werde direkt der Zuschuss vom Jugendamt gekürzt. Ein finanzielles Polster anzusparen sei also praktisch unmöglich, erklärt Nolte. Diese Lücke hofft sie, mit &bdquo;we4children“ schließen zu können. Wer den Verein und vor allem die Kinder unterstützen will, findet hier alle Informationen dazu.

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