Abstieg in Löhnes Untergrund: Ein Streifzug durch die geheimnisvolle Wasserwelt

Löhne. Sein Desinfektionsmittel hat Timo Bekemeyer immer griffbereit. &bdquo;Sicher ist sicher“, sagt er, während er seinen Händen eine intensive Entkeimung gönnt. Gerade hat er das schwere Eisengitter auf dem Werreparkplatz an der Brückenstraße entriegelt und mit einem Ruck geöffnet. Dahinter eröffnet sich eines von mehreren Drosselwerken der Löhner Stadtwerke. Und damit auch der Weg in die verborgene Wasserwelt der Werrestadt. Dort unten erwartet ihn ein Labyrinth aus engen Schächten und völliger Dunkelheit, voller Technik und Organisation, voller Fäkalien und komplexer Lösungen, voller Erlebnisse und Anekdoten. Ein Streifzug durch die Geheimnisse der Löhner Kanalisation. Es geht tief hinab. Und dann noch einmal etwas tiefer. Über enge Wendeltreppen bahnt sich Timo Bekemeyer seinen Weg in den Untergrund, der nur von einem kleinen Scheinwerfer erhellt wird. Ein modrig-feuchter Duft liegt in der Luft und nur das stetig lauter werdende Geräusch plätschernden Wassers gibt einen Fingerzeig auf das, was ihn dort unten, eingepfercht in glattem Beton, erwartet. Ein ausgeklügeltes System Auf den ersten Blick nicht viel mehr als ein trüb gefärbtes Rinnsaal, in Wahrheit aber doch sehr viel mehr. &bdquo;Hier fließt das komplette Schmutzwasser aus dem westlichen Teil Gohfelds durch“, sagt Bekemeyer. Mal ist es mehr, mal weniger. Zuweilen kommt auch noch zusätzliches Nass dort an, etwa bei Starkregen oder Hochwasser. Vor allem aber das, was in Haushalten und Firmen, öffentlichen Toiletten oder Schulen so verbraucht wird und aufbereitet werden muss. Lesen Sie auch: Das Klärwerk in Löhne muss während des Hochwassers Rekordmengen verarbeiten Timo Bekemeyer ist Kanalarbeiter bei den Stadtwerken und als solcher mit der Materie voll und ganz vertraut. Er kennt die Wege, die das wertvolle Nasse täglich zurücklegt, vom heimischen Wasserhahn über den Abfluss bis in die Kanalisation. Ständig zirkuliert es durch ein gleichsam ausgeklügeltes wie weit verzweigtes System unterirdischer Rohrleitungen und Kanäle. Meist still und leise, vor allem aber unbemerkt verrichtet das Netz seinen Dienst. Stunde für Stunde, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Jeder einzelne Löhner, so sagt Bekemeyer, ist darauf angewiesen. Und damit auch auf Menschen wie er, die sich um den Gesamtapparat kümmern. Warum ist der Gullideckel rund? Heute steht der Abflussregler auf der Begutachtungsliste, ein mit allerlei Rohren und Reglern verbundenes metallisches Gebilde, zylindrisch konstruiert und mit einem Durchmesser von etwa 80 Zentimetern. &bdquo;Der drosselt das ankommende Wasser und bringt es in eine angemessene Fließgeschwindigkeit“, erklärt Bekemeyer. Ein wichtiger Zwischenfaktor, um den weiteren Transport einerseits zu regulieren und das Kanalsystem andererseits zu entlasten. &bdquo;Das hat auch so genug zu tun.“ Tatsächlich erstrecken sich die Schmutzwasserkanäle unterhalb der Werrestadt auf nicht weniger als 227 Kilometern Gesamtlänge, rund 5.800 Schächte ermöglichen Bekemeyer und Kollegen einen Zugang. Sichtbar sind sie im gesamten Stadtgebiet: kreisrunde Deckel, ringsum mit Löchern versehen. Ihr Aussehen ist nicht zufällig gewählt. Während die Form ein Hinabfallen in die Schächte unmöglich macht, lassen die Löcher die Luft zirkulieren. Dahinter: ein schmaler Schacht, der in die Tiefe führt. Einmal im Jahr wird jeder von ihnen gereinigt, mehrere Spülwagen haben die Stadtwerke für diesen Zweck im Fuhrpark. Schmutzige Grüße aus Gohfelds Westen Hinzu kommen 27 Kilometer Druckleitung zum gezielten Weitertransport von insgesamt 47 Pumpwerken aus. Eines steht nur wenige Meter von der Drosselanlage entfernt auf der anderen Seite der Brückenstraße. Hier mündet der Kanal in Rohrleitungen, die das ankommende Schmutzwasser aus halb Gohfeld in einem Tank sammeln. Wer an der Koblenzer Straße sein Spülwasser ablässt, an der Nordbahnstraße die Dusche aufdreht oder an der Weihestraße sein Geschäft verrichtet, sendet automatisch Grüße an genau diesen Punkt. Und zwar nicht nur feuchte, wie Angela Heemeyer, bei den Stadtwerken verantwortlich für die Stadtentwässerung, sagt. Sie spricht von falsch entsorgten Feuchttüchern oder Damenbinden, aber auch von Fettresten, die nach dem Kochen in den Ausguss wandern – &bdquo;das Weihnachtsfondue lässt grüßen“. Die Kanalisation selber werde dadurch zwar nicht großartig verschmutzt. &bdquo;Sobald der Unrat aber im Pumpwerk landet, können sich Verstopfungen bilden, die nur per Hand gelöst werden können.“ Ein dickes Knäuel speckig-verschmutzter Papierfetzen am Boden hinterlässt einen Eindruck von der alltäglichen Unappetitlichkeit, der die Kanalarbeiter immer wieder ausgesetzt sind. Per Hochdruck unterm Fluss entlang Ein lautes Rumpeln unterbricht Heemeyer in ihren Ausführungen, in Sekundenschnelle erfüllt eine gigantische Klangkulisse den Raum. &bdquo;Jetzt geht’s los“, sagt Timo Bekemeyer, &bdquo;die Pumpen nehmen ihre Arbeit auf.“ Nicht weil ein bestimmtes Intervall zu Ende geht oder eine Zeitschaltuhr den Befehl gibt, sondern aus rein praktischen Gründen. &bdquo;Wenn der Tank einen Füllstand von etwas über zwei Metern erreicht hat, muss das Wasser raus, damit neues nachfließen kann“, erklärt Bekemeyer. Mit Hochdruck wird es dann vom Pumpwerk aus auf die Reise geschickt, knapp 2.000 Kubikmeter Wasser pro Tag gehen einmal unter der Werre hindurch und dann mit diversen Abzweigungen bis zum Klärwerk in Mennighüffen. Durchschnittlich 9.000 Kubikmeter allein aus Löhne kommen dort täglich an. Dazu kommt noch Abwasser aus Kirchlengern. Regenwasser hingegen landet dort nicht – zumindest in der Regel. Das nämlich hat seine eigenen Leitungen im Stadtgebiet und wandert ohne Umwege in die Werre. Wobei auch das nur die halbe Wahrheit ist, wie Angela Heemeyer zu verstehen gibt. Denn Wege hat auch das aufgefangene Regenwasser durchaus zurückzulegen. Immerhin 186 Kilometer misst die Gesamtlänge der dafür vorgesehenen Kanäle. Die transportieren den Niederschlag letztlich zum Fluss, wo er an einer von 203 Einleitungsstellen schließlich ans Ziel gelangt. Starkregen als Herausforderung Anders als beim Abwasser variieren die Mengen dabei teils gewaltig. &bdquo;Je nachdem, wie stark es regnet“, sagt Heemeyer. In Extremsituationen – beispielsweise beim jüngsten Starkregenereignis im August dieses Jahres – stößt das Kanalnetz auch mal an seine Grenzen. In Löhne-Ort etwa kam das Wasser ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr nur von oben, sondern auch aus den Gullis an die Oberfläche. &bdquo;Auf ein hundertjähriges Ereignis ist das Kanalsystem nicht ausgelegt“, sagt Heemeyer. &bdquo;Das kann es auch gar nicht sein, um ein extremes Starkregen-Ereignis aufzufangen“, ergänzt Timo Bekemeyer. Er steht mittlerweile mit seinem Kollegen Jörg Wollert auf einer Rasenfläche an der Brunnenstraße und öffnet einen Schacht. Dort, wo sich bis 2012 noch Kinder auf dem Spielplatz &bdquo;Auf dem Stocke“ vergnügten, verbirgt sich unter der Rasenfläche eine vorbeugende Maßnahme für derlei Szenarien. &bdquo;Ein Regenrückhaltung mit angeschlossenem Klärbecken“, sagt Bekemeyer. &bdquo;Da können kurzfristig große Mengen Niederschlagswasser zwischengespeichert werden, um das Netz zu entlasten.“ Erinnerung ans Weihnachtshochwasser 400.000 Liter Wasser fasst allein das Becken an der Brunnenstraße. Momentan steht die Flüssigkeit nur etwa knöchelhoch am Boden, Schmutzreste und Verfärbungen direkt unterhalb des Einstiegs aber zeugen noch heute vom Wasserstand von vor vier Monaten. Ein Anblick, den eigentlich niemand erhaschen sollte. Denn der Schacht ist mehrfach gesichert und kann nur mit schwerem und speziellem Werkzeug geöffnet werden. &bdquo;Aus Sicherheitsgründen“, sagt Bekemeyer, der selbst immer erst die Gaskonzentration im bunkerähnlichen Hohlraum misst. Sauerstoffmangel zum Beispiel ist in den unterirdischen Systemen immer ein Thema. Angela Heemeyer berichtet zudem von Fällen, in denen nach Verkehrsunfällen ausgelaufenes Benzin in die Kanalisation gelangt. Giftige Dämpfe sind dann die Folge. &bdquo;Wenn das alles nicht passt, gehen wir da auch nicht runter“, sagt Bekemeyer. Das könnte Sie auch interessieren: Unwetter-Bilanz im Kreis Herford: Mehr als 200 Einsätze nach starkem Unwetter Insgesamt 25 solcher Sonderbauwerke nennen die Stadtwerke ihr Eigen. Teils zur Oberflächenwasserbehandlung, vor allem aber zur Regenrückhaltung. Dazu kommen vier Regenwasserpumpwerke, allesamt entlang der Werre platziert, von außen betrachtet eher unscheinbar. So wie der kleine Klinkerbau an der Deichstraße unweit der neuen Lehrfabrik der Möbelindustrie. Vor gut einem Jahr rückte der plötzlich in den Fokus, als kurz vorm Weihnachtsfest das Hochwasser kam und Teile von Löhne zu überfluten drohte. Nasse Füße als Tagesgeschäft Auch damals hatten starke Regenfälle für eine Ausnahmesituation gesorgt. Selbst die Werre konnte ab einem bestimmten Zeitpunkt die Einleitungen aus den Regenwasserkanälen nicht mehr aufnehmen, drückte das Wasser sogar zurück ins Netz. Die Lösung: Per Schieber wurde der Kanal vom Fluss getrennt – und das Regenwasser aus Obernbeck im Sammelbecken unterhalb des Pumpwerks zwischengelagert. &bdquo;Etwa 100 Kubikmeter“, sagt Timo Bekemeyer und zeigt den damaligen Füllstand an der Wand an. &bdquo;Da haben wir hier auch nasse Füße bekommen.“ Lange blieb das Wasser dort aber nicht stehen. Per Hochdruck wurden die Massen dorthin befördert, wo sie hingehören: Direkt in die Werre, die der Kraft des hineinschießenden Wassers nicht einmal in dieser Extremlage etwas entgegenzusetzen hatte. Nur wenige Augenblicke brauchte es, um das Becken vollständig zu entleeren. Allerdings nur, um die Prozedur direkt wieder von vorne zu starten. &bdquo;Ohne das Pumpwerk wäre Obernbeck weit weniger glimpflich davon gekommen“, sagt Angela Heemeyer, während die Tür des Gebäudes wieder ins Schloss fällt. Auch deshalb soll es in absehbarer Zeit erneuert und modernisiert werden. Im Sinne der Löhner Bürgerinnen und Bürger, versteht sich. Die nämlich können sich auf die Entwässerungsabteilung ihrer Stadtwerke verlassen. Auf die stillen Helfer und die verborgenen Wege im Untergrund.

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