„Die Vergangenheit blieb allgegenwärtig“: Als der Nazi-Terror nach Löhne kam

Löhne. Als im März 1933 das Ermächtigungsgesetz in Kraft trat, war man in Löhne schon einen Schritt voraus. Kommunisten und Sozialdemokraten standen längst auf den Listen der Polizei, Verhaftungen und Terror gegen eben jene auf der Tagesordnung. Einer von ihnen war Wilhelm Imort, KPD-Anhänger aus Obernbeck und Antifaschist aus Überzeugung. Den Nationalsozialismus sollte er überleben, gezeichnet vom Erlebten aber blieb er bis zu seinem frühen Tod im Alter von nur 56 Jahren. Seine Geschichte erzählt sein Enkel Jürgen Imort vor Zehntklässlern des Städtischen Gymnasiums - auch als Warnung vor einer möglichen Wiederholung längst vergessen geglaubter Ereignisse. Jürgen Imort engagiert sich ehrenamtlich im Löhner Bündnis für Vielfalt, das sich seit vielen Jahren aktiv gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus positioniert. Nachdem er im Nachlass seines Großvaters Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus gefunden und sich in den Kommunalarchiven Löhne und Herford weitere Einblicke verschafft hatte, trat er bereits im Oktober vergangenen Jahres an die Öffentlichkeit und sprach im Alten Wartesaal über seine Erkenntnisse. Von der Demokratie zur Diktatur Dass er nun auch Löhner Schülern davon berichtet, hat indes einen guten Grund: &bdquo;So kurz vor der Europa-Wahl ist ein guter Zeitpunkt, um jungen Leuten die Geschehnisse von damals zu erläutern.“ Und die hatten es durchaus in sich, wie Imort gemeinsam mit Mathis Nolte - ebenfalls ein Mitglied des Bündnisses - anschaulich erklärt. Nolte gibt einen Überblick über die historischen Abläufe im damaligen Deutschland und zeichnet das Bild eines Landes, das sich nach dem Ersten Weltkrieg zwar konsolidierte, aber auch durch eine starke Abneigung gegen demokratische Strukturen und einem revisionistischen Drang nach Autokratie geprägt war. Unzufriedenheit über die Kapitulation sowie Polemik und Hetze gegen den Versailler Vertrag verhalfen der NSDAP seinerzeit zum Durchbruch, schon 1932 stellte die Partei die ersten Ministerpräsidenten - unter anderem in Thüringen. In Löhne waren die Wählerinnen und Wähler zu diesem Zeitpunkt schon deutlich weiter nach rechts gerückt. Während die NSDAP bei der Reichstagswahl vom März 1932 deutschlandweit rund 33 Prozent der Stimmen auf sich vereinte, kam sie allein in Obernbeck schon auf 53 Prozent. Hitler selbst war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal zum Reichskanzler ernannt worden. &bdquo;Landesverräterische Umtriebe“ Dennoch bekamen die Gegner der aufstrebenden Nationalsozialisten den neuen politischen Ton in Löhne hautnah zu spüren. Die KPD-Ortsgruppe etwa, die Wilhelm Imort Anfang der 30er Jahre mitgegründet hatte, bekam zunehmend Probleme. Das zeigen etliche Dokumente, in denen sich verschiedene Behörden gegenseitig vor den Bestrebungen der Kommunisten warnten. &bdquo;Rund 35 Personen standen damals schon im Visier der Polizei“, sagt Jürgen Imort. Als sich die erste deutsche Demokratie langsam aber sicher in der Auflösung befand und im Februar 1933 zentrale Grundrechte eingeschränkt wurden, ging man auch in Obernbeck noch einige Schritte weiter. Bereits im März wurden die ersten KPD-Anhänger in Schutzhaft genommen, darunter auch Wilhelm Imort. &bdquo;Nicht, weil er eine Straftat begangen hatte“, wie Jürgen Imort betont. In Original-Dokumenten ist lediglich vom &bdquo;Interesse der öffentlichen Sicherheit“ und von &bdquo;landesverräterischen Umtrieben“ die Rede. Es sollte nicht die letzte Verhaftung des Obernbeckers sein. Fast 120 Tage verbrachte Imort insgesamt im Gefängnis - unter anderem, weil er einer NSDAP-Veranstaltung am Brückenhaus ferngeblieben war und sich beim anschließenden Umzug durch den Ort dem Hitlergruß verweigert hatte. Opfer und Täter nach der NS-Zeit Ähnlich erging es etlichen Parteifreunden und zunehmend auch Sozialdemokraten. Die Folge: Ständige Drangsalierungen, willkürliche Hausdurchsuchungen, gesellschaftliche Ächtung. &bdquo;Eine feste Arbeit fand mein Großvater nie wieder“, erzählt Imort. Stattdessen hielt er die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser, verletzte sich bei einem Arbeitsunfall aber so stark, dass er zum Invaliden wurde. Und auch nach dem Ende des wohl dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte fand er nur schwerlich Frieden. Erst nach langem Kampf erhielt er 1956, zwölf Jahre nach Kriegsende, eine Entschädigung in Höhe von 340 D-Mark. Die Polizisten und Behördenleiter, die einst seine Verhaftung mit allen Folgen zu verantworten hatten, lebten derweil mit vollen Bezügen und machten teils noch Karriere. &bdquo;Ihre Forderung, die Vergangenheit ruhen zu lassen, war ein Luxus, den mein Opa nie hatte“, sagt Jürgen Imort. &bdquo;Für ihn blieb die Vergangenheit allgegenwärtig.“ Eine Mahnung an die Jugend Und die Zukunft? Die liegt nun - unter anderem - in den Händen nachfolgender Generationen. Jürgen Imort jedenfalls versteht seinen Auftritt vor den Gymnasiasten auch als &bdquo;Ermutigung zum demokratischen Handeln und Denken“ und als Mahnung &bdquo;sich nicht verführen zu lassen“. Dass das nämlich auch heute noch ganz schnell gehen kann, unterstrich der Student Xavier Althoff, der bei der Veranstaltung aktuelle Bezüge zu den Geschehnissen von einst herstellte. Verschwörungsmythen wie etwa eine angebliche Umvolkung machen auch heute wieder die Runde, ebenso das Schaffen vermeintlicher Feindbilder: &bdquo;Früher waren es die Juden oder der Bolschewismus, heute ist es beispielsweise der Feminismus.“ Auch die bewusste Verbreitung von Falschinformationen oder vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme seien - damals wie heute - beliebte Instrumente rechtsextremer Kräfte.

Meistgelesen