Nach 65 Jahren: Eine der letzten Dorfkneipen in Löhne schließt

Löhne. An den Gästen liegt es nicht. Wenn der Gasthof Semmler geöffnet hat, ist die Bude rappelvoll. Jeden Abend. Fünf Tage die Woche, von mittwochs bis sonntags. Und dennoch wird Obernbecks letzte Dorfkneipe zum Jahresende schließen. Eine Nachricht, die bei Kneipengängern, Vereinen und Stammtischen eingeschlagen ist wie die sprichwörtliche Bombe. Und ein Schritt, der Wilhelm Semmler sichtlich schwerfällt. "Ich hätte so gern weitergemacht", versichert Semmler. Schließlich ist der Gasthof auf Obernbecks Haushügel, der Egge, auch so etwas wie sein Lebenswerk. Seine Mutter Carla eröffnete die Gaststätte im Dezember 1958. Auf Laufkundschaft, also auf zufällig vor der Tür her spazierende Gäste, konnte die Wirtin an dem Standort noch jenseits von Kirche und Friedhof auch damals schon kaum hoffen. Wer zu Semmler wollte und will, der kommt gezielt hierher. "Früher hatten die Leute ja nicht kistenweise Bier im Keller", berichtet Wilhelm Semmler. Und Obernbeck hatte nach dem Krieg einen wahren Wachstumsschub erlebt. "Von 2.000 wuchs der Ortsteil auf 6.000 Einwohner an", berichtet der Wirt. Also beschloss seine Mutter, aus dem schlichten Siedlungshaus am Stocksiek eine Kneipe zu machen. Zuerst auf engem Raum. Doch schon 1962 wurde angebaut. Sein Vater Hermann, eigentlich bei der Post beschäftigt, habe sich dafür schwer ins Zeug gelegt, erinnert sich Wilhelm Semmler. Es entstanden neue Toiletten, der große Saal und die erste vollautomatische Bundeskegelbahn in Löhne. "Wir sind immer Kneipe geblieben" Auch den jungen Wilhelm hatte da offenbar schon der Wirte-Virus erwischt. Er lernte Koch in Bünde, war dann vier Jahre lang als "Küchenbulle" bei der Bundeswehr und arbeitete danach in der Gastronomie eines großen Verbrauchermarktes. "Dann suchte meine Mutter eine Ablösung", berichtet Wilhelm Semmler. Und er übernahm 1981 den Gasthof auf der Egge. "Von Anfang an hatten wir hier gemischtes Publikum", sagt Semmler. "Hier kommen jung und alt zusammen - und gut miteinander aus", berichtet der Wirt. "Wir haben Gäste, die sind schon in der vierten Generation hier bei uns", so der Gastwirt. Einer der Gründe, die er dafür vermutet: "Wir sind immer Kneipe geblieben." In der die Gäste natürlich essen und trinken, aber auch Billard, Darts und Flipper spielen können. Und natürlich Karten kloppen. Der Skatverein trifft sich hier zu den Trainingsabenden, eine Doppelkopfrunde besetzt seit Jahrzehnten einmal in der Woche einen der beiden Stammtische. Handballer und Imker haben hier ihr Vereinslokal - und werden sich im nächsten Jahr ein anderes suchen müssen. Fehlen wird in Löhne und darüber hinaus aber auch das Catering von der Egge. Ganze Generationen haben sich von Wilhelm Semmler zu Geburtstagen und Konfirmationen, zu Ehe-Jubiläen und Betriebsfeiern das Essen liefern lassen. Legende sind Semmlers Kneipenklassiker Frikadelle und Hähnchen, aber auch die Steaks werden in der Gaststätte gern bestellt, berichtet der Wirt. "Außer Haus", so hieß das früher, habe auch schon seine Mutter geliefert, anfangs aber nur kalte Platten. "Ende der 70er Jahre fragten die Leute dann auch, ob sie nicht auch warmes Essen nach Haus geliefert bekommen könnten", berichtet Wilhelm Semmler. Qualität und das gute Preis-Leistungs-Verhältnis sprachen sich rasch herum. Inzwischen schickt der Koch mit seinem Team an Spitzensamstagen bis zu 250 Essen aus seiner kleinen Küche. "Corona hat viel Geld und Kraft gekostet" So munter wie Wilhelm Semmler den Blick zurück richten kann, so schwer fällt ihm der Blick nach vorn. Am 30. Dezember ist Schluss bei Semmler, genau 65 Jahre nach der Eröffnung. Corona ist daran nicht ganz unschuldig. "Die Jahre haben viel Geld gekostet, trotz staatlicher Hilfen. Und Kraft", berichtet Semmler. Im Dezember wird der Wirt 67 Jahre alt, davon war er 52 Jahre im Beruf. Seit Corona sei es auch schwieriger geworden, Mitarbeiter zu finden. Vier Festangestellte und zwölf Aushilfen gehören zum Semmler-Team. Vor der Pandemie waren es noch fünf, sechs Aushilfskräfte mehr. Alle Überlegungen, den Gasthof an einen Nachfolger übergeben zu können, hätten sich zerschlagen. "Wenn es einen neuen Konzessionsnehmer gäbe, dann käme alles auf den Prüfstand", erklärt Semmler. Brandschutz, Installationen, Heizung. Aber auch die Küche, die zwar immer noch leistungsfähig ist, aber modernen Ansprüchen nicht genügt. "Natürlich könnte man so noch ein paar Jahre weitermachen, aber nicht dauerhaft", ist Wilhelm Semmler überzeugt. Also soll Ende des Jahres Schluss sein. Was dann mit der Küchenausstattung, den alten Bierkrügen oder der Theke - immer noch die erste aus dem Jahr 1958 - geschehen soll, daran mag Wilhelm Semmler noch gar nicht denken. "An jedem Stück hier hängen ja Erinnerungen", sagt der Wirt. Und seufzt. "Das wird schwer."

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