Die Abrissbirne droht: Bahn will den Löhner Bahnhof verschieben

Löhne. Britta Lehmann fällt aus allen Wolken. "Da ist jemandem wohl der Textmarker ausgerutscht", sagt die Unternehmerin beim Blick auf die Entwürfe der Deutschen Bahn. Lehmann ist Chefin der Häuslichen Kranken- und Altenpflege, vermietet im "Wilhelmshof" 42 Seniorenwohnungen nur ein paar Meter entfernt von der wichtigen West-Ost-Verbindung im europäischen Schienennetz und wohnt nebenan. Die Planer der neuen ICE-Trasse zwischen Hannover und Bielefeld haben erste Entwürfe zum Ausbau als Hochgeschwindigkeitstrasse vorgelegt. Sollte sie verwirklicht werden, müssten Teile des Wilhelmshof-Komplexes abgerissen werden. Außerdem müssten die Bahnsteige des Löhner Bahnhofs, so die Bahn wörtlich, "verschoben" werden. Die Bahn hat mehrere Wochen nach dem nichtöffentlichen Regionaltreffen im Alten Wartesaal des Löhner Bahnhofs Details zum möglichen Trassenausbau im Kreis Herford veröffentlicht. Diese Details bergen Zündstoff. Bei den Regionaltreffen in den Nachbarkreisen bis Hannover wurde bereits deutlich, dass ein Ausbau der Schienenstrecke nach den Kriterien des Bundesverkehrsministeriums (Tempo 300, 31 Minuten Fahrtzeit) erhebliche Eingriffe in fremdes Eigentum bedeutet. Auf Luftbildern haben die Zeichner diesmal keine roten Linien gezeichnet, sondern große, gelbe Flächen gemalt. Die Bedeutung ist aber dieselbe: Abriss. Geht es nach diesen Entwürfen, müssten in Löhne, Hiddenhausen und Herford zahlreiche Wohnhäuser, Gewerbeflächen und Firmensitze für die Ausbaupläne der Bahn weichen. Auch in Hiddenhausen-Schweicheln stünde ein Neubau des Bahnhofs an. Außerdem müssten gerade erst errichtete Schallschutzwände, Brücken und Tunnel komplett neu gebaut werden, um den Anforderungen des Bundesverkehrsministeriums an Geschwindigkeit und Fahrzeit gerecht zu werden. Diese beiden Kriterien galten vor dem Regionaltreffen am 10. März als Planungsmaxime. Inzwischen hat sich aber offenbar das Planungsziel von 31 Minuten Fahrtzeit aufgeweicht. Die 31 Minuten stehen weiter im Planungsauftrag Das erklärte zumindest der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler. Er schließt das aus einer Antwort des neuen Bahn-Beauftragten der Bundesregierung und sagt: "Die starre 31-Minuten-Vorgabe ist vom Tisch." Der Bahn-Beauftragten Michael Theurer (FDP) hat auf Schäfflers Anfrage das aber nicht selbst gesagt. Seine Antwort lässt deutlich mehr Interpretationsspielraum. Auf NW-Nachfrage, ob die 31 Minuten vom Tisch sind, schickt das Bundesverkehrsministerium kein klares Ja oder Nein, sondern diesen Satz: "Die Planungen erfolgen unter Berücksichtigung der Anforderungen aus dem Deutschlandtakt." Die 31 Minuten stehen weiterhin auf der öffentlichen Internetseite des Planungsprojekts. Sie sind auch im Planungsauftrag zu finden, der der NW vorliegt. Und dieser Auftrag gilt so lange, bis das Ministerium den Planungsauftrag verändert. 31 Minuten Fahrtzeit sind laut diesem Schriftstück eine "verkehrliche Zielstellung". Im folgenden Text des Planungsauftrags steht aber auch, dass die für diese Ziele notwendigen Aus- oder Neubauabschnitte "nicht explizit als Vorgaben", sondern "lediglich als Anhaltspunkte" der weiteren Planung zu verstehen seien. Die Planer des Bahnprojekts arbeiten derweil weiter an den Varianten für die Trassenführung. Fahrtzeitenprognosen wollen sie mit den Trassenvarianten erst Ende des Jahres vorlegen. Ein Ergebnis der Bestandsuntersuchung steht immerhin bereits fest: Auf der Bestandsstrecke sind 31 Minuten Fahrtzeit nicht zu erreichen. Der "Löhner Bogen" zwischen Falscheide und Schweicheln würde auch nach dem Ausbau nur mit Tempo 160 befahrbar sein. Für 31 Minuten bräuchte es wohl eher eine kerzengerade Strecke zwischen Bielefeld und Hannover für Tempo 300. Ende des Jahres will Projektleiter Carsten-Alexander Müller erste Vorschläge zur Trassenführung machen. Bis dahin planen die Planer, was der Planungsauftrag hergibt. Das wäre nach Lage der Dinge ein Ausbau, ein Neubau oder Mischungen aus beiden Varianten. Zündstoff bergen vor allem die Ausbauvorschläge. Aus Sicht der Bahn sind das eher Skizzen, die für Bahnreisende das meiste versuchen rausholen. Aus Sicht der Anwohner dürfte das jedoch ein "Horrorszenario" sein, wie es der ehemalige Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Lothar Ibrügger (SPD) nannte. Die Entwürfe sehen in Gohfeld den Abriss ganzer Häuserzeilen und Firmengebäude nördlich der Nordbahn, also entlang der Löhner Straße vor. Besonders betroffen wären auch die Gebäude der ehemaligen Schuhfabrik Lux, des Kohlenhofs Gohfeld, die überdachten Gütergleise der Spedition Kemena, Vorgärten an den Straßen Am Brink und Kreuzbaum und eben die Garagen der 42 Seniorenwohnungen, die Britta Lehmann an der Schierholzstraße betreibt. Chance: Gleisknäuel in Löhne-Ort entwirren "Die Garagen sind Teil unseres Schallschutzes", sagt Lehmann. Direkt dahinter fällt der Bahndamm steil ab. Würden hier neue Gleise gebaut, müsste sehr viel Gelände weggeschaufelt und die Königsbrücke gleich mit abgerissen werden. Sollte die Bahn diese Pläne ernsthaft verwirklichen, will Lehmann "alle Hebel in Bewegung setzen", um das zu verhindern. Für Löhne-Ort zeigen die frühen Entwürfe der Bahnplaner aber auch ganz unerwartete Chancen für die Stadtentwicklung. Die riesige Bahnbrache rings um das alte Stellwerk mit der Ausfädelung nach Osnabrück soll demnach "innerhalb der DB-Grenzen" komplett überarbeitet werden, heißt es in den Präsentationsunterlagen. Die Planer sprechen vom "Neubau Kreuzungsbauwerk". Das Gleisknäuel mit Tunnel und Südumfahrung würde neu geordnet. Womöglich entstünde Raum für etwas ganz Neues, wo früher einmal Dampflokomotiven auf der Drehscheibe rangierten. Allerdings gehen die gelben Markierungen auch über ganze Häuserzeilen in Löhne-Ort entlang der Straßen An der Kölner Bahn und Obernfeld hinweg. Laut Entwurf müssten sie also abgerissen werden, sollen die Bahn ihre Maximalforderungen auf der Bestandsstrecke verwirklichen. Eine Alternative zu Abriss und Neubau haben die Planer im Köcher: Das wären sogenannte Hybrid-Strecken. Die Planer kürzen die Kurven der Bestandstrasse einfach ab. Allerdings würde das bedeuten, dass im Norden von Herford neue Gleise direkt bis zur Nordbahn in Gohfeld gebaut werden müssten. Ob das jedoch leichter zu verwirklichen wäre als der Ausbau der Bestandsstrecke zu den Bedingungen des Bundesverkehrsministeriums, ist offen. Darüber lässt sich nur spekulieren: Wäre ein Gleistunnel von Herford bis Gohfeld eine Lösung?

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