So sieht der Alltag einer Bereitschaftspflegefamilie im Kreis Herford aus

Hiddenhausen/Kreis Herford. Pflegekinderdiensten fällt es immer schwerer, Plätze für Kinder und Jugendliche in der Bereitschaftspflege zu finden. Eine Familie mit sechs eigenen Kindern aus dem Kreis Herford nimmt Kinder in der Bereitschaftspflege auf, aktuell zwei knapp drei Jahre alte Zwillinge. Die NW hat mit einem Elternpaar sowie Katharina Taylor und Franziska Grundmann vom AWO-Pflegekinderdienst (PKD) über ihre Erfahrungen gesprochen. Die Eltern haben sich dafür entschieden, anonym zu bleiben. Warum haben Sie sich dafür entschieden, ein Pflegekind aufzunehmen? Mutter: Wir haben sechs leibliche Kinder. Seit der Jüngste in der Schule ist, habe ich mich gefragt, was ich mit der freien Zeit vormittags mache. Zurück in den Beruf wollte ich nicht, weil da die Arbeitszeiten nicht mit der Familie zusammenpassen. Schon nach der Geburt unseres ersten Sohnes hatte mein Mann mich gefragt, ob wir nicht noch Kinder aufnehmen wollen. Aber damals war noch nicht die Zeit dafür. Vor fünf Jahren haben wir den Gedanken wieder aufgenommen und uns als Pflegefamilie beworben. Vater: Wir mögen Kinder sehr und haben bei einer befreundeten Familie, die ein Pflegekind hat, gesehen, wie gut das funktioniert. Das hat uns imponiert und wir haben uns intensiver damit beschäftigt. Mutter: Ich hatte vor vielen Jahren ein einschneidendes Erlebnis, als wir mit einer Jugendgruppe in einem Park waren. Es war nach 21 Uhr, als eine offensichtlich betrunkene Frau mit einem etwa vier Monate alten Baby im Arm herumtorkelte. Ich bin auf sie zugegangen, da hat sie mir das Baby in die Hand gedrückt und legte sich auf einer Bank schlafen. Ich habe die Polizei gerufen, die sich um das Baby und die Frau gekümmert hat. Die Frau hat mich beschimpft. Ich habe danach tagelang darüber nachgedacht, was wohl mit dem Baby passieren wird, beziehungsweise wo es hinkommt. Das war so ein einschneidendes Erlebnis, dass es mich immer wieder in den letzten 20 Jahren begleitet hat. Wir haben uns gesagt, dass wir solchen Kindern helfen möchten. Wie war der Ablauf, nachdem Sie sich als Pflegeeltern beworben haben? Vater: Wir wurden zu einem Kennenlern-Abend eingeladen, um uns über die Arbeit des Pflegekinderdienstes zu informieren und welche Formen der Pflege es gibt. Anschließend haben wir uns zu einer Schulung mit anderen Paaren angemeldet. Zudem gab es noch einen Hausbesuch, in dem geschaut wurde, wie die Situation bei uns ist. Wie läuft die Übergabe der Pflegekinder ab? Katharina Taylor: In der Regel ruft das Jugendamt beim PKD an, wenn es Bedarf hat, Kinder unterzubringen. Dann schauen wir, wer Kapazitäten hat und ob sich die Familie die Aufnahme vorstellen kann. Die Familien können selbstverständlich auch ablehnen, wenn sie der Meinung sind, dass es nicht passt. Wenn sie zustimmen, melden wir das dem Jugendamt. Wir begleiten das Kind und die Familie. In der Begleitung geht es vorrangig um die Bedürfnisse des Kindes, zum Beispiel Ernährungsgewohnheiten, eventuell Medikamentengabe und welche Termine in der kommenden Woche umgesetzt werden müssen. Wichtig ist uns auch, dass das Kind am ersten Tag zur Ruhe kommen kann. Vater: Wir haben uns bewusst für die Bereitschaftspflege entschieden. Da kann ein Kind auch von jetzt auf gleich kommen, je nachdem aus welcher Situation es kommt. Vorbereitungszeit gibt es selten, weder für uns noch für die Kinder. Gibt es Kontakt zu den leiblichen Eltern? Vater: Über die aktuelle Situation bekommen wir einige Informationen. In der Regel haben die Kinder Besuchskontakte zu ihren leiblichen Eltern. Mutter: Ich habe in dieser Hinsicht schon sehr positive Begegnungen gehabt. Die Eltern haben mir gedankt, dass die Kinder bei uns sein können. Oft sagen sie, dass sie eine positive Entwicklung bei den Kindern bemerkt haben. Das macht sehr viel Mut. Wie haben Ihre eigenen Kinder auf die Aufnahme von Pflegekindern reagiert? Vater: Wir haben das mit unseren Kindern besprochen, als wir erstmalig den Gedanken hatten. Auch jetzt sprechen wir es ab, wenn ein Anruf vom Pflegekinderdienst kommt. Wir nehmen in der Regel Vorschulkinder auf. Für die sind unsere Kinder eigentlich schon wie Erwachsene. Ihre Zwillingspflegekinder werden bald drei Jahre alt. Was bekommen sie von der Situation mit? Mutter: Oft ist es so, dass die Kinder die Situation als nicht so schlimm empfinden. Sie lieben ihre Mama. Wir achten darauf, dass wir sehr respektvoll über die Mama sprechen und über das, was sie ihnen bei den Treffen mitbringt. Jedes Kind verarbeitet es anders, wenn es aus der Familie genommen wird. Ein Kind bei uns hat zum Beispiel nicht gesprochen. Es hat immer nur auf das gezeigt, was es wollte. Dadurch hat es sich selbst geschützt. Welche Pflichten müssen Sie als Pflegeeltern erfüllen? Eltern: Wir haben regelmäßig Kontakt zum PKD und stimmen vieles ab. Das meiste geht mündlich, manches muss schriftlich dokumentiert werden, zum Beispiel Arztbesuche. Manche Kinder gehen nicht in die Kita, sondern sind die ganze Zeit bei uns. Das ist noch einmal eine andere Herausforderung. Der PKD nimmt uns aber vieles an Formalien ab, auch die Beantragung der Kostenübernahme. Haben Sie auch mal überlegt, ein Kind zu adoptieren? Eltern: Nein, wir haben uns bewusst für die Bereitschaftspflege entschieden. Weil wir selbst Kinder haben, wollten wir nicht die Familie vergrößern, sondern Kindern helfen, die in Not sind. Wie geht es jetzt weiter? Wird regelmäßig geprüft, wann oder ob die Kinder zu ihrer Mutter zurück können? Taylor: Aktuell wurde ein Gutachten erstellt und vor Gericht wird entschieden, wie die Perspektive zukünftig sein wird. Grundsätzlich ist das Jugendamt federführend. In den meisten Fällen gibt es die Möglichkeit, durch Hilfeplangespräche die Bedarfe der Kinder zu ermitteln. Das können Fördermaßnahmen oder ein Facharztbesuch sein. Gibt es eine Höchstdauer für die Bereitschaftspflege? Grundmann: Wir würden uns natürlich wünschen, dass nach drei Monaten klar ist, wie es für das Kind weitergehen kann. Das ist aber faktisch oft nicht möglich. Die dafür notwendige Entscheidung, die bei den Gerichten liegt, dauert meist sehr lange. Deshalb kann es schon mal vorkommen, dass die Kinder länger in der Bereitschaftsfamilie bleiben als vorgesehen. Sie haben mehrfach Kinder aufgenommen. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied? Mutter: Mir hilft es, ein Fotoalbum für die Kinder anzufertigen und sich Gedanken zu ihrer Entwicklung zu machen. Der Abschied ist manchmal von einem Tag auf den anderen, was aber eigentlich gar nicht so schlecht ist. Wir hatten letztes Jahr einen sehr schönen Abschied von einem Mädchen, das zu einer Langzeit-Pflegefamilie gekommen ist. Das war ein toller Abschied, wir haben immer noch Kontakt. Wir hatten aber auch traurige Abschiede. Es gibt beides. Wie bereichern Pflegekinder Ihr Leben? Vater: Wir können Kindern helfen, die aus schwierigen Verhältnissen kommen. Fast alle Kinder, die bei uns waren, hatten eine Vergangenheit, die nicht schön war. Wenn man eine positive Entwicklung sieht und erlebt, wie die Kinder aufblühen und anfangen zu sprechen oder zu laufen, ist das einfach schön. Wie sieht es mit dem finanziellen Aspekt aus? Vater: Wir machen das nicht wegen des Geldes. Bis zu dem Tag, an dem wir das erste Pflegekind bei uns aufgenommen haben, wussten wir nicht, wie hoch der Satz ist. Es kommen immer wieder Leute, die sagen, dass wir das nur wegen des Geldes machen. Das Geld würde aber bei weitem nicht reichen, wenn ich das umrechne. Man muss immer für das Kind da sein, egal, ob es krank oder gesund ist. Wer hat gerne ein zweijähriges Kind mit Magen-Darm-Infekt zuhause? Das ist Arbeit. Es geht in erster Linie darum, dass die Kinder ein schönes Zuhause finden. Grundmann: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Familien sich bewusst für eine Bereitschaftspflege entschieden haben, weil sie diese Tätigkeit als eine Bereicherung in ihrem Leben erleben. Das ist der eigentliche Antrieb, eine Pflegefamilien zu werden. Mutter: Dieser Dienst sollte mit Herz gemacht werden. Es ist gut, dass man eine finanzielle Unterstützung erhält. Aber wenn es nur ums Geld geht, merken das die Kinder sofort. Taylor: Bei unseren Pflegefamilien sind alle gesellschaftlichen Strukturen vertreten. Das ist auch gut so, denn jedes Kind hat unterschiedliche Bedarfe. Wir brauchen Menschen, die bereit sind, ihr Herz zu öffnen und den Kindern einen Schutzraum zu bieten, in dem sie die nächsten Schritte machen können. Info: Der AWO-Pflegekinderdienst sucht dringend neue Bereitschaftspflegestellen. Wer sich für die Aufgabe als Pflegefamilie interessiert, meldet sich beim AWO Pflegekinderdienst unter Tel: 05221 2769970; E-Mail: pkd@awo-herford.de

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