„Schick den Jungen weg“: Früherer Systemsprenger (23) aus Vlotho hat heute Unternehmen

Vlotho. Frau Meier hat immer an ihn geglaubt, daran erinnert sich Leon Distelmeier (24) noch. Seine Klassenlehrerin war – im Gegensatz zu anderen Lehrern – überzeugt, dass aus ihm etwas werden würde. An der Schule hatten sie darüber nachgedacht, &bdquo;ihn abzusägen“. &bdquo;Schick den Jungen weg“, habe es geheißen. Doch Frau Meier sagte zu seinem Vater: &bdquo;Das wird was mit Ihrem Jungen.“ Wie recht sie damit hatte, konnte sie damals vermutlich nur erahnen. Mit 23 Jahren gründete der Vlothoer seinen eigenen Betrieb. Mittlerweile beschäftigt er fünf Mitarbeitende und trägt zwei Meistertitel. Seine Gesellenprüfung bestand er mit Bestnote, er gewann die Kammermeisterschaften und wurde Dritter bei den Landesmeisterschaften. Für den Meister im Spenglerhandwerk erhielt er ein Stipendium. Früher sei er der typische Klassenclown gewesen, habe auf dem Schulhof Gegenstände mit dem Fußball zerstört und einmal sogar eine Klassentür kaputtgemacht. &bdquo;Ich war ein kleiner Rüpel“, erinnert sich Distelmeier. Vor allem während seiner Pubertät. In der 5. und 6. Klasse bekam er einen Betreuer. Gute Noten hatte er kaum. &bdquo;Ich habe mir damals gedacht: Warum soll ich Dinge lernen, die ich nie brauche?“, sagt Distelmeier und fügt hinzu: &bdquo;Wie zum Beispiel eine Gedichtsanalyse.“ Auf ihren ehemaligen Schüler Leon angesprochen, lacht seine frühere Klassenlehrerin Barbara Meier. &bdquo;Ja, der hat gern ein bisschen Blödsinn gemacht“, sagt sie. Er habe öfter Streit gehabt und sich schwer konzentrieren können. &bdquo;Das war so einer, der überall dran und an allem interessiert war.“ Genau das mache ihn aber aus: Wenn ihn etwas begeistert, sei er mit Feuer und Flamme dabei. &bdquo;Als er in der neunten Klasse sein Praktikum bei einem Dachdecker machte, wusste ich: Jetzt hat er das Richtige gefunden“, erinnert sie sich. Sie habe bei Problemen auch immer mit ihm reden können. &bdquo;Er war immer bereit, an sich zu arbeiten“, sagt Meier hörbar stolz. Lesen Sie auch: Bester Friseursalon Deutschlands: Herforderin verrät das Erfolgsrezept Diagnose ADHS in der Schulzeit In der Schule wurde bei ihm ADHS diagnostiziert – Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder ruhig zu bleiben – zugleich aber auch viel Energie, Kreativität und Begeisterung für die Dinge, die sie wirklich interessieren. &bdquo;Ich sehe ADHS nicht als Fluch, sondern als Gabe“, sagt der 24-Jährige. Genau diese Energie half ihm, im Handwerk seinen Weg zu finden. Sein Herz für das Handwerk zeigt sich, wenn er von seiner Arbeit als Spenglermeister spricht: &bdquo;Das ist Origami mit Metall“, erklärt er stolz. Er zeigt seine selbst gemachten Fensterbänke. Könnte er es sich aussuchen, würde er den ganzen Tag Metallteile für Fensterbänke herstellen – begleitet von melancholischer Musik: Coldplay, KIZ, Taylor Swift. @dachkonzeptedistelmeier ? Originalton - Dachkonzeptedistelmeier Wie sich das Blatt für den jungen Vlothoer wendete Leidenschaft allein reicht nicht für Erfolg. Der Ehrgeiz packt ihn, als er nach dem ersten Lehrjahr seinen Ausbildungsbetrieb wechselt. Dort bekommt er mehr Verantwortung und lernt seinen besten Freund Tim kennen, den Sohn eines Dachdeckermeisters. Mit seiner engagierten Art steckt er Leon an. Die beiden werden unzertrennlich: Sie lernen und leiden zusammen, verkürzen ihre Ausbildung auf 2,5 Jahre. Danach fahren sie gemeinsam für ein Jahr nach Australien. Mit der Bestnote in der Gesellenprüfung wird Leon dringend geraten, den Meister zu machen. Dafür zieht er mit Tim ins Sauerland, die beiden teilen sich eine Wohnung. Nur das Lernen macht jeder oft für sich. Nach dieser Ausbildungszeit müssen sie innerhalb eines Monats 18 Prüfungen absolvieren. &bdquo;Danach habe ich meinen Vater und meine Mutter angerufen und geweint“, erinnert sich der 24-Jährige. Mehr zum Thema: 43-jähriger Espelkamper wird zum Social-Media-Hit: &bdquo;Bin ich auf Eltern-TikTok gelandet?“ Großes Tief nach weiterer Prüfung Nach der Meisterprüfung zum Spengler fühlt er sich erschöpft. &bdquo;Das war eine schwierige Lebensphase“, sagt Distelmeier. Denn neben der Meisterschule leitete er eine Baustelle. Sechs bis sieben Tage die Woche war er nur mit Arbeit beschäftigt: Schule, lernen, Wochenenden auf der Baustelle. Nachdem er die Prüfung bestanden hatte, konnte er sich nicht richtig freuen. &bdquo;Ich hatte einen Monat lang keine Emotionen.“ Sein Glück war, dass die Förderung für die Selbstständigkeit auf sich warten ließ. So hatte er zweieinhalb Monate für sich, konnte ohne Stress die neue Wohnung einrichten und die Firma für den Start vorbereiten – ein wertvoller Abstand. Eigenes Unternehmen – eigener Chef Seit dem 1. März 2025 ist er sein eigener Chef – für ihn die ideale Situation. Er kann Entscheidungen selbst treffen. &bdquo;Jeden Fehler, den ich mache, bade ich selbst aus“, sagt er. Aber auch wenn er etwas gut macht, profitiert er selbst davon. Aktuell läuft es gut für ihn: Dieses Jahr ist er ausgebucht. Er kann weitere Mitarbeitende einstellen und will von der Straße &bdquo;Im Kanaan“ in größere Räumlichkeiten in Vlotho mit einer 350 bis 400 Quadratmeter großen Halle ziehen. Und wenn er an die Worte seiner ehemaligen Klassenlehrerin denkt, hofft er, dass sie sein Porträt liest.

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