Zeitreise auf zwei Rädern: Wie eine Vespa aus dem Jahr 1960 das Herz eines Bünders bewegt

Kreis Herford. Es bedurfte noch der Unterschrift des Erziehungsberechtigten, als Hans-Dieter (genannt &bdquo;Hansi“) Selkmann im Jahre 1960 den Kaufvertrag über seinen Traum auf zwei Rädern abschloss. Erst 1975 wurde das Eintrittsalter in die Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre gesenkt. Doch da war der nachfolgend vorgestellte Motorroller selbst schon fast &bdquo;volljährig“ und hatte seinem Besitzer auf zahlreichen Fahrten viel Freude bereitet. Da diese Freude auch mit steigendem Wohlstand nicht enden wollte, wurde der Roller nicht – wie so oft – gegen ein Automobil eingetauscht. Es kamen zwar noch weitere Fahrzeuge hinzu (und gingen den Weg alles irdischen), doch die geliebte Vespa blieb bis heute bei ihrem Erstbesitzer. Der gebürtige Bochumer war gerade einmal vier Jahre alt, als sein Vater im Auftrag des Arbeitgebers einen neuen Aufgabenbereich in Bünde übernahm. Selkmann Senior war beim sogenannten &bdquo;Bochumer Verein“ – einem Stahlwerk – beschäftigt und da sich Deutschland 1944 noch im selbst heraufbeschworenen Krieg befand, lagen diese neuen Aufgaben weniger in der Bünder Genussmittel-, als in der Rüstungsindustrie. In den Räumlichkeiten der Furnierschneiderei von Edwin Kranz, an der damaligen Klinkenkolk- und heutigen Elsestraße gelegen, wurden Geschoßteile produziert, wobei Metallfacharbeiter wie der Dreher Hugo Selkmann unverzichtbar waren. Die Anfänge in der Zigarrenstadt Als der Filius Mitte der 1950er-Jahre selbst ins Berufsleben startete, standen Waffen glücklicherweise nicht mehr im Mittelpunkt der Metall verarbeitenden Industrie. So konnte sich der gelernte Werkzeugmacher als Mitarbeiter der Firma &bdquo;Balda“ den größten Teil seines beruflichen Wirkens mit Fotoapparaten beschäftigen. Darüber hinaus erledigte er &bdquo;nach Feierabend“ auf der heimischen Drehbank noch so manchen Auftrag aus dem Bekanntenkreis, was sich für den fleißigen und sparsamen jungen Mann auch entsprechend auszahlte. Bereits mit 19 Jahren war er in der Lage sich über die Anschaffung eines Neufahrzeuges Gedanken machen zu können. Für Liebhaber: Oldtimer-Treffen im Kreis Herford: Hier können Auto-Klassiker bewundert werden Nun fand der angehende Kraftfahrzeugbesitzer im Jahre 1960 ein schier grenzenloses Angebot an zwei, drei- und vierrädrigen Mobilen auf dem bundesdeutschen Markt und hatte im wahrsten Sinne des Wortes die Qual der Wahl. Das Budget und die die daraus resultierenden Vorstellungen, wie sein fahrbarer Untersatz aussehen konnte, waren beim jungen Selkmann jedoch schon sehr konkret. Für einen Pkw – mitsamt der laufenden Unterhaltskosten – war der Geldbeutel etwas zu schmal, an einem Motorrad missfiel der gänzlich fehlende Wetterschutz. Um genau diese Lücke zu schließen, war rund eineinhalb Jahrzehnte zuvor der Motorroller erfunden worden und genau den hatte Hansi nun im Visier. Welcher Roller soll es sein? Zwar hatten sich auch deutsche Hersteller schon dieser Fahrzeuggattung angenommen, genau genommen mit der Firma Krupp sogar bereits direkt nach dem Ersten Weltkrieg, doch konnte sich der junge Mann vom Bünder Südring nicht für ein deutsches Fabrikat erwärmen. Schließlich wäre es doch sehr bequem gewesen, die wenigen Schritte bis zur Fünfhausenstraße 7 zurückzulegen und dort bei &bdquo;Auto Becker“ einen Viertakt-Heinkel-Roller zu erwerben. Aber mal abgesehen davon, dass das Modell &bdquo;Tourist“ 1960 mit 1.925 DM nochmals gut zehn Prozent teurer gewesen wäre, Hansis Wunsch-Gefährt sollte das italienische Original sein. Bereits 1946 stellte in der Toskana die aus dem Flugzeugbau stammende Firma Piaggio mit der &bdquo;Vespa 98“ ihre erste eigene Interpretation eines Motorrollers vor. Entgegen früherer motorisierter Roller, die eher an Tretrollern orientiert waren, verfügte dieses Modell nun über einen gewissen Wetterschutz. Wenngleich dieser auch nur gegen das von unten kommende, mit Straßendreck angereicherte Spritzwasser wirksam war. Doch immerhin, gegenüber einem reinen Motorrad war dies schon ein enormer Vorteil, denn die obligate Spezialbekleidung konnte beim Ausflug mit einer Vespa durch ein vergleichsweise gepflegtes Äußeres ersetzt werden. Wie die Vespa nach Deutschland kam So rauschten die Motorrollerfahrer mit Schlips, Kragen und Petticoat dahin und setzten sich dadurch schon allein äußerlich von anderen Zweiradfahrern ab. Die italienische Wespe – wie der Modellname Vespa auch gedeutet werden kann – setzte Maßstäbe und wurde zum Verkaufsschlager. Selbst nördlich der Alpen, wo die nachfolgenden Baureihen zunächst in Lizenz und dann in einem eigenen Zweigwerk in Augsburg gefertigt wurden, hatte das Gefährt schnell zahlreiche Liebhaber. Darunter auch den jungen Werkzeugmacher aus Bünde, dessen Weg zu seinem Traumroller jedoch zunächst nach Herford führen sollte. Vespa in Herford gekauft Dort handelte Siegfried Jach mit Motorrollern und Kleinwagen, die häufig ja von denselben Herstellern angeboten wurden. An der Waltgeri-, Ecke Eimterstraße waren Goggomobile und Messerschmitt Kabinenroller ebenso erhältlich, wie auch der Vespa-Roller. Am 16. März 1960 unterzeichneten dort Hansi und Vater Hugo Selkmann einen &bdquo;Kaufantrag“ über eine &bdquo;150 GS/3“ in silber-grau zu einem Basispreis von 1.650 DM. Hinzu kamen noch 49,50 DM für die Sturzbügel und 21 Mark für eine Fußmatte, die auf das Trittbrett gelegt wurde. Und für den Transport und die Ausstellung des Kraftfahrzeugbriefes waren dann nochmals 55 DM fällig. Schlussendlich wechselte der Roller nach Abzug von 3 Prozent Skonto für 1.716 DM in den Besitz des Barzahlers und machte den jungen Bünder &bdquo;stolz wie Oskar“, wie man damals gerne sagte. Doch nicht nur den Stolz wollte man teilen und so schloss sich der Rollerfahrer schon bald dem &bdquo;Vespa Club Bünde – Zigarren-Stadt“ an. Mit Unterstützung des Herstellers war dies eine von etwa 250 örtlichen Vereinigungen, die im &bdquo;Vespa Club von Deutschland“ zusammengeschlossen waren und insgesamt mehr als 14.000 Mitglieder zählte. Neben der Geselligkeit zählten Geschicklichkeitsturniere und Fahrten zu befreundeten Clubs in ganz Europa zu den gemeinsamen Aktivitäten. Es folgten viele Jahre und Kilometer mit dem Roller und den Gleichgesinnten. Die Wiederbelebung der Vespa Doch alles hat seine Zeit, für viele der Vereinsfreunde ging das Rollerleben und damit die gemeinsamen Aktivitäten alsbald zu Ende. Auch Hansi hat irgendwann sein Schmuckstück abgemeldet. Dennoch brachte er es nicht übers Herz, sich davon zu trennen. Die Zeit verging und schließlich reanimierte er nach vielen Jahren des Stillstandes seine &bdquo;Grand Sport“, wie das GS in der Bezeichnung ausgeschrieben lautet, um nun bei gelegentlichen Ausfahrten den zum Oldtimer gereiften Roller in Bewegung zu halten. Während ursprünglich als sportliche Variante konzipiert, so genügen die aus 144 ccm Hubraum generierten 8 PS des Einzylinder Zweitakters heute immer noch zum &bdquo;gemütlichen Dahinrollern“. Wenngleich dabei meist alleine unterwegs, so stand Hansi Selkmanns &bdquo;Wespe“ noch einmal im Mittelpunkt des ehemaligen &bdquo;Vespa Club Bünde“. Im Januar 2014, rund fünf Jahrzehnte nach der letzten gemeinsamen Ausfahrt und Auflösung des Zusammenschlusses, trafen sich viele der ehemaligen Mitglieder im Bünder Waldschlösschen und schwelgten in Erinnerungen. Obwohl sich nach diesem hochemotionalen Treffen alle einig waren, es müsse eine Wiederholung geben, war es das letzte Mal. Der lang geplante 60. &bdquo;Geburtstag“ des Rollers, der den Anlass dazu geben sollte, fiel den Corona-Einschränkungen zum Opfer. Die Feier des 65. Jubiläums Und auch in diesem Jahr, wenn am 18. März die 65. Wiederkehr der Erstzulassung ansteht, wird es keine weitere Zusammenkunft geben. Es sind einfach zu wenige noch bereit bzw. in der Lage, eine zum Teil weite Anreise dafür auf sich zu nehmen. Bevor es also ein &bdquo;Dinner for one“ wird, dann begeht Hans-Dieter Selkmann diesen Tag doch lieber in ganz kleinem Kreis. Zusammen mit seiner Frau Marlies, die schon in den frühen Jahren so manche Runde mit ihrem Hansi und seinem Roller drehte, stehen dann wieder die zahllosen Erinnerungen aus einem langen Rollerleben im Vordergrund. 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