Nach Anti-Polizei-Demos: Herforder Polizei will auf junge Menschen mit Migrationshintergrund zugehen

Herford. Ansteigender Hass auf Ordnungsbehörden und Obrigkeiten - so die Überschrift über dem Tagesordnungspunkt sieben der Integrationsrat-Sitzung am Dienstagabend. Zu Gast: Bilal Rassem, Hauptkommissar der Kreispolizeibehörde Herford. Rassem äußerte sich zu den Polizeischüssen auf den 19-jährigen Bilel G. am 3. Juni dieses Jahres und skizzierte eine Idee, wie das Vertrauen in die Polizei gerade bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund aufgebaut werden könnte. &bdquo;Die Polizei lügt“ - das war das Motto der beiden Demonstrationen am 15. Juli und 7. Oktober in Herford. Die Veranstalter vom &bdquo;Solikreis Bilel“ hatten dazu aufgerufen, um &bdquo;Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit für 34 Schüsse auf Bilel“ zu fordern. Der damals 19-jährige Bilel G. aus Herford war in der Nacht des 3. Juni bei einem Polizeieinsatz von mehr als 30 Schüssen aus den Dienstwaffen der Beamten getroffen worden und bleibt aufgrund seiner schweren Verletzungen wohl querschnittsgelähmt. Er soll, als die Polizisten ihn nach einer Verfolgungsfahrt von Herford nach Bad Salzuflen in einer Sackgasse stellten, auf die Beamten zugefahren sein. Diese sollen daraufhin das Feuer auf ihn eröffnet haben. Rassem: &bdquo;Auch Polizisten sind Menschen mit guten und schlechten Tagen“ Mit Wut, Hass, Beleidigungen, Anfeindungen sowie Böller- und sogar Flaschenwürfen war die Polizei bei den Demonstrationen in Herford konfrontiert, zu denen sie mit Großaufgeboten anrückte. Die erste Kundgebung am 15. Juli wurde aufgrund von Ausschreitungen abgebrochen. Die zweite am 7. Oktober konnte weitestgehend friedlich zu Ende gebracht werden. Wüste Beschimpfungen und Beleidigungen gegen die Polizei gab es aber auch hier. &bdquo;Die Schüsse auf Bilel kann man leider nicht rückgängig machen“, sagte Polizeihauptkommissar Bilal Rassem am Dienstagabend in der Sitzung des Integrationsrates im großen Saal des Rathauses. Über die Vorfälle entscheide jetzt die Staatsanwaltschaft als unabhängige Stelle. &bdquo;Grundsätzlich gilt, dass auch Polizisten Menschen sind, die gute und schlechte Tage haben“, betonte Rassem. &bdquo;Und jeder Mensch sollte rechtlich belangt werden, wenn er gegen Gesetze verstoßen hat.“ Wie kann man dem Hasse gegen die Polizei entgegenwirken? Werde die Polizei allerdings beleidigt und beschimpft, könne sie sich nicht beispielsweise mit einer Gegendarstellung oder ähnlichem beteiligen, gab Rassem zu bedenken. &bdquo;Das erlauben die laufenden Ermittlungen nicht.“ Er habe sich aufgrund der jüngsten Ereignisse verstärkt die Frage gestellt, wie er dem Hass gegen die Polizei mittel- und langfristig entgegenwirken könne, so der Polizei-Hauptkommissar, der zufällig einen fast gleichlautenden Vornamen hat, wie der schwer verletzte 19-Jährige. &bdquo;Ich habe selbst einen Migrationshintergrund und habe deshalb vielleicht einen besseren Draht zu Jugendlichen, die aus ähnlichen familiären und sozialen Verhältnissen kommen“, so Bilal Rassem. Der Dorfsheriff, der in kleinen Orten die Bürger regelmäßig zum Kaffeetrinken bittet, bei dem sie ihm von ihren Sorgen berichten können, sei in diesem Zusammenhang kontraproduktiv, so Rassem. Bürgernah müsse die Polizei dennoch sein - &bdquo;und das trotz Personalmangels und der Fülle an Arbeit, die wir zu bewältigen haben“. Er wolle keine Werbung für die Polizei machen, aber er wolle gerade einer Problemklientel die Polizei und deren Arbeit näher bringen. Bulli an der Steinstraße: dorthin gehen, wo die Problemklientel ist &bdquo;Junge Kollegen, vor allem auch solche mit Migrationshintergrund, die die Jugendlichen auch erreichen können, sollten in die Schulen gehen“, so der Hauptkommissar. Dabei sei es vor allem wichtig, deutlich zu machen, dass Polizisten auch Menschen seien. &bdquo;Wir ziehen nach Dienstschluss unsere Uniformen aus und begrüßen unsere Frauen und Kinder - genau wie jeder andere Mensch. Ich möchte den Blick dafür öffnen und weiten und aufräumen mit dem Vorurteil, Polizisten seien alle gleich, alle schlecht und alle gegen Südländer.“ Dorthin zu gehen, wo die potenziell auch gewaltbereiten Jugendlichen seien, sei aus seiner Sicht wichtig, um sie zu erreiche und in eine Diskussion zu kommen, so Rassem weiter. &bdquo;Ich kann mir auch einen Bulli vorstellen, mit dem wir zum Beispiel am Wochenende an der Steinstraße oder auch am Bahnhof in Herford stehen, um die Problemklientel direkt anzusprechen.“ Sozialdezernent Patrick Puls dankte Bilal Rassem für seinen Vortrag und bot an, dass Kreispolizeibehörde und Verwaltung, insbesondere sein Dezernat gerne im Gespräch bleiben könnten. &bdquo;Es ist eine tolle Chance, über die Systeme zu gehen, die wir haben - zum Beispiel die Schulen“, so Puls. Kähler: &bdquo;Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut“ Auch Bürgermeister Tim Kähler, der als Gast im Integrationsrat war, meldete sich zu Wort: &bdquo;Ich habe großen Respekt vor der Arbeit der Polizei, aber auch der Rettungskräfte und der Feuerwehr. Das sind Menschen, die uns mit ihrem Einsatz gut schlafen lassen und die zunehmende Respektlosigkeit ihnen gegenüber ist nicht zu dulden.“ Kähler verwies im Hinblick auf die Demonstrationen in Herford auch auf &bdquo;das hohe Gut der freien Meinungsäußerung“, mit dem man sorgsam und respektvoll umgehen solle. &bdquo;Es ist gut, dass über die Geschehnisse in dieser einen Nacht Anfang Juni, in der wir alle nicht dabei waren, jetzt Staatsanwaltschaft und Gericht als neutrale Stellen urteilen werden“, so Kähler.

Meistgelesen