Wirbelsturm wütet in Herford: Warum Ostwestfalen-Lippe ein Tornadoland ist

Kreis Herford. Videos und Fotos haben das Wetterphänomen für die Ewigkeit festgehalten. Am Freitagabend, 20. Mai, hat es in Herford einen Tornado gegeben. Das bestätigte kurze Zeit später der Deutsche Wetterdienst sowie der Meteorologe Friedrich Föst. Der Experte aus Lübbecke blickt im Gespräch mit dieser Zeitung auf die letzten 22 Jahre zurück. Dabei wird deutlich: Der Tornado in Herford war kein Einzelfall. Der Tornado, der am 20. Mai in Herford wütete, war für Föst dennoch "außergewöhnlich". Das Tief Emmelinde ist so gezogen, dass Herford noch ganz knapp drin lag. Im sprichwörtlichen Auge des Sturms befanden sich derweil Paderborn und Höxter. Dennoch sagt der Lübbecker Meteorologe zu Herford: "Es ist Wahnsinn, das nicht noch mehr passiert ist." Betroffene des Wirbelsturms sind vor allem Anwohner im Süden der Hansestadt. Hier hat der Tornado in wenigen Minuten für viel Zerstörung gesorgt. 15 Fälle in 22 Jahren Mit Blick zurück bis ins Jahr 2000 sind Föst in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke 15 Fälle ähnlicher Art bekannt. Bei fünf dieser Beobachtungen wurde jeweils ein Tornado bestätigt, "zehn Fälle sind Verdachtsfälle", so Föst. Das heißt: Hier kann nicht mit 100-prozentiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich wirklich um einen Tornado gehandelt hat. Föst: "Es könnten auch Windhosen oder Gewitterfallböen dabei gewesen sein." Lesen Sie auch den Kommentar zum Thema:Ein Tornado in Herford - das ist die neue Realität 50 bis 60 Tornados gibt es jedes Jahr in Deutschland. Im Nordwesten häufen sich die Beobachtungen, ebenfalls im Umfeld größerer Städte. Das liege laut Föst vor allem daran, weil dort viele Menschen das Wetterphänomen sichten und mittels Smartphones dokumentieren können. "Tornados sind selten, aber OWL ist Tornadoland", sagt der Experte, der auch schon in den USA auf der Jagd nach den Wirbelstürmen war. Diese fünf Tornados sind bestätigt Am 16. Juli 2020 wurde ein schwacher Tornado in Preußisch-Oldendorf bestätigt. Zehn Jahre vorher, am 9. Juni 2010, gab es in Hille eine Sichtung. "Dieser wurde in der Kategorie F1/F2 eingeordnet und hat für erhebliche Schäden gesorgt." Zur Verdeutlichung: Die Stärke eines Tornados wird mit der sechsstufigen Fujita-Skala (F0 bis F5) eingeordnet. F1 bedeutet Windgeschwindigkeiten von 118 bis 180 km/h. Im Kreis Herford genauer gesagt östlich von Vlotho hat es dann im Herbst 2004 einen Tornado gegeben. Am 5. Oktober wurde der Wirbelsturm mit der Stufe F2 gesichtet. Füst: "Da sprechen wir von Geschwindigkeiten jenseits der 180 km/h." Zwei Jahre zuvor, diesmal im Winter am 23. Februar 2002, gab es eine Rotation in Bünde-Spradow. Föst hat den Tornado, der über das Anwesen des Fischzüchters Niermann zog, live miterlebt. "Es war gewaltig." Und letztendlich der aktuellste Tornado, der am 20. Mai 2022 Herfords Süden traf. Zwei Fälle im Kreis Minden-Lübbecke, drei Fälle im Kreis Herford - sie zeigen: Tornados können nicht nur im Sommer entstehen. Föst: "Es müssen ganz besondere Verhältnisse sein, dann ist es wie ein Pulverfass." Tornados bleiben lokale Phänomene, sagt Föst. Begünstigt der Klimawandel Tornados? Das Phänomen ist nicht neu. "Tornados sind selten, es gab sie aber schon immer", sagt Föst. Laut dem Experten war Deutschland sogar in den 1920 bis 1930er Jahren weltweit führend in der Tornado-Forschung. Durch den Weltkrieg geriet es in Vergessenheit und flammte erst Ende der 1990er Jahre wieder auf. "Durch private Initiativen. Sie wollen auf das Phänomen aufmerksam machen." Dass der Klimawandel Tornados begünstigt, davon gehen Meteorologen nicht aus. Aber: Gewitter werden zunehmen. Auch sei es nicht ausgeschlossen, dass die Topografie der Mittelgebirge in OWL eine Häufung begünstigen. Durch den Klimawandel wird es häufiger zu Extrem-Wetterlagen wie Trockenheit oder Starkregen kommen. Damit sind die Menschen im Kreis Herford schon jetzt betroffen. "Das Problem in Deutschland ist, dass wir meinen, wir hätten hier kein extremes Wetter", so Föst, der seinem Kollegen Jörg Kachelmann nur beipflichten kann. Er sagt in einem Spiegel-Interview, dass Deutschland auf Tornados nicht vorbereitet ist. "Der Mann hat Recht, wir brauchen ein besseres Warnwesen." Auch müsse besser aufgeklärt werden. Darum sind Tornados so tükisch Der Deutsche Wetterdienst hat am 20. Mai vor extremen Wetterverhältnissen gewarnt - auch vor Tornados. Das Tückische ist aber: "Wo genau einer entsteht, lässt sich nicht vorhersagen", sagt Föst. "Man kann nur warnen." Etwa eine halbe Stunde vorher gab es laut Kachelmann eine rotierende Gewitterwolke zu sehen. Jetzt müsse die Warnmeldung schnell raus. Föst: "Mit 15 bis 20 Minuten Vorwarnzeit retten Menschen zwar nicht ihr Haus, aber ihr Leben."

Meistgelesen