Mehr auffällige Kinder: "Als ich angefangen habe, waren es Einzelfälle"

Herford. Schreien, treten, mit Spielzeug werfen, kneifen, beißen, kratzen: Die Zahl der Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten steigt. "Als ich hier angefangen habe, waren es Einzelfälle", sagt die Leiterin der Kita Bornbrede, Claudia Josef. Die Zahl der Kinder, die die Erzieher aufgrund von Entwicklungsdefiziten kaum mehr händeln können, hat "unglaublich zugenommen".Das kann Alwin Offel vom Jugendamt der Stadt bestätigen: "Vor zehn Jahren gab es in allen Kitas gut 50 Integrationskinder, heute sind es mehr als 100." Auch die Qualität der Auffälligkeiten habe sich gesteigert. Manchmal benötige ein Kind gar eine 1-zu-1-Betreuung. Im Kitaalltag ist das schwer umsetzbar. Abhilfe und neue Impulse schaffen heilpädagogische Fachkräfte. Mit Jennifer Brandt hat die Stadt die erste Heilpädagogin gewinnen können. Ein politischer Beschluss 2019 war der Auslöser."Die Not in der täglichen Arbeit ist da" In allen Kitas steigt die Arbeitsbelastung. Die Bedarfe der Kinder haben sich geändert und die Corona-Pandemie tue ihr übriges. Mehrere Kita-Gruppen können derzeit in der Stadt nicht in den Einrichtungen betreut werden, da die Erzieherinnen und Erzieher sich infiziert haben. Zudem habe die Branche generell mit Personalmangel zu kämpfen. "Die Not in der täglichen Arbeit ist da", sagt Josef. Lesen Sie hier mehr dazu: Keine Kita-Betreuung: Mutter fühlt sich vom Kirchenkreis im Stich gelassen 95 Kinder besuchen derzeit die städtische Kita/Familienzentrum Bornbrede. Vier Kinder sind als Integrationskinder anerkannt. Für jedes anerkannte Kind bekommt die Einrichtung mehr Stunden. Bei mehr als zehn Kindern laufe der Antrag noch, "und ich könnte noch viel mehr nennen", sagt die Leiterin. Die meisten Kinder haben Förderbedarf in der sozial-emotionalen Entwicklung. Jennifer Brandt arbeitet als heilpädagogische Fachkraft an der Basis. "Ich muss direkt dabei sein, um ein Gefühl zu bekommen, was gebraucht wird, herausfinden, warum ein Kind ausrastet, warum ihm alles zu viel wird", sagt sie. Anschließend geht es ins Gespräch mit den Erziehern, Impulse und Ideen werden ausgetauscht. Nischen schaffen und weniger Spielzeug anbieten Manchmal kann schon eine kleine räumliche Veränderung positiv wirken. Möbel lassen sich verrücken, um Nischen und damit mehr Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen, nennt Brandt ein Beispiel, auch können Räume "reizärmer" gestaltet werden. Zu viel Spielzeug überfordere einige Kinde statt dass es ihnen nützt. "Es geht bei meiner Arbeit auch darum, Kollegen in ihrem Handeln zu stärken", sagt Brandt. Leiterin Josef nickt: "Es geht ums Ganzheitliche. Da gehört der Raum dazu. Für uns ist das der dritte Erzieher." Alwin Offel spricht bei auffälligen Kindern von zwei Arten. Die einen sind laut und anstrengend, schmeißen mit Dingen um sich, rasten aus, die anderen sind still, in sich gekehrt. Solch einen Fall hat Brandt auch schon erlebt. Ein Kind habe immer lautlos geweint: "Die Tränen flossen einfach." Langsam habe sie herausgefunden, was hinter der Traurigkeit steckt. "Die Mutter hat dem Kind auf der Flucht gesagt, dass es ganz leise sein muss." Alle in der Runde schlucken bei dieser Erzählung. Offel: "Diese Kinder kommen jetzt wieder." Bislang leben 60 ukrainische Flüchtlingskinder im Kita-Alter, von denen die Stadt weiß, in Herford. Noch werden die Kinder nicht im Kindergarten betreut. Das sei aufgrund der Traumatisierung noch zu früh. "Kein Kind verhält sich grundlos so" Doch egal wie sich ein Kind äußert, ob laut oder leise: "Kein Kind verhält sich grundlos so", sagt Brandt, die die Kinder einzeln, aber meist in Kleingruppen gezielt fördert. "Wichtig ist dabei, die Kinder mitsprechen zu lassen. Sie zu fragen, was sie eigentlich wollen." Die Leiterin der Kita Bornbrede befürwortet die offene Gruppenarbeit: "Das ist der inklusive Grundgedanke, davon profitieren alle", ist sie überzeugt. Auch die Kollegen. Denn Brandt hilft auch bei der Antragstellung auf Integrationsförderung. "Da ging vorher sehr viel Zeit drauf. Jetzt kommt diese Zeit den Kindern zugute", sagt Josef. Von der heilpädagogischen Fachkraft haben seit Oktober 2020 vor allem die städtischen "Brennpunkt-Kitas" Bornbrede, Maiwiese und Zur Bleiche profitiert, die alle auch Familienzentrum sind. Dort ist Jennifer Brandt im wöchentlichen Rhythmus tätig. Kurz nach Beginn des Projekts hat sich gezeigt, dass die Integrationskräfte der Einrichtungen hohes Interesse an einem fachlichen Austausch haben. Ein Arbeitskreis hat sich gebildet. "Auch aus Trägersicht haben wir viele positive Erfahrungen machen können", sagt Isa Buchholz, Fachberaterin der fünf städtischen Kitas. Die Qualitätsförderung in den einzelnen Einrichtungen werde gesichert, die grundlegende Qualität der Arbeit erweitert.Davon profitieren Kinder und Erzieher. Immer mit ins Boot gehören natürlich auch die Eltern. "Es geht nur mit den Eltern, und das wiederum geht nur über eine gute Beziehung", sagt Josef. Eltern brauchen Transparenz, ist die Leiterin überzeugt und hofft, dass bald wieder gemeinsames Feiern, Spielen und Essen in der Kita möglich wird. Josef: "Das ist unglaublich wichtig."

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