Buchhandlung Otto wird 101 Jahre alt: Stöbern gab es früher nicht

Herford. Was gibt es Schöneres, als in einer Buchhandlung nach Büchern zu stöbern, die Spannung, Herzschmerz oder Insidertipps für neue Reiseziele versprechen. Als Erich und Margarete Otto am 13. Mai 1921 die "Ravensbergische Buchhandlung" an der Höckerstraße 6 eröffneten, gab es ein solches Einkaufserlebnis noch nicht, weiß Enkel Wolf-Dieter Otto. Der 49-Jährige führt das Geschäft in dritter Generation. Vor 100 Jahren stand der Buchhändler noch wie ein Apotheker hinter seinem Tresen und zog für die Kunden zwei, drei Bände Literatur aus dem Regel, die ihm nach deren Wünschen geeignet schienen.Veranstaltungen zum 100-jährigen Bestehen der Buchhandlung waren Otto angesichts der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr zu heikel. Selbst jetzt sind die für den Spätsommer geplanten Lesungen zur Feier des 101-Jährigen noch nicht in trockenen Tüchern - aber Verhandlungen um namhafte Autoren laufen. Grund genug, auf die Geschichte eines der ältesten noch bestehenden Herforder Geschäfte zurückblicken.Früher Schwerpunkt war christliche Literatur Erich Otto war mit dem CVJM aufgewachsen und blieb christlich orientiert. Der gelernte Kunst- und Schriftenmaler hatte aus Witten nach Herford geheiratet. "Als mein Vater die Buchhandlung gründete, ging es ihm nicht nur um christliche Dichtung - einerseits wollte er zum guten Buch führen, andererseits aber helfen, daß Bibeln und Andachtsbücher, christliche und erbauliche Literatur in den Gemeinden verbreitet wurden, daß ebenso Pfarren und Vikaren theologische Fachliteratur hier im Ravensberger Land zur Verfügung stand", schrieb Wolf-Dieters Vater und Erichs Sohn Armin Otto in einer Broschüre zum 50-jährigen Bestehen. Auch heute noch pflegt man bei Otto eine vergleichsweise große Abteilung mit christlicher Literatur. Das Wort "christlich" hat aber nie Eingang in den Namen gefunden, weil Erich Otto die nicht so bibelfeste Kundschaft nicht verschrecken wollte. Es begann mit einem vergleichsweise kleinen Ladenlokal im rechten Teil des Erdgeschosses. Die ersten Jahre waren schwer - es war Inflationszeit. Doch immerhin zog man 1928 in größere Räume, als die Drogerie im gleichen Haus nebenan auszog. Im gleichen Jahr bat der Kirchenkreis Minden Erich Otto, seinen Schriftenvertrieb zu übernehmen. So kam es zur Gründung der Filiale Minden, die noch heute am Domplatz mit einer Buchhändlerin betrieben wird. Hatte Otto bis dahin die Geistlichkeit in den Landgemeinden mit dem Rad beliefert, konnte und musste er nun ein Automobil anschaffen. "Wenn es auch nur ein Hanomag war, so war es doch damals ein großes Ereignis, wie wir es uns heute wohl kaum noch vorstellen können", schrieb Armin Otto.Bücher gab es nur gegen Altpapier In der Nazizeit verlor der Buchhandel seine Freiheiten. Viele Bücher wurden verboten und konnten - wenn überhaupt - nur unter der Hand weitergegeben werden. Nach Kriegsbeginn 1939 wurden sie Mangelware. Otto musste eine Kriegsleihbücherei einrichten. Erich Otto wurde in der Rüstungsindustrie kriegsdienstverpflichtet. Die Ehefrau betreute die Bücherei mit einem Lehrling weiter. Nach Kriegsende blieben Bücher rar, wurden auf schlechtem, grauen Papier gedruckt. Bücher wurden dem Händler aufgrund früherer Bezüge zugeteilt - teils nur gegen Abgabe von Altpapier. Mit der Währungsreform 1949 hatten die Leute wieder Geld in der Tasche, das etwas wert war. Rowohlt druckte seine Rotationsromane - zunächst im Zeitungsformat. Armin Otto begann seine Lehre im elterlichen Geschäft und sammelte Erfahrungen bis hin in die Schweiz. 1952 machte ihn der Vater zum Teilhaber. Vater und Sohn sammelten Anregungen in London und Amsterdam für einen Umbau im Jahr 1959 über zwei Etagen auf der ganzen Breite des Hauses. Enkel Wolf-Dieter kann aber im Nachhinein nicht verstehen, dass der eigentlich kunstsinnige Großvater, der auch Bilder, Musikinstrumente und Noten verkaufte, eine Zerstörung der historischen Fassade im Erdgeschoss zugunsten großer Schaufenster in Kauf nahm. Die Schaufensterfront war etwas zurückgesetzt, weil durch die Höckerstraße seinerzeit noch der Straßenverkehr einschließlich Omnibussen rollte. Erich Otto starb 1969. 1979 gab es einen weiteren größeren Umbau, die Schaufenster wurden wieder an die Straße versetzt, die nun Fußgängerzone war. Der erste Computer kostete 25.000 Mark Als "Büchernarr und Musikliebhaber, tief verwurzelt in seinem christlichen Glauben, dabei ein guter Kaufmann, ein Buchhändler alten Schlages" bezeichnete die Neue Westfälische Armin Otto, als er 2013 im Alter von 81 Jahren starb. Und weiter: "Für die Herforder war er über Jahrzehnte Teil der innerstädtischen Welt, vor seinen Bücherregalen im Beratungsgespräch, als Sänger im Münsterchor, auf seinem Fahrrad auf dem Weg durch die Stadt. Er war ein exzellenter Kenner der Stadt- und Regionalgeschichte, auch theologisch bewandert." Bei aller Tradition war man bei Otto auch zukunftsorientiert: 1994 kaufte man für 25.000 Mark einen Personalcomputer. Bis in die 1990er Jahre hatte man nach verfügbaren Buchtiteln in dicken Bibliografien gesucht. "Das war ordentlich Arbeit", erinnert sich Wolf-Dieter Otto, der schon früh großes Interesse an EDV hatte. 1998 folgte ein weiterer Umbau, der das Geschäft auf den heutigen Stand brachte. Im Jahr 2000 trat Wolf-Dieter Otto als gelernter Buchhändler und studierter Biologe mit Schwerpunkt Ökologie in das Geschäft mit ein. 2008 hat Armin Otto die &bdquo;Ravensbergische“ ganz an seinen Sohn übergeben, blieb aber aktiv. Wolf-Dieter Otto will demnächst das Kellergeschoss umgestalten. Das Geschäft mit klassischen Musik-CDs gibt er auf. Dafür wird die Sparte regionale Literatur, in der auch viele vergriffene Bände antiquarisch noch zu bekommen sind, ausgebaut. Für Kalender wird es mehr Raum geben. Erweitern will Otto auch den Schwerpunkt Biologie. "Frauen lesen mehr als Männer" Das Geschäft mit Literatur ist im Laufe der Jahrzehnte auch bei Otto immer schnelllebiger geworden. Der Anteil von Kunden, der schon weiß, was er kaufen möchte, wurde größer. Auch Bestsellerlisten, wie sie die NW in ihrem Feuilleton für die Region veröffentlicht, spielen eine große Rolle. "Beratung wird seltener nachgefragt, obwohl das für Buchhändler den meisten Spaß macht", bedauert Otto. "Aber es gibt das Gespräch noch, vor allem, wenn es um Geschenke geht." Einen Großteil des Geschäfts macht Otto mit Belletristik, darunter zur Hälfte Krimis, und mit Kinderbüchern. "Frauen lesen mehr als Männer", weiß Otto. "Männliche Kunden suchen oft ein Geschenk für ihre Frau." Was hat Otto als absolute Bestseller in Erinnerung? Besonders hat ihn beeindruckt, wie lange sich Hape Kerkeling mit "Ich bin dann mal weg" gut verkauft hat. Derzeit wird auch bei Otto der Bestseller "Hast du uns endlich gefunden" des in Herford als Sohn des Gefängnisdirektors aufgewachsenen Edgar Selge gut nachgefragt. Otto ist erstaunt, dass ein sehr auf Herford bezogenes Buch deutschlandweit solchen Erfolg hat. 16.000 Titel hält ein sechsköpfiges Team bei Otto auf 250 Quadratmetern Verkaufsfläche bereit. Über-Nacht-Bestellungen sind im Buchhandel Standard. Die Technik "Print on demand" - Drucken nach Bedarf - macht für die Verlage inzwischen auch kleinere Auflagen und Nachdrucke wieder attraktiver."Die Stadt muss grüner werden" Die Eröffnung der großen Mayerschen Buchhandlung im Jahr 2008 hat man auch bei Otto "gemerkt". Mehr Sorgen macht Wolf-Dieter Otto aber die durch die Pandemie beschleunigte Abwanderung von Kunden in den Online-Handel. Auch Otto bietet schon lange diese Möglichkeit. Zwar hatten Buchhändler mit weniger Corona-Auflagen zu kämpfen, aber: "Wir können die Innenstadt nicht allein betreiben. Ich hoffe, dass es sich bald normalisiert. Es muss wieder in den Köpfen ankommen, dass Einkaufen in der Stadt Spaß macht." Otto hofft, dass die Baustellen in der Fußgängerzone endlich zum Abschluss gebracht werden und die Stadt grüner und attraktiver gestaltet wird.

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