Freiheit für die Werre auf beiden Uferseiten

Herford. Die andere Uferseite der Werre sei im Privatbesitz, und alle Anfragen seitens der Stadt seien ignoriert worden, hatte Thomas Schmidtpott, in Herford zuständig für die Gewässerunterhaltung, noch vor zwei Wochen gesagt. Als nämlich die Renaturierungsarbeiten am so genannten Rischmüllerufer, unweit des Friedrichs-Gymnasiums, der Presse und somit der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Durch die baulichen Maßnahmen am Ufer soll die natürliche Entwicklung des Flusses gefördert werden. Nach Erscheinen des Presseartikels in der Neuen Westfälischen klingelte bei Thomas Schmidtpott im Büro das Telefon. "Ich war ganz verwundert, in der Zeitung zu lesen, dass Anfragen unsererseits ignoriert worden seien", sagt Cordula Siveke. "Uns hatte ja keiner gefragt." Und das kam so: Im Grundbuch eingetragen für das Areal, das vom Grundstück der Sivekes am Wilhelmsplatz bis zum Werreufer hinunter reicht, ist der Sohn von Cordula und Dieter Siveke. "Da ist noch eine Münchener Adresse eingetragen, an der er aber gar nicht mehr wohnt." Die Anfragen der Stadt liefen also ins Leere. Die Betonelemente, die den Fluss bislang begrenzen, werden entfernt Nicht so das Telefongespräch zwischen Schmidtpott und den Sivekes. Das führte schnell zu dem Ergebnis, dass die Stadt ein Nutzungsrecht für den Uferbereich der Werre ausgesprochen bekam und somit auch auf der anderen Flussseite die Renaturierung voran treiben kann. "Für den Fluss und seine Entwicklung ist das optimal", sagt Schmidtpott, "denn so bekommt er ein viel größeres Gesamtprofil, mehr Wasser kann abgeführt werden und die Fließgeschwindigkeit verringert sich." Wie bereits an der anderen Uferseite werden nun auch auf dem Grundstück der Sivekes die Betonmauern, die bislang den Fluss begrenzen, auf einer Strecke von gut 100 Metern abgetragen. "Danach lassen wir dem Wasser seine Freiheit, sich einen natürlichen Verlauf zu suchen", sagt Schmidtpott. Ergebnis der beiden Maßnahmen werde vermutlich sein, dass die Werre an dieser Stelle irgendwann doppelt bis dreimal so breit sein werde wie bisher, schätzt der Gewässer-Experte. "Auf dieser Seite erwarten wir ungefähr drei bis fünf Meter Zuwachs, auf der anderen, am Rischmüllerufer, bis zu zehn Meter." Auch werde sich der natürliche Uferbewuchs mit der Zeit ausdehnen und mehr Lebensraum für Tiere bieten. "Fischen und Kleinstlebewesen im Wasser werden die geringere Fließgeschwindigkeit und einige natürliche Steine, an denen natürliche Verwirbelungen entstehen können, zugute kommen", so Schmidtpott weiter. Erinnerungen an das Jahrtausend-Hochwasser von 1946 Dieter Siveke kann sich sogar noch an die Zeit erinnern, als die Betonelemente zur Begradigung der Werre angebracht wurden. "Das war 1946", sagt er. Vermutlich sei das eine Konsequenz des Jahrtausend-Hochwassers gewesen, das im gleichen Jahr zahlreiche Zerstörungen in Herford zur Folge hatte. "Auch unser Haus war von der Werreseite stark beschädigt", erinnert sich Dieter Siveke und hat sogar noch altes Bildmaterial zur Hand. Damals habe das Hochwasser ein Loch in der Erde hinterlassen, das später mit Schutt von den vom Krieg zerstörten Gebäuden aufgefüllt wurde. "Und dann wurde die Werre begradigt." Heute habe man andere Erkenntnisse gewonnen, sagt Thomas Schmidtpott. "Man zwängt den Verlauf eines Flusses nicht mehr ein, sondern versucht, dem Wasser an so vielen Stellen wie irgend möglich, seinen natürlichen Verlauf und Fläche zum Überschwemmen zurück zu geben." Das Ziel sei heute, den gesamten Flussverlauf im Auge zu haben und ein Gleichgewicht herzustellen. Was den Hochwasserschutz angehe, so sei dieser nach der Maßnahme für das Haus der Sivekes als höher zu beurteilen. Wenn es die Hochwasserlage zulässt, geht es im Herbst oder Winter los Gerne würde die Stadt Herford, die dafür Fördergelder über die Bezirksregierung bekommt, an noch mehr Stellen Renaturierungsarbeiten an der Werre umsetzen. Die Flächen sind aber - bis auf das Rischmüllerufer - alle in privaten Händen. "Da sind wir auf die Mithilfe der Herforder angewiesen", sagt Schmidtpott. - So wie jetzt bei den Sivekes. "Vielleicht ist es ja in anderen Fällen ähnlich abgelaufen wie bei uns, und es melden sich noch Menschen bei der Stadt", hoffen sie. Als nächster Schritt muss die Förderung für die Maßnahme auf dem Grundstück der Sivekes bei der Bezirksregierung in Detmold beantragt werden. "Wir hoffen, dass es dann im Herbst oder Winter losgehen kann", sagt Schmidtpott. Das sei aber auch von der Hochwasserlage zu diesem Zeitpunkt anhängig. "Spätestens starten wir dann im kommenden Frühjahr."

Meistgelesen