Die große Pleitewelle soll erst noch kommen

Kreis Herford. Kurzarbeit, Jobverlust und Co. gehen auch an den Menschen im Kreis Herford nicht vorbei. Bisher kann aber von einer Pleitewelle noch keine Rede sein. Glaubt man den Schuldnerberatungen im Kreis Herford, ist dies allerdings nur die Ruhe vor dem Sturm. Bei ihnen soll es in den vergangenen Monaten eher ruhig gewesen sein - ist es wahrscheinlich aber nicht mehr lange. Erstmal klingt die Beurteilung der bisherigen Lage positiv. "Die Nachfrage ist nicht stark gestiegen", weiß Regine Stoller-Wegener von der Schuldner-Beratungsstelle der AWO. Bei genauerer Betrachtung wird aber klar, dass die Auswirkungen erst zeitverzögert eintreten: Viele Menschen brauchten in den vergangenen Monate noch ihre Reserven auf oder könnten auf ihre Kredite zurückgreifen. Bis ihnen diese gekündigt würden, dauere es noch etwas. Einige Stromanbieter und Energielieferanten oder das Finanzamt seien den Menschen in der Coronazeit entgegengekommen und hätten sich mit den Zahlungsaufforderungen länger Zeit gelassen als sonst üblich. Das bestätigt auch Heike Wiechers vom Sozialdienst katholischer Frauen e.V. in Herford: "Erst wenn die eigenen Versuche, die finanzielle Lage zu bewältigen, nicht ausreichen, wenden sich die Menschen an die Beratungsstellen." Die Anfrage sei in letzter Zeit bei ihnen zwar gestiegen, doch die meisten Menschen, die sie in der ersten Coronazeit aufgesucht hätten, hätten bereits mit Ver- oder Überschuldung zu tun. Die Corona-Maßnahmen führten dazu, dass die bisher schon sehr enge finanzielle Planung nicht aufrechterhalten und Raten nicht mehr gezahlt werden konnten. Vertreterinnen beider Träger sind sich einig: Es seien derzeit vor allem jene betroffen, die sich ohnehin bisher nur mit Mühe über Wasser halten konnten. Folgen zeigen sich zeitverzögert "Die Folgen zeigen sich erst ein Jahr bis neun Monate später", fügt Stoller-Wegener hinzu. Sie gehe davon aus, dass die große Pleite-Welle im Laufe von 2021 kommen werde. Denn erschwerend zur Coronakrise komme hinzu, dass die Regierung aufgrund einer EU-Richtlinie die Insolvenzdauer von sechs Jahren auf drei Jahren Jahre verkürzen muss. Diese Änderung muss bis spätestens zum Juli 2022 in allen EU Ländern übernommen werden. Viele hätten ausgeharrt, um von der verkürzten Zeit zu profitieren. "Alle Schuldnerberatungen warteten sozusagen darauf", sagt Stoller-Wegener. Obwohl diese Änderung schon länger angekündigt worden war, kam sie erst jetzt Ende Dezember. Sie hätten im zweiten Halbjahr 2020 - wahrscheinlich deswegen - 65 Prozent weniger Insolvenzanträge gehabt als zuvor. Der "große Tsunami" an Insolvenzen komme erst noch. Lieber früher als später die Schuldnerberatung aufsuchen Nicht nur aus diesem Grund sollten Menschen, die mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben, lieber früher als später kommen. Denn die Pandemie hat auch Auswirkungen auf die Behörden: Da die meisten Institutionen, wie beispielsweise das Jobcenter, im Homeoffice seien hätten sich auch die Bearbeitungszeiten verlängert. "Menschen, die im Juli ihren Antrag gestellt hatten, bekamen erst im Oktober das Geld", weiß Stoller-Wegener. Bis Antragsteller die finanzielle Unterstützung bekommen, kann es also dauern. Umso wichtiger sei es, lieber früher als später zur Schuldnerberatung zu kommen und eine Budgetplanung zu erarbeiten. Die AWO-Beraterin betont: "Die meisten kommen fünf nach 12 und dann kann man nicht mehr viel machen."

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