Wie viel häusliche Gewalt gab es in Herford im Lockdown?

Herford. Zu Beginn des Corona-Lockdowns warnten viele Experten, dass die Isolation von Menschen und Familien auf engstem Raum einen Anstieg an häuslicher Gewalt nach sich ziehen würde. Doch nun einige Wochen nach dem Lockdown ist auch in Herford die Überraschung groß: Erste offizielle Fallzahlen sind rückläufig. Für die zuständigen Herforder Einrichtungen ist das aber noch kein Grund zum Aufzuatmen. Einige von ihnen befürchten, dass sich die volle Tragweite des Lockdowns erst noch zeigen wird. &bdquo;Wir waren sehr überrascht, dass der Anstieg, den wir erwartet haben, ausgeblieben ist", sagt Werner Martinato, Vorsitzender des Weißen Rings Herford. Von Anfang März bis Ende April behandelt der Ring nur zwei Fälle häuslicher Gewalt, deutlich weniger als im gleichen Zeitraum im Vorjahr. Dabei hatte der Weiße Ring sogar präventiv Übergangsunterkünfte für einen Anstieg der Fallzahlen organisiert. Die Polizei bestätigt diesen Rückgang. &bdquo;Im März gab es noch 31 Einsätze wegen häuslicher Gewalt, danach sind die Zahlen auffällig stark im Rückgang", sagt Pressesprecher Uwe Maser. Ein Trend, der sich landesweit abzeichnet. Doch niedrige Einsatzzahlen bedeuten nicht, dass es wirklich einen Rückgang häuslicher Gewalt gab. In einigen Fällen wurden die Telefone von Mädchen streng kontrolliert Dazu passen einige Zahlen nicht ins Bild. Die Mädchenberatungsstelle des Vereins Femina Vita verzeichnet für die ersten sechs Monate dieses Jahres 116 Fälle, bei denen Mädchen bei ihnen Hilfe gesucht haben, nur fünf weniger als im Vorjahr. &bdquo;Gerade nach Online-Beratung gab es eine verstärkte Nachfrage", sagt Kirstin Teschke, die als Psychologin bei dem Verein arbeitet. Einen Einbruch der Zahlen gibt es nur in April und Mai, im Corona-März gibt es sogar deutlich mehr Fälle als 2019. Teschke und ihre Kolleginnen haben während der Hochzeit des Virus viel von dem beobachtet, wovor Experten zu Beginn der Zeit gewarnt hatten. &bdquo;Es gab Fälle, bei denen wir gemerkt haben, dass die Mädchen in der Isolation zuhause stärker kontrolliert wurden. Dass sie nicht frei telefonieren konnten oder sogar der Anrufverlauf geprüft wurde", sagt Teschke. &bdquo;Da mussten wir kreative Wege finden, um mit den Mädchen in Kontakt zu bleiben." Seit dem Ende des Lockdowns verzeichnen einige Stellen auch wieder einen Anstieg an Fällen. &bdquo;Seit Mai häufen sich die Fälle bei uns wieder und sind auf einem gewohnten Niveau", sagt Gerlinde Krauß-Kohn, Leiterin der Frauenberatungsstelle Herford. Auch beim Weißen Ring steigen die Beratungsfälle wieder und befinden sich wieder bei vertraut hohen Werten. Einige Frauen werden mit Videos ihrer Vergewaltigung erpresst &bdquo;Ich vermute aber, dass noch Fälle nachkommen werden", sagt Martinato vom Weißen Ring. Eine weitere Steigerung befürchtet auch Ingrid Schneider, Geschäftsführerin von Femina Vita. &bdquo;Die Gewalt wird in dieser Zeit sicherlich weitergegangen sein", sagt sie. Eine erste Studie zum Thema gibt diesen Befürchtungen Gewicht. Laut einer repräsentativen Befragung der Technischen Universität München wurden drei Prozent aller Frauen in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt, 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner vergewaltigt. In ganzen 6,5 Prozent aller Haushalte sei es zu Gewalt gegen Kinder gekommen. Doch nur ein kleiner Teil der Betroffenen holte sich Hilfe. Die Gründe dafür sind auch in virenfreien Zeiten vielfältig. &bdquo;Einige Frauen benötigen viel Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten und holen sich erst Jahre später Hilfe", sagt Martinato. In vielen Fällen gäbe es auch Drohungen von den Partnern, ihnen die Kinder wegzunehmen, oder finanzielle Abhängigkeiten. &bdquo;Bei Vergewaltigungen kommt es vor, dass der Vergewaltiger die Tat filmt und droht das Video der Familie zu schicken und ins Internet zu stellen." Viele Anlaufstellen für Frauen waren im Lockdown nur eingeschränkt zugänglich In der Corona-Zeit kommt zu solchen Befürchtungen noch hinzu, dass viele Anlaufstellen für Frauen und Mädchen wie Ärzte und Schulen während des Lockdowns geschlossen oder nur eingeschränkt zugänglich waren. Auch die Beratungsstellen selbst waren nicht wie sonst erreichbar. Das haben die Einrichtungen durch ein erweitertes Online-Angebot oder Telefon- und Videokontakte versucht aufzufangen. Femina Vita hat zum Beispiel einen Instagram-Account gestartet, um für Betroffene erreichbar zu sein. Doch – wie mehrere der Interviewten bestätigen – der direkte Kontakt mit den Betroffenen ist für diese Arbeit sehr wichtig. Jetzt wo dieser direkte Kontakt wieder mehr gegeben ist, wird sich zeigen, ob sich die Vermutungen und Befürchtungen zur häuslichen Gewalt bewahrheiten wird. Die Frage, was genau im Lockdown in vielen Herforder Haushalten passiert ist, wird sich deswegen wahrscheinlich erst langsam klären.

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