Fahrt ins Ungewisse: Was ehrenamtliche Helfer im Kreis Gütersloh erleben

Herford. Es gibt Menschen, die machen einen großen Bogen um den Kreis Gütersloh, seit sich Rheda-Wiedenbrück mit dem Schlachthof Tönnies und seinen 1.500 Infizierten zu einem Hotspot der Corona-Pandemie entwickelt hat. Selbst den Einwohnern möchten sie am liebsten nicht begegnen. Ganz anders junge Ehrenamtler vom DRK-Kreisverband Herford-Stadt: Sie gehören zu den Einsatzkräften von Hilfsorganisationen, die Ende Juni in den Kreis Gütersloh ausgerückt sind, um dort Menschen auf das tückische Virus zu testen. Was treibt sie an und was haben sie erlebt? Annika Nietschke (20) ist in Witten im Ruhrgebiet nach dem Abitur im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) zum Roten Kreuz gekommen. Bei einer DRK-Fortbildung vor zwei Jahren lernte sie Sascha Boer aus Herford kennen. Es hat gefunkt und sie folgte ihm in seine Heimat, weil der Kreisverband ihr eine feste Stelle als Erste-Hilfe-Ausbilderin anbieten konnte. Die 20-Jährige beginnt jetzt zusätzlich eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin. Ihr Freund ist schon in dem herausfordernden Beruf. Der Einsatz im Kreis Gütersloh gehört zu ihrem ehrenamtlichen Engagement. "Ungewisse wird man nicht wirklich los" Am Donnerstag, 25. Juni, um 8.30 Uhr war die Aufforderung von der Bezirksregierung an die Herforder ergangen, ab 12 Uhr einsatzbereit zu sein. Für das Herforder Rote Kreuz gilt schon seit März der Krisenfall. In der zentralen Abstrichstelle am H2O hat Annika über mehrere Wochen wertvolle Erfahrungen gesammelt. Dennoch sagt sie: &bdquo;Das Ungewisse wird man nicht wirklich los. Aber wir sind gut geschützt durch die Schutzkleidung. In Herford wurden wir selbst jede Woche auf Corona getestet und nach dem Kreis-Gütersloh-Einsatz auch." Ob sie sich doch angesteckt hat? Die Frage kommt ihr nur in den Sinn, wenn andere sie darauf ansprechen: &bdquo;Beim Einsatz habe ich was anderes im Kopf." Zu viel Routine ist auch nicht gut – denn so wichtig wie die Schutzausrüstung selbst ist, sie sorgfältig anzuziehen. Alle ihre Bekannten sind im Rettungsdienst tätig und wissen, wo Risiken liegen und wo nicht. &bdquo;Meine Eltern machen sich schon manchmal Sorgen, wie es alle Eltern tun würden, wenn ihr Kind ins Epizentrum der Pandemie fährt", sagt sie. Philipp Berg (24) studiert Architektur in Minden. Der 24-jährige Engeraner kam vor zwei Jahren als Ausbilder für Erste-Hilfe-Kurse im Minijob nach Herford und ist &bdquo;kleben geblieben". Aktuell steckte er zwar in einer Prüfungsphase des Studiums, doch er konnte die Abgabe von Aufgaben individuell erledigen. Seine Freunde sind alle beim Roten Kreuz und auch die Familie kennt sich im Thema aus. Die Mutter arbeitet im Krankenhaus, ein Bruder ist bei der Bundeswehr und ein anderer arbeitet im Rettungsdienst. &bdquo;Bring das Virus am besten nicht mit nach Hause", hat die Mutter gesagt. Fahrt ins Ungewisse &bdquo;Man ist vor jedem Einsatz aufgeregt, weil man nicht weiß, was auf einen zukommt", sagt Philipp. &bdquo;Es ist eine Fahrt ins Ungewisse. Am Ende ist man stolz darauf, helfen zu können und der Gesellschaft etwas zurück zu geben. Ich war schon immer ein Mensch, der gerne hilft." Annika und Philipp waren bisher nicht in Rheda-Wiedenbrück oder in Gütersloh eingesetzt, sondern in Halle/Westfalen. Dort hat die Bundeswehr im Berufsschulzentrum eine Abstrichstelle eingerichtet, die unter der Leitung der Feuerwehr steht. Sie haben hier geholfen, den Betrieb sicherzustellen. Zielgruppe in Halle sind Einwohner, die keine Symptome haben, aber eine Untersuchung wünschten – sei es, weil sie jemanden im Pflegeheim besuchen oder in Urlaub fahren wollen. Tatsächlich gab es auch hier positive Ergebnisse. Es waren anstrengende vier Tage mit bis zu 16-Stunden-Einsätzen und wenig Schlaf. &bdquo;Das zehrt schon an den Kräften", sagen sie. Der erste Einsatztag mit 500 Abstrichen endete um 22 Uhr. &bdquo;Die Leute haben teils stundenlang im Freien in der Schlange gestanden", berichtet Annika. Nahe ging ihr das Gespräch mit der letzten Frau, die an die Reihe kam: &bdquo;Sie wollte ihre Mutter im Hospiz besuchen und war supernett und glücklich, weil sie noch drangekommen war." Etwa 15 andere hatten weniger Glück und waren entsprechend aufgebracht, weil sie nach langem Warten ohne Test wieder nach Hause gehen mussten. Nächster Einsatz in der umgebauten Flughalle in Gütersloh Leon Gamrath (23) ist vor sechs Jahren über den Sanitätsdienst am Friedrichs-Gymnasium zum DRK gekommen und auch &bdquo;hängen geblieben". Seit 2016 ist der 24-jährige Herforder im Rettungsdienst der Feuerwehr beschäftigt und bildet sich derzeit fort zum Notfallsanitäter mit mehr medizinischen Befugnissen. Er hat sich auch im Beruf auf veränderte Abläufe von Notfalleinsätzen in Zeiten von Corona eingestellt. Persönlich war er nicht mit im Einsatz im Kreis Gütersloh, sondern leitet den sechsköpfigen Einsatzstab in Herford. &bdquo;Fachkenntnis und der andere Blickwinkel auf die Zusammenhänge von Keimverschleppung nehmen die Angst", meint er. In dieser Woche soll es in den nächsten Einsatz gehen – dann in der zum Drive-In umgebauten Flughalle in Gütersloh. &bdquo;Manche Helfer von uns sind enttäuscht, dass sie nicht mit in den Einsatz können", wissen die jungen Leute. &bdquo;Sie sind unter 18 und damit zu jung oder leiden unter Vorerkrankungen." &bdquo;Wir sind sehr froh, dass wir als Rotes Kreuz in der Krise einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten können", sagt Geschäftsführer Ralf Hoffmann und freut sich über das Engagement seiner jungen Ehrenamtler.

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