Firma insolvent: Familie aus Enger bleibt auf unfertigem Haus sitzen

Enger. Ein bisschen abseits der Spenger Straße, in Engers Ortsteil Westerenger, entsteht gerade eine neue Wohnsiedlung. Ein Neubau reiht sich hier bereits an den anderen - hübsche Einfamilienhäuser mit schmucken Fassaden und kleinen gemütlichen Gärten. Auch Olga Lincoln und ihr Partner Jürgen Erdmann haben in der ruhigen Siedlung gebaut. Oder besser: bauen lassen. "Es ist unser großer Traum gewesen, ein eigenes Haus zu haben", sagt die 38-Jährige. Der jedoch hat sich für die kleine Familie inzwischen in einen Albtraum verwandelt. Von Eigenheim-Idylle keine Spur. Die Firma, die mit dem Bau ihres Hauses betraut war und es laut Lincoln "schlüsselfertig" hat übergeben sollen, meldete Insolvenz an. Ein Sprecher des Amtsgerichts Bielefeld bestätigt auf Anfrage der NW, das Insolvenzverfahren des Unternehmens sei Ende 2022 eröffnet worden. Monate zuvor, seit März 2022, habe sich an ihrem Bau jedoch schon nichts mehr getan, sagt Olga Lincoln. Dabei ist das Haus zu dem Zeitpunkt ihren Angaben zufolge bereits komplett bezahlt gewesen. Nur: Es war nicht fertig, das Geld aber sei weg gewesen. Wie es nun weitergehen soll mit ihrem unfertigen Eigenheim, in dem sie mit ihrer Familie inzwischen wohnt - sie weiß es nicht. "Das ist ein Extremfall hier" Schon im Mai 2022 schaltete die Familie einen Bausachverständigen ein, Maik Menke aus Paderborn. "Das ist ein Extremfall hier", sagt er. "Wir sind bei über 100.000 Euro Schaden." Für die Familie nicht stemmbar: "Noch mehr Kredite aufnehmen geht nicht", sagt Olga Lincoln. Dabei wirkt das Haus auf den ersten Blick durchaus "fertig" - ein Dach ist drauf, es hat vier Wände, eine Fassade, sogar eine Hausnummer. Aber: Der Schein trügt. Das merkt man schnell, sobald man eintritt. Innendrin fehlen die allermeisten Zimmertüren. Sogar vor dem Badezimmer und der Toilette. Die Familie hat stattdessen Tücher gespannt. Ein Provisorium, um die Sicht zu verschleiern - nicht mehr. Für Olga Lincoln ist das jedoch nicht das Schlimmste: "Ohne Türen kann man leben", sagt sie. Sorgen machen ihr stattdessen ganz andere Dinge. "Schauen Sie." Die 38-Jährige - vor ein paar Wochen zum zweiten Mal Mutter geworden - geht ein Stückchen um das Haus herum und zeigt auf den Sockel, den unteren Teil des Gebäudes. Der sei nicht abgedichtet. Sie hätten dadurch schon "Mäuse in den Wänden" gehabt. Die Abdichtung am Sockel sei nicht vorhanden, betont auch Bausachverständiger Maik Menke. "Man kann von draußen ins Wohnzimmer fassen. Wenn davor Schnee liegt und es taut, haben sie innen einen massiven Wasserschaden." Haus ist ungeschützt, weil der Putz fehlt Eine weitere Baustelle ist die Fassade. Schon zwei Winter stehe das Gebäude - ein Holzhaus - unverputzt da, sagt Olga Lincoln. Sie hätten Angst, dass dadurch Feuchtigkeit einziehe. "Einen dritten Winter überlebt es dann nicht mehr", befürchtet sie. Menke betont: "Bei Starkregen mit Wind läuft das Wasser hinter die Dämmung. Wir haben hier ein ungeschütztes Haus: Der Putz an der Fassade fehlt." Der Blick nach oben aufs Dach bereitet der Familie ebenfalls Sorgen: Auf der Holzverkleidung liege nur Dachpappe auf. Dachpfannen gebe es nicht, auch keine Dämmung. "Als es draußen geschneit hat, war es innen gefroren", sagt die 38-Jährige. Sie arbeitet als stellvertretende Küchenleitung in einer Pflegeeinrichtung in Lübbecke, ihr Partner ist Berufskraftfahrer im Logistikzentrum in Bethel. Bausachverständiger Menke betont: "Das Dach ist eigentlich das einer Gartenhütte: einfache Spanplatte mit Teerpappe." Auch der Boden ist Lincolns Angaben zufolge offenbar nicht plan verlegt worden, die Elektrik nicht fertig und Rohre liegen frei. Außerdem stehe die Luft-Wärme-Pumpe wohl an einer falschen Stelle, wodurch sie nicht effizient arbeite. Das Ganze sei ein Fass ohne Boden. Die Mängel am Haus seien "gravierend", betont auch Menke. Dabei lief anfangs alles gut: Sie hätten ein gutes Gefühl bei der Firma gehabt, über die sie sich vor Vertragsabschluss umfangreich informiert und sich auch einen anderen Rohbau des Unternehmens angeschaut hätten, sagt Olga Lincoln. Sie hätten daher einen Vertrag mit der Firma abgeschlossen. Der Vertrag mit den vereinbarten Einzelheiten der Bauausführung liegt der NW vor. Familie schaltete Anwalt ein Im September 2021 sei die Bodenplatte für den Neubau gegossen worden. Im Dezember des Jahres sei ihr Holzhaus dann in Modulen angeliefert und zusammengesetzt worden. Im Januar 2022 sei die Bodenheizung eingebaut worden. "Uns wurde versprochen, dass wir Anfang März 2022 hier einziehen können." Die inzwischen vierköpfige Familie - neben Olga Lincoln, Jürgen Erdmann und Baby Leon gehört dazu auch der sechsjährige Joshua - kündigte daraufhin die Mietwohnung in Spenge. Aber "seit Anfang März 2022 ist nichts mehr gelaufen am Bau", erzählt Lincoln. Übergangsweise kamen sie bei den Eltern unter, zogen dann aber doch nach drei Monaten in das unfertige Eigenheim. Weil es dort mit dem Bau nicht weiterging, wusste sich die Familie nicht mehr anders zu helfen und schaltete einen Rechtsanwalt ein. Olaf Schilasky von der Kanzlei Franziskanermauer in Paderborn nahm sich des Falls an. Die Familie sei zu ihm gekommen, als die mit dem Hausprojekt betraute Firma noch nicht in der Insolvenz gewesen sei, berichtet er. Er habe dem Unternehmen zunächst eine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt. Aber von der Firma sei nichts mehr gekommen, sagt er im Gespräch mit der NW. Nun laufe vor dem Landgericht Bielefeld ein sogenanntes selbstständiges Beweisverfahren. Ziel sei es, den Umfang der Mängel festzustellen - aber auch, welche Maßnahmen erforderlich seien, diese zu beseitigen und welche Kosten dafür anfallen, erklärt der promovierte Rechtsanwalt. Das Gericht kontrolliere das Verfahren und beauftrage auch unabhängige Gutachter. "Es hat auch schon einen Ortstermin mit zwei Gutachtern stattgefunden", sagt Olaf Schilasky. Die würden jetzt eine Bewertung machen. "Situation emotional sehr, sehr schwer" Der Rechtsanwalt ordnet für die NW auch zwei Klauseln aus dem Vertrag zwischen der Familie Erdmann/Lincoln und der inzwischen insolventen Firma ein. Darin heißt es zum einen, mit Beginn von Eigenleistung - zum Beispiel eigenständiges Anbringen von Farbe, Einräumen von Möbeln und so weiter - durch den Auftraggeber (AG) "gilt das Objekt als Mangelfrei abgenommen". Ferner heißt es im Vertrag: "Mit Bezug des Objektes durch den AG gilt das Objekt als mangelfrei abgenommen." Olaf Schilasky betont: "Diese Klauseln gelten so nicht." Die insolvente Firma respektive deren ehemaliger Geschäftsführer waren für eine Stellungnahme zu dem Fall nicht zu erreichen. Auch der Insolvenzverwalter wollte sich gegenüber der NW nicht äußern. Die Situation sei "emotional sehr, sehr schwer. Man hat ja die ganzen Kredite aufgenommen. . .", sagt Olga Lincoln und lässt den Satz unvollendet. "Das hätten wir uns alles einfacher vorgestellt." Schwester initiiert Crowdfunding-Aktion Sie hofft nun, dass vielleicht noch etwas Geld aus der Insolvenzmasse des Unternehmens abspringt. Und sie baut auf eine Crowdfunding-Aktion, die ihre Schwester für sie initiiert hat. Insgesamt sind dabei bis jetzt knapp 3.700 Euro zusammengekommen. "Vielleicht können wir dann ja wenigstens noch die Außenfassade machen", hofft Olga Lincoln. Auch Maik Menke wirbt auf seinem Youtube-Kanal um Spenden für die Familie. Im Hintergrund organisiere er derzeit außerdem Maler-, Gerüst- und Tiefbaufirmen, die zum Selbstkostenpreis arbeiten würden, wenn das Material und die Maschinen bezahlt werden könnten, sagt der Bausachverständige.

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