Tornado-Verdacht: Video zeigt schlauchartigen Wirbel im Kreis Herford

Enger. Danny Wolny wollte am Donnerstagabend, 9. Juni, eigentlich nur zum Kompost in seinem Garten in Enger gehen, als er gegen 17.20 Uhr Richtung Bünde schaute und sah, wie sich ein schlauchartiger Wirbel unterhalb der Wolken bildete, die von Spenge nach Bünde zogen. "So schnell bin ich noch nie ins Haus gerannt, um mein Handy zu holen", sagt der Engeraner und lacht. "Da muss man reagieren." Ob es sich um einen Tornado handelt, weiß er zunächst nicht. Die Drehung sei zwar gut zu erkennen gewesen, aber ob Bodenkontakt entstanden war, konnte Wolny von seinem Garten aus nicht sehen. "Man kann's nicht gebrauchen, aber aus der Ferne war das schön anzusehen", sagt Wolny. Offenbar gehöre auch eine ordentliche Portion Glück dazu: Der Wirbel habe sich schnell wieder aufgelöst, deutlich länger als das Video, das er der Neuen Westfälischen zusandte, sei er nicht zu sehen gewesen. Aber handelte es sich um einen Tornado? "Ein Tornado ist erst ein Tornado, wenn er Bodenkontakt hatte", bestätigt Lübbecker Diplom-Meteorologe Friedrich Föst. Im Fall des Donnerstagabend, 9. Juni, gesichteten Wirbels sei das nicht sicher geklärt. Es war definitiv eine Schauerwetter-Lage mit Rotation, so Füst weiter, eine Funnel-Cloud oder Trichterwolke war entstanden. "Die meteorologischen Bedingungen waren da", sagt Föst. Derzeit werde das Wetterphänomen als Tornado-Verdacht gelistet, denn eindeutige Hinweise gibt es nicht. Aber: "Wenn die Trichterwolke zwei Drittel des Wegen zwischen Wolke und Boden zurückgelegt hat, ist in kurzzeitiger Bodenkontakt ziemlich plausibel", so der Meteorologe. Zeugen hilfreich bei der Protokollierung Aufnahmen wie Wolnys sind auch für Meteorologen wie Füst ein Glückstreffer, aber auch Hinweise zum Schadensbild sind hilfreich. Wer denkt, einen Tornado gesehen zu haben und sogar Foto- oder Videomaterial hat, kann über tornadoliste.de über das Meldeformular oder per E-Mail an meldung@tornadoliste.de Hinweise geben. "Jede Information ist wichtig", betont Föst. Rausgehen, um einen besseren Blick zu erhaschen, sollten die Schaulustigen aber nicht. "Vom Aussehen können wir nicht auf die Geschwindigkeit schließen", sagt Föst. Und selbst wenn es kein Tornado ist: Von Gewittern, Stürmen und Orkanböen gehen große Gefahren aus, so der Meteorologe. "Unwetter sollten ernst genommen werden." Selten, aber nicht ungewöhnlich Im Kreis Herford wurden seit dem Jahr 2000 drei Tornados gemeldet: Am 23. Februar 2002 in Bünde, am 5. Oktober 2004 in Vlotho und am 20. Mai 2022 in Herford. Die ersten beiden Tornados waren F2-Tornados mit Windgeschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern. Diese hinterließen entsprechende Schäden: "Nicht nur das Dach, auch Teile der Hauswände sind dann weg", so Föst. Mit dem jüngsten Vorfall gibt es nun vier Tornado-Verdachtsfälle: am 11. Juli 2008 in Vlotho, am 9. Juni 2009 in Enger, am 7. Juni 2019 in Herford und am 9. Juni 2022 in Enger sind Trichterwolken gesichtet worden, die womöglich Bodenkontakt hatten und damit als Tornados gelten. "Es ist selten, aber es kommt doch vor", sagt Föst. Von einer besonderen Häufung könne für OWL nicht gesprochen werden. Trotzdem gibt es Überlegungen, dass Toronados und Trichterwolken in der Region leichter entstehen. "Wir können mutmaßen, dass Mittelgebirgshügel durchaus bei bestimmtem Wetterlagen solche Tornados begünstigen könnten", sagt Föst vorsichtig. Auch in den Alpen habe man festgestellt, dass die Gebirge verstärkende Auslöser sein könnten. Bis ein Tornado aber tatsächlich entsteht, müssen viele Faktoren passen, betont Föst. Und: Heute kann die Entstehung zumindest soweit prognostiziert werden, dass sich Menschen in Sicherheit bringen können. Keine frühzeitige Tornadowarnung möglich Ende Mai hätte diese Prognose von erhöhtem Tornado-Potenzial gut funktioniert. Rund 24 Stunden vorher wird klar, dass ein Tornado in einer Region entstehen könnte. "Es ist ein sehr lokales Phänomen", so Föst. Wo genau ein solcher Wirbelsturm auftritt oder verläuft, können die Fachleute aber nicht vorhersagen. Stattdessen würden rotierende Gewitterwolken erkannt, aus denen sich innerhalb kurzer Zeit Tornados entwickeln könnten. "Wir haben eine sehr kurze Vorwarnzeit, teilweise nur fünf Minuten, maximal 20 bis 30 Minuten", so Föst. Zeit, um Gegenstände und Häuser zu sichern, bleibe nicht. "Das einzige, was Sie retten können, ist Ihr Leben." Föst vergleicht die Vorhersage mit Luftblasen, die vom heißen Kochtopfboden aufsteigen. "Versuchen Sie mal zu bestimmen, wo die erste Luftblase auftaucht", sagt Föst. "Sie wissen, dass sie kommen werden - aber nicht wo." Begünstigt der Klimawandel die Entstehung von Tornados? Seit den 1990er Jahren zeigt die Tornado-Statistik zwar einen signifikanten Anstieg, doch das liege an dem gestiegenen Bewusstsein und privaten initiativen, die die Tornados dokumentieren. "Es gab sie schon immer", versichert Föst, sie würden heute lediglich besser dokumentiert. In den 1920er Jahren noch sei Deutschland führend in der Tornadoforschung gewesen. Durch den zweiten Weltkrieg und dessen Folgen sei dieser Forschungszweig in Vergessenheit geraten. Zwar zeige die Klimaforschung, dass es eine mutmaßliche Zunahme von Gewittern geben werde. "Aber nicht jedes Gewitter produziert einen Tornado", so Föst. Im Schnitt gebe es jährlich 50 bis 60 Tornados in ganz Deutschland. Damit ein Tornado entsteht, braucht es neben dem Gewitter eine feuchte, geschichtete Atmosphäre, die unten warm und oben kalt ist. Dazu eine Windscherung, durch die Gewitterzellen zu rotieren beginnen. Ob Tornados aber häufiger auftreten als früher sei Gegenstand der Forschung. Belastbare Zahlen gebe es dazu noch nicht.

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