Krise in der Möbelbranche: Hettich-Geschäftsführung erklärt ihren Plan für Kirchlengern

In den vergangenen Wochen haben sich die Nachrichten um Schließungen von Hettich-Standorten gehäuft. Vor diesem Hintergrund: Wie geht es dem Unternehmen aktuell? Jana Schönfeld: In der deutschen Möbelindustrie herrscht seit Mitte 2022 eine Nachfragekrise. Nötig ist unter anderem ein Aufschwung der Bauindustrie, denn mehr Wohnungen bedeuten mehr Möbel, die verkauft werden. Wir reagieren, indem wir uns und unsere Strukturen anpassen. 2022 hat sich die Krise bei Hettich kaum spürbar ausgewirkt. 2023 verzeichneten wir jedoch einen Umsatzrückgang von 14 Prozent. 2024 lag das Minus, bereinigt um den Zusammenschluss mit dem italienischen Familienunternehmen FGV im Januar 2024, bei 3 Prozent. Berücksichtigen wir diesen, waren wir bei einem Umsatzplus von rund 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das zeigt: Ohne unser aktives Handeln und die konsequente Weiterentwicklung von Hettich wären die vergangenen drei Jahre für uns weitaus schwieriger gewesen. Lesen Sie auch: Hettich erzielt Umsatzplus durch Übernahme Michael Lehmkuhl: Wir waren und sind – wie viele andere Unternehmen – ständig konfrontiert mit Sonderereignissen. Von den stabileren Jahren, die wir während Corona hatten, sind wir weit entfernt. Die deutsche Küchenbranche ist positiv gestimmt, dass die Talsohle erreicht ist und es ab Herbst langsam wieder bergauf gehen könnte. Die Konsumenten wissen auch nicht, worauf sie sich einstellen sollen – wir brauchen insgesamt eine positivere Stimmung im Land, damit wieder Konsumlaune aufkommt. Das Geld in den Haushalten ist da – umgesetzt wird vermutlich aus allgemeiner Vorsicht nichts. Wir alle brauchen Verlässlichkeit vonseiten der Politik. Und wir brauchen den Bausektor. Im Februar hatte es ein Gespräch mit dem hiesigen Bundestagsabgeordneten Stefan Schwartze und dem damaligen Wirtschaftsminister Jörg Kukies darüber gegeben, dass CO2-Abgaben für Stahl verarbeitende Unternehmen wie Hettich international betrachtet für Wettbewerbsverzerrungen sorgten. Könnte Hettich durch Veränderungen der Richtlinien seine Kosten senken? Lehmkuhl: Wir sind sehr dankbar, dass uns politische Vertreter aus der Region den Weg zu passenden Stellen geebnet haben. Wirtschaftsminister Kukies war für uns einer der Türöffner in Richtung Brüssel. Wir haben dort viele Gespräche geführt und werden jetzt gehört im Verfahren der Überprüfung und Überarbeitung bestehender Richtlinien zu CO2-Abgaben. Allerdings sind die Wege in Brüssel lang, es gibt aber Tendenzen, dass unsere Probleme nachvollzogen werden können. Das Verfahren der EU zur Überarbeitung der betreffenden Richtlinien ist eröffnet, und wir werden – voraussichtlich im Herbst – über den Fortgang informiert. Schönfeld: Wir sind da zunächst zuversichtlich und vor allem aktiv. Das ist eine Perspektive für Hettich und es zeigt, dass sich auf allen Ebenen – auch auf der politischen – das Mitgestalten der eigenen Zukunft lohnt. Aber wir brauchen einen langen Atem. Zum Thema: Hettich aus Kirchlengern schließt Werk in Berlin Was können Sie zu den jüngst verkündeten Standort-Schließungen in Vlotho und Berlin sagen? Müssen Hettich-Beschäftigte auch im Kreis Herford um ihre Arbeitsplätze bangen? Schönfeld: Hettich ist ein Familienunternehmen mit Tradition und wird mittlerweile in vierter Generation geführt. Wir müssen jetzt die richtigen Weichen für die Zukunft stellen, für künftigen und auch für aktuellen Umsatz kämpfen. Wir haben aktuell 80 Prozent Exportanteil, dafür sind bestimmte Strukturen nicht mehr passend. So zum Beispiel beim Logistik-Standort in Vlotho. Wir sind Experten für qualitativ hochwertige Möbelbeschläge, nicht zwingend für Kleinteillogistik – schon gar nicht im digitalen Zeitalter. Deshalb haben wir die Entscheidung getroffen, die Logistikaktivitäten dort einzustellen und bis Mitte 2027 in die Hände spezialisierter Logistikpartner zu geben. Und am Standort in Berlin werden seit mehr als 50 Jahren Komponenten für die ostwestfälische Produktion gefertigt. Das ist einfach nicht mehr der ideale Prozess. Wir wollen die Fertigung verlagern, unter anderem nach Ostwestfalen. Und das bis Ende 2026. Warum haben Sie die geplanten Schließungen jetzt schon kommuniziert? Schönfeld: Ja, das ist eher ungewöhnlich. Aber wichtig, wenn es darum geht, Mitarbeitern zu ermöglichen, ihre Zukunft aktiv zu gestalten – auch durch Weiterbildungen oder Umschulungen. Wir werden zum Beispiel Kolleginnen und Kollegen aus Vlotho bevorzugt Stellen in Ostwestfalen anbieten – auch an unserem weiteren Logistikstandort in Bünde – da laufen bereits Gespräche. Auch Schnuppertage bieten wir an, damit die Kolleginnen und Kollegen eine Vorstellung von einem möglichen neuen Einsatzfeld bekommen können. Für Berliner ist das ebenfalls möglich, doch die Wege sind länger. Lesen Sie auch: Firma Hettich trennt sich von weiterem Standort Wie ist das am Standort Balingen in Baden-Württemberg, der ebenfalls im Gespräch war? Schönfeld: Das ist ein völlig anderer Kontext. Den Standort möchten wir verkaufen und sind auf der Suche nach einem Investor, damit die Zukunft für die rund 80 Kolleginnen und Kollegen dort weitergeht. In Balingen werden Bett- und Polstermöbelbeschläge gefertigt – ein Bereich, der nicht zu unserem Kerngeschäft zählt. Grundsätzlich ist in unserer Kultur des Many-to-Many-Managements eines der Grundprinzipien die Transparenz. Auch mit den Betriebsräten sind wir da im ständigen Gespräch und auf Augenhöhe. Noch einmal konkret: Wird es in Kirchlengern und Bünde Entlassungen geben? Lehmkuhl: Wir müssen uns auf neue Gegebenheiten einstellen. Wir haben aktuell geringe Auftragseingänge. Seit Anfang August sind wir deshalb hier in einigen Bereichen in Kurzarbeit und passen auch darüber hinaus unsere Personalkapazitäten an, beispielsweise durch Verzicht auf Leiharbeitnehmer und den Ablauf befristeter Arbeitsverträge. Es ist dauerhafte Führungsaufgabe, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gespräch zu sein über Lebensplanung und Tätigkeitsvorstellungen. Wir werden genug Beschäftigung haben, brauchen jedoch die Bereitschaft, sich mit uns auf die Veränderungsreise zu begeben, um Hettich zukunftsfit zu machen. In diesen Gesprächen trennen sich dann auch mal Wege. Hettich steht für qualitativ hochwertige Möbelbeschläge. Inwiefern hat die weltweite Konkurrenz – zum Beispiel aus China – aufgeholt? Steht Hettichs Marktposition dadurch unter Druck? Lehmkuhl: Die Wettbewerber in China holen auf, insbesondere bei der Automatisierung. Und sie haben eben den Vorteil, dass Stahl dort deutlich günstiger ist. Unser Vorteil liegt in unserem hohen Innovationsgrad und der engen Servicepartnerschaft mit unseren Kunden. Schönfeld: Ein isoliert betrachteter Beschlag ist sicher bald vergleichbar. Doch Hettich ist für seine Kunden nicht einfach ein Lieferant für Beschläge, sondern ein strategischer und Innovationspartner, wir entwickeln uns gemeinsam weiter, erfinden uns neu und werden stetig besser. Wie realistisch ist es, dass Hettich in zehn Jahren noch in Deutschland produziert? Schönfeld: Wir haben nie in Erwägung gezogen, uns von Deutschland zu verabschieden – im Gegenteil, unsere jüngsten Investitionen zeigen klar unser Bekenntnis zu unserem Heimatstandort. Wir haben 350 Millionen Euro in den vergangenen drei Jahren in Deutschland investiert – unter anderem durch den Bau unserer neuen Produktionshalle C3. Und das extrem langfristig. Das halb leere Glas, das stimmungstechnisch im Moment in Deutschland gesehen wird, muss jetzt nur dringend wieder gefüllt werden. Wir sind als Unternehmen mit unseren Investitionen in Vorleistung gegangen. Wirtschaft, Politik und Bürgerinnen und Bürger schaffen jetzt die Rahmenbedingungen, diese bestmöglich langfristig zu nutzen. Es gibt Themen wie Fachkräftemangel, EU-Richtlinien und die Herausforderung, die Voraussetzungen zu schaffen, dass die KI einmal Teil unseres Lebens werden kann. Gestaltungsfreiheit ist dafür nötig, damit der Einsatz künstlicher Intelligenz gelingt, der bei uns in der EU ziemlich reglementiert und in China weitgehend frei möglich ist. Und wir brauchen in vielen Bereichen eine Entbürokratisierung. Das alles ist notwendig, um unser Europa, unser Deutschland und auch unser Bünde und Kirchlengern im globalen Wettbewerb im Spiel zu halten.

Meistgelesen